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Transformation statt Weiter-wie-bisher: Straßenbau und Klimakrise
Von Michael Schwendinger (VCÖ - Mobilität mit Zukunft), November 2021
In Österreich wird gerade eine klimapolitische Gretchenfrage diskutiert: Steht der weitere Ausbau von Autobahnen und Schnellstraßen im Widerspruch zur Erreichung der Klimaziele? Die Antwort der Wissenschaft ist eindeutig: Ja, denn Straßen generieren Verkehr. Und auch die Einschätzung der Bevölkerung Österreichs ist klar und deutlich: Autobahnen und Schnellstraßen auszubauen, steht im Widerspruch zur Erreichung der Klimaziele – sagen 71 Prozent gemäß einer aktuellen, repräsentativen Market-Umfrage im Auftrag des VCÖ. 63 Prozent sind der Meinung, dass das hochrangige Straßennetz bis zum Jahr 2050 in Summe nicht weiter ausgebaut werden soll, wovon 7 Prozent gar für einen Rückbau plädieren.
Die Zeiten haben sich geändert
Der Ausbau von Autobahnen und Schnellstraßen ist in Österreich Sache des Bundes. Das Bundesstraßengesetz (BStG) gibt vor, welche Projekte in Frage kommen. Die meisten noch nicht realisierten Projekt-Vorhaben sind uralt. Über eine Schnellstraße (S1) durch die Lobau sowie durch das Traisental (S34) wird seit den 1970er-Jahren diskutiert, über die S18-Bodenseeschnellstraße seit den 1980er-Jahren. Diese Projekte stammen aus einer Zeit, in der „Klimakrise“ ein Fremdwort und Autobahnbau ein Symbol für Fortschrittlichkeit waren – lange vor der Geburt jener Generation, die heute auf der Straße für ihre eigene Zukunft zu demonstrieren gezwungen ist. Im Haus der Geschichte Österreich zeigt ein Tiroler Werbeplakat aus den 1970er-Jahren den damaligen Zeitgeist: eine idyllische Berglandschaft, ein verschlafenes Dörfchen und Blumen pflückende Kinder auf der Wiese – neben der fast leeren Brennerautobahn, als Sinnbild der perfekten Symbiose von Natur und Ingenieurskunst. Die Zeiten haben sich geändert.
Planungsgrundlagen auf Klimaziele auslegen
Bevor Straßenbauprojekte umgesetzt werden, braucht es Konkretisierung und Planung. In Österreich ist für den Neubau und maßgebliche Kapazitätserweiterungen von Autobahnen und Schnellstraßen seit dem Jahr 2005 eine Strategische Prüfung Verkehr gesetzlich vorgeschrieben. Ziel ist es, die Notwendigkeit sowie Umweltauswirkungen verschiedener Szenarien zu prüfen. Soweit, so gut. Die Crux: für ältere Projekte muss dies nicht nachgeholt werden. Das heißt, für den Großteil der Projekte im BStG gibt es keine gesetzlich verpflichtende Variantenprüfung. Und selbst wo eine solche Prüfung gemacht wurde, gibt es ein Problem: das Ergebnis ist nicht bindend. Für die Lobau-Autobahn etwa wurde bereits im Jahr 2002 eine strategische Umweltprüfung erstellt. Die darin empfohlene Variante führt am Nationalpark vorbei und hat einen Anschluss an die A22-Donauuferautobahn. Allerdings: die damals aus Umwelt- und Verkehrsperspektive am schlechtesten bewertete Variante einer Querung des Nationalparks an dessen breitester Stelle ohne Anschluss an die A22 wurde letztlich weiterverfolgt.
Dazu kommt ein weiteres Problem: das standardisierte Verkehrsmodell aus den 2000er-Jahren, auf Basis dessen bis heute Straßenbauprojekte geplant und eingereicht werden, kennt keine Klimakrise. Darin wird davon ausgegangen, dass der Verkehr in alle Ewigkeit zunimmt. Diese Logik mag für das Zeitalter der Massenmotorisierung angemessen gewesen sein. Würden wir ihr weiterhin folgen, ließe sich früher oder später jedes Straßenbauprojekt argumentieren. Der Ausweg liegt auf der Hand: wir brauchen Verkehrsmodelle, die auf die Erreichung der Klimaziele ausgelegt sind.
