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Tempolimits – die „low hanging fruits“ im Klimaschutz
Von Helena Schuch (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), Juni 2024
Der Verkehr war in Österreich im Jahr 2023 für rund 20 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.1,2 Die verkehrsbedingten Emissionen sind niedriger als im Vor-Corona-Jahr 2019, aber um 6,2 Millionen Tonnen höher als im Jahr 1990.3 Damit ist der Verkehr der einzige Sektor, der heute mehr klimaschädliche Emissionen verursacht als im Jahr 1990. Alle anderen Sektoren haben ihre Emissionen reduziert: Der Gebäudesektor beispielsweise um 52 Prozent im Jahr 2023 gegenüber dem Jahr 1990, obwohl die Bevölkerungszahl und die Zahl der Gebäude in Österreich stark gestiegen sind.4,5
Der Verkehr muss einen stärkeren Beitrag zum Klimaschutz leisten als bisher, auch damit Österreich seine Klimaziele erreichen kann. Zuletzt hat ein Team aus über 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mehr als 1.400 Klimaschutzmaßnahmen, die im Rahmen der Konsultation zum NEKP (Nationaler Energie- und Klimaplan) zusätzlich vorgeschlagen wurden, auf ihre Wirksamkeit und Umsetzbarkeit bewertet.6 Als eine der wirksamsten und gleichzeitig kostengünstig und rasch umsetzbaren Maßnahmen wurden niedrigere Tempolimits genannt.
Niedrigere Tempolimits senken Emissionen und erhöhen die Verkehrssicherheit
Durch Tempo 30 / 80 / 100 können bis zu 1,8 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen eingespart werden.7 Das Ziel für die gesamten Treibhausgas-Emissionen Österreichs außerhalb des EU-Emissionshandels liegt für das Jahr 2030 bei einer Einsparung von 19,2 Millionen Tonnen im Vergleich zum Jahr 2021.8Allein durch niedrigere Tempolimits können neun Prozent der notwendigen Reduktion aller Sektoren erreicht werden.
Die Klimaschutzmaßnahme niedrigere Tempolimits schafft weitere bedeutsame Vorteile, wie eine Reduktion der Lärmbelastung und der Luftschadstoffe.9 Auch das Unfallrisiko sinkt. Die Verkehrswissenschaft rechnet mit rund 15 Prozent weniger Unfällen und 28 Prozent weniger Verkehrstoten durch die Umsetzung von Tempo 30 / 80 / 100.10
In vielen Ländern Europas gilt Tempo 80 auf Freilandstraßen
In den meisten EU-Ländern gelten auf Freilandstraßen Tempo 80 oder Tempo 90 als Höchstgeschwindigkeit.11 Beispielsweise in den Niederlanden, in Frankreich, Norwegen, Liechtenstein und auch in der Schweiz liegt die Geschwindigkeitsbeschränkung bei 80 km/h. In Finnland wird das Tempolimit im Winter auf 80 km/h, in Schweden auf 70 km/h gesenkt.12 Neben der Reduktion der Treibhausgas- und Schadstoffbelastung sinkt durch Tempo 80 insbesondere auf Freilandstraßen das Unfallrisiko. Rund zwei Drittel der tödlichen Verkehrsunfälle passierten im Jahr 2023 auf Freilandstraßen.13 Studien rechnen durch Tempo 80 statt 100 mit einem Rückgang der auf Freilandstraßen tödlich Verunglückten um rund 30 Prozent.14 Für Anrainerinnen und Anrainer ergibt sich durch Tempo 80 ein weiterer Vorteil: Die Lärmemissionen reduzieren sich um zwei Dezibel im Gegensatz zu Tempo 100. Das menschliche Ohr nimmt das als eine Reduktion der Verkehrsmenge um ein Drittel wahr.15
Auch innerorts kann eine Temporeduktion Menschenleben retten. Das Tötungsrisiko für Fußgängerinnen und Fußgänger ist bei einer Kollision mit einem Pkw bei 50 km/h um vier- bis fünfmal höher als bei Tempo 30.16 Tempo 30 statt 50 erleichtert es zudem der Bevölkerung, Alltagswege im Ort mit dem Fahrrad zurückzulegen. In der französischen Stadt Lille wurde im Jahr 2019 Tempo 30 eingeführt. Der Radverkehrsanteil ist seither um 55 Prozent gestiegen.17 In Gemeinden und Städten in Österreich wird es ab dem 1. Juli einfacher, Tempo 30 in sensiblen Bereichen (zum Beispiel Schulen, Senioren- oder Freizeiteinrichtungen) umzusetzen.18
Geringer Zeitverlust versus weniger tödliche Unfälle
Der Zeitverlust durch niedrigere Tempolimits hält sich in Grenzen: Bedingt durch den nicht immer gleichmäßigen Verkehrsfluss liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit von Pkw auf Österreichs Autobahnabschnitten mit Tempo 130 um etwa 10 km/h niedriger.19 Niedrigere Geschwindigkeiten können den Verkehrsfluss gleichmäßiger machen, was Staus reduziert und in diesen Fällen Zeit spart. Eine weitere Ursache für Staus sind Unfälle. Sinkt die Zahl der Unfälle, sinkt auch die Anzahl von Staus.
