VCÖ-Fachpersonenbefragung: Stärkung des Öffentlichen Verkehrs als Rückgrat in der Klimakrise

Die Klimaziele im Verkehr sind nur erreichbar, wenn künftig mehr Autofahrten auf öffentliche Verkehrsmittel verlagert werden. Durch die Covid-19-Pandemie wurde der Öffentliche Verkehr vor große Herausforderungen gestellt, die Fahrgast-Zahlen brachen deutlich ein. Andererseits arbeitet die aktuelle Bundesregierung Österreichs an der Umsetzung eines österreichweiten Tickets für den Öffentlichen Verkehr. In diesem Kontext stellen sich zahlreiche Fragen zur unmittelbaren Zukunft des Öffentlichen Verkehrs. Welche Maßnahmen sind am wirkungsvollsten, um den Anteil des Öffentlichen Verkehrs am Modal Split erhöhen zu können? Was können öffentliche Verkehrsunternehmen tun, um mehr Fahrgäste zu gewinnen? Welche politischen Rahmenbedingungen sind nötig? Wo und für welche Wegzwecke sind die Verlagerungspotenziale am größten? Wie könnte ein Zukunftsszenario für ein integriertes System an öffentlich zugänglichen Mobilitätsangeboten aussehen?

Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich die VCÖ-Fachpersonenbefragung „Stärkung des Öffentlichen Verkehrs als Rückgrat in der Klimakrise“. An der im Juni 2021 durchgeführten Online-Umfrage haben rund 250 Fachleute für ganz unterschiedliche Fachgebiete mit Mobilitätsbezug aus 175 Organisationen aus den Bereichen Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft teilgenommen.

Die Ergebnisse der VCÖ-Fachpersonenbefragung sind im Folgenden zusammengestellt. Hier erfahren Sie, welchen Institutionen, Universitäten, Forschungseinrichtungen oder Organisationen an der VCÖ-Fachpersonenbefragung teilnehmenden Expertinnen und Experten angehören. Danach werden die Ergebnisse der einzelnen Fragestellungen jeweils in einer Grafik dargestellt sowie die wesentlichen Erkenntnisse in schriftlicher Form erläutert. Bei jenen Fragen, bei denen es in der Umfrage einen offenen Teil für Ergänzungen gab, sind die wichtigsten und am häufigsten genannten Aspekte in einer kurzen Zusammenfassung schriftlich ergänzt.

Frage 1: Welche Maßnahmenbereiche schätzen Sie als besonders wichtig ein, um den Anteil des Öffentlichen Verkehrs an den alltäglich zurückgelegten Wegen effektiv zu erhöhen?

Als wichtigste Maßnahme, um den Anteil des Öffentlichen Verkehrs im Alltag effektiv zu erhöhen, nennen 98 Prozent der Fachleute die Ausweitung des Angebots im Sinne häufigerer Verbindungen als eher oder sehr wichtig. Ebenfalls für wichtig erachtet werden das Bereitstellen eines Angebots für die erste und letzte Meile sowie ordnungs- und steuerpolitische Push-Maßnahmen, die den Öffentlichen Verkehr gegenüber dem Pkw-Verkehr attraktiver machen sollen. Auch eine einfach zu bedienende Buchungsplattform sehen knapp die Hälfte der Fachleute als sehr wichtige Maßnahme an, gefolgt von betrieblichem Mobilitätsmanagement bei Unternehmen und Bildungseinrichtungen. Auch attraktive Ticketpreise werden von 84 Prozent der Fachleute als eher oder sehr wichtig eingeschätzt, wobei dieser Aspekt im Vergleich zu den weiteren Maßnahmen nicht als prioritär erachtet wird.