Die doppelte Mär von der Verkehrsentlastung
Das Hauptargument für Straßenausbau lautet meist: rasche Verkehrsentlastung. Diese Mär war und ist doppelt falsch. Einerseits dauert die Umsetzung derart heikler Projekte viele Jahre. Für die Lobau-Autobahn wurde mit einer Bauzeit von bis zu einem Jahrzehnt gerechnet, bei der S18 in Vorarlberg geht man gar von 20 Jahren aus – von rasch also keine Rede. Andere verkehrspolitische Maßnahmen – etwa eine Ausweitung des Öffi-Angebots oder Maßnahmen zur Entzerrung von Stoßzeiten – lassen sich schneller umsetzen. Andererseits währt die versprochene Verkehrsentlastung nach Ausweitung der Infrastruktur nur kurz, mittelfristig nimmt der Gesamtverkehr zu – wissenschaftlich vielfach belegt und gut nachvollziehbar, weil durch eine Verkürzung der Fahrzeit für viele ein starker Anreiz besteht, auf das Auto umzusteigen. Konkret: seit den 1980er-Jahren hat sich das Netz an Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich mehr als verdoppelt, die Verkehrsmittelwahl hat sich im selben Zeitraum stark in Richtung Auto verschoben. Die vermeintliche Lösung von damals, hat sich zum Verkehrsproblem von heute entwickelt – von der Belastung für Klima und Umwelt gar nicht zu reden.
Klimaverträgliche Mobilität ist vielfältig
Die Bewältigung der Klimakrise ist die Herausforderung des Jahrhunderts, der Verkehr ein Sorgenkind. Die Verkehrsinfrastruktur, die wir als Gesellschaft heute planen und bauen, beeinflusst das Mobilitätsverhalten auf Jahrzehnte – sie muss Teil der Lösung, nicht des Problems sein. Ist es angesichts der Klimakrise aus Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen also angezeigt, vor dem Bau zusätzlicher Autobahnen und Schnellstraßen nach klimaverträglichen Alternativen zu suchen? Ja, sagen 80 Prozent der Bevölkerung in Österreich.
Im Sinne der allgemeinen Lebensqualität geht es nicht um Verkehr, sondern um Mobilität – darum, dass Menschen gut und sicher von A nach B kommen. Im vorigen Jahrhundert gab es dafür vor allem eine Strategie: Straßen bauen. Heute sind die Möglichkeiten vielfältig: ein zunehmend integriertes System aus Bahn, Bus, Bim, Sharing und flexiblen Shuttle-Services ermöglicht zukunftsfähige Mobilität, unterstützt vom durch den E-Motor deutlich gestiegenen Potenzial des Fahrrads. Auch die Digitalisierung und Home-Office sowie eine Wiederbelebung von Ortskernen mit Nahversorgung in Gehdistanz werden eine wichtige Rolle für ein klimaverträgliches Verkehrssystem spielen. Vieles ist mit Hinblick auf ein klimaverträgliches Verkehrssystem denkbar – eines mit wissenschaftlicher Sicherheit nicht: ein Weiter-wie-bisher im Straßenbau. Infrastrukturen sind ein Vermächtnis an die kommenden Generationen. Das Bundesministerium für Klimaschutz hat mit seiner Entscheidung zum Lobautunnel angesichts der sich verschärfenden Klimakrise den einzig möglichen und damit richtigen Schritt gesetzt.
Der VCÖ ist gemeinnützig und setzt sich für eine ökologisch verträgliche und sozial gerechte Mobilität mit Zukunft ein. Wir sind auf Spenden von Privatpersonen angewiesen. Bitte unterstützen Sie uns mit Ihrer steuerlich absetzbaren Spende.
Klimaverträgliche Mobilität ist in Österreich ein sehr großer, häufig unterschätzter Wirtschaftsfaktor. Das gilt für den Bahnbereich, aber auch für Gehen und Radfahren.
Im Jahr 2023 starben in Österreich wegen nicht angepasster Geschwindigkeit 108 Menschen, um 29 Prozent mehr als im Jahr davor. Je schneller gefahren wird, desto länger ist der Anhalteweg und desto höher sind Unfallrisiko und Schwere der Unfälle. Niedrigere Geschwindigkeiten sind eine zentrale Maßnahme, um die Zahl der Verletzten und Getöteten im Straßenverkehr zu reduzieren. Das bloße Aufstellen von Schildern mit niedrigeren Tempolimits alleine erhöht die Verkehrssicherheit allerdings noch nicht – es braucht auch Maßnahmen, die die Einhaltung der Tempolimits sicherstellen.