Ein möglicher Zeitverlust ist aber nur ein Faktor, der mit anderen Zielen abgewogen werden muss. Fährt ein Pkw auf der Autobahn mit 100 km/h statt 130 km/h, sinkt der Spritverbrauch im Schnitt um 23 Prozent. Ein niedrigerer Treibstoffbedarf bedeutet auch weniger Fahrten zur Tankstelle. Außerdem kann Tempo 100 statt 130 auf Autobahnen die Zahl der Unfälle deutlich reduzieren, schwere Verletzungen vermeiden, Menschenleben retten.20 Auch reduziert Tempo 100 statt 130 den verkehrsbedingten Lärm fast so stark wie eine Halbierung der Verkehrsmenge.21 Eine minimal längere Fahrzeit steht also vielen Vorteilen gegenüber: Weniger Kosten, weniger Unfälle, weniger Leid, weniger Lärmbelastung.
Niedrigere Tempolimits: Rasch und günstig umsetzbar
Tempolimits sind die „low hanging fruits” im Klimaschutz. Sie sind im Unterschied zu anderen Maßnahmen rasch und kostengünstig umsetzbar sowie schnell wirksam und darüber hinaus auch sozial gerecht. Sie nicht umzusetzen bedeutet, dass in anderen Bereichen noch stärkere Anstrengungen oder Einschränkungen nötig werden. Technologische Innovationen (wie zum Beispiel E-Fuels) sind oft sehr teuer, nicht rasch wirksam und nicht praktikabel. Um den Straßenverkehr auf Klimakurs zu bringen, könnten also entweder Verbote notwendig werden – oder es werden einfache und effektive Maßnahmen wie niedrigere Tempolimits genutzt. Durch diese kommen sowohl Autofahrerinnen und Autofahrer als auch Österreich im Klimaschutz mit mehr Sicherheit ans Ziel.
Quellen
Quellen
1
Umweltbundesamt: Dashboard Klimadaten. URL https://www.umweltbundesamt.at/klima/dashboard - Stand 07.08.2024.
Climate Change Center Austria: Wissenschaftliche Bewertung der in der Konsultation 2023 zum NEKP vorgeschlagenen Maßnahmen. URL https://ccca.ac.at/wissenstransfer/stellungnahme-nekp-2023 - Stand 07.08.2024.
Steininger K. u.a.: Nationaler Energie- und Klimaplan (NEKP) für Österreich - Wissenschaftliche Bewertung der in der Konsultation 2023 vorgeschlagenen Maßnahmen. Wien: Climate Change Centre Austria, 2024.
FSV (Hrsg.): Ein neuer Ansatz für höchstzulässige Geschwindigkeiten im Straßenverkehr in Österreich aus synergetischer, nachhaltiger Sicht. Wien: FSV, 2022 (=FSV-Schriftenreihe 025/2022).
Finnish Transport Infrastructure Agency: Nächste Woche treten Geschwindigkeitsbeschränkungen im Winter und in der Dunkelheit in Kraft. URL https://vayla.fi/-/talvi-ja-pimean-ajan-nopeusrajoitukset-voimaan-ensi-viikolla - Stand 07.08.2024.
FSV (Hrsg.): Ein neuer Ansatz für höchstzulässige Geschwindigkeiten im Straßenverkehr in Österreich aus synergetischer, nachhaltiger Sicht. Wien: FSV, 2022 (=FSV-Schriftenreihe 025/2022)
Umweltbundesamt: Niedrigere Geschwindigkeit spart Energie und schont die Umwelt. URL https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/mobilitaet/mobilitaetsdaten/tempo - Stand 07.08.2024.
FSV (Hrsg.): Ein neuer Ansatz für höchstzulässige Geschwindigkeiten im Straßenverkehr in Österreich aus synergetischer, nachhaltiger Sicht. Wien: FSV, 2022 (=FSV-Schriftenreihe 025/2022).
FSV (Hrsg.): Ein neuer Ansatz für höchstzulässige Geschwindigkeiten im Straßenverkehr in Österreich aus synergetischer, nachhaltiger Sicht. Wien: FSV, 2022 (=FSV-Schriftenreihe 025/2022).
Umweltbundesamt: Niedrigere Geschwindigkeit spart Energie und schont die Umwelt. URL https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/mobilitaet/mobilitaetsdaten/tempo - Stand 07.08.2024.
VCÖ (Wien, 29. November 2024) – Beim Pkw-Besitz ist die Schere zwischen Stadt und Land im Vorjahr weiter auseinandergegangen. Während mit Ausnahme von Eisenstadt in allen Landeshauptstädten die Anzahl der Pkw im Verhältnis zur Bevölkerungszahl zurückgegangen ist, hat sie in fast allen Bezirken zugenommen, wie eine aktuelle VCÖ-Analyse auf Basis von Daten der Statistik Austria zeigt. Pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner ist Wien-Margareten Österreichs Bezirk mit der niedrigsten Anzahl an Pkw, der Bezirk Waidhofen an der Thaya jener mit der höchsten Anzahl. Die Mobilitätsorganisation VCÖ sieht die Bundesregierung und Bundesländer gefordert, das öffentliche Mobilitätsangebot zu verbessern.