Offene Frage nach weiteren Maßnahmen:
Bei der offenen Frage, welche weiteren Maßnahmen empfohlen werden, ist die Übereinstimmung bei zwei Themen hoch. Einerseits ist Komfort im Öffentlichen Verkehr laut Einschätzung mehrerer Fachleute ein entscheidender Faktor, um den Modal Split an den alltäglichen Wegen zu erhöhen. Andererseits wurde auch die Bevorrangung des Öffentlichen Verkehrs gegenüber dem Kfz-Verkehr von mehreren Fachleuten als weitere wichtige Maßnahme genannt. Ein Vorschlag geht so weit, eine solche Priorisierung klimaverträglicher Verkehrsmittel gegenüber dem Pkw in ein Bundesmobilitätsgesetz einfließen zu lassen. Weiters genannt wurden generelle Verbesserungen des Öffentlichen Verkehrs etwa in punkto Reisezeit und Verlässlichkeit.

Darüber hinaus wird bessere Kooperation über die Verkehrsverbünde hinaus mehrfach empfohlen. Auch die stärkere Anwendung und Ausweitung von Parkraumbewirtschaftung sowie sukzessive Reduktion der im öffentlichen Raum zur Verfügung gestellten Pkw-Abstellplätze wird mehrfach genannt – auch für große Verkehrserreger wie etwa Unternehmen. Generell sollte der öffentliche Raum laut einigen Fachleuten für klimaverträgliche Verkehrsmittel umgestaltet werden. Mehrmals erwähnt wird auch, dass die Verknüpfung von Fuß- oder Radwegen mit Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs sowie die Fahrradmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln verbessert werden sollte.

Mehrere Fachpersonen kommentierten auch, dass im Bereich Öffentlicher Verkehr ein Umdenken hin zu einem Denken in Wegketten stattfinden muss und es für Fahrgäste mit komplexen Wegketten bessere Angebote braucht, etwa in Form von Schließfächern zur Zwischenlagerung oder von Transportservices für Einkäufe oder Gepäck.

Frage 2: Halten Sie eine Konkretisierung und Umsetzung einer Mobilitätsgarantie etwa nach Schweizer Vorbild als Schritt in Richtung Mobilitätswende für sinnvoll?

Im aktuellen Regierungsprogramm der Bundesregierung Österreichs ist die Umsetzung einer „flächendeckenden Mobilitätsgarantie“ als Ziel formuliert. In der Schweiz sind Mindestbedienstandards mit Öffentlichem Verkehr je Gemeinde gemäß bestimmten Kriterien (etwa die Anzahl der dort lebenden Menschen) gesetzlich verankert. Neun von zehn der teilnehmenden Fachleute finden, dass eine solche Mobilitätsgarantie nach Schweizer Vorbild auch für Österreich sinnvoll wäre, mehr als die Hälfte der Fachleute halten das sogar für sehr sinnvoll. Bemerkenswert ist auch, dass unter den Teilnehmenden Menschen keine einzige Person dabei ist, die eine solche Mobilitätsgarantie dezidiert nicht als sinnvoll erachtet.

Frage 3: Wie groß schätzen Sie das Potenzial von Verbesserungen für die erste/letzte Meile durch die folgenden Maßnahmen ein?

Für ein attraktives Angebot des Öffentlichen Verkehrs spielt die „erste/letzte Meile“ eine wichtige Rolle. Mehr als 90 Prozent der Expertinnen und Experten finden, dass es dafür besonders wichtig ist, Bahnhöfe und Haltestellen zu Fuß und mit dem Fahrrad gut erreichen zu können und bei der Haltestelle hochwertige Abstellplätze für Fahrräder und Elektro-Fahrräder vorzufinden. 85 Prozent der teilnehmenden Fachpersonen sind darüber hinaus der Meinung, dass einfach zu bedienende Buchungsplattformen hohes Potenzial aufweisen. Deutlich weniger, jedoch trotzdem über drei Viertel der Fachleute stufen auch das Potenzial von nachfragebasierten Mobilitätsdienstleistungen wie Rufbussen oder Anrufsammeltaxis sowie mehr Park & Ride-Anlagen als eher oder sehr hoch ein und mehr als zwei Drittel halten Carsharing- und Bikesharing-Angebote bei den Haltestellen für eine sinnvolle Maßnahme.

Vergleichsweise weniger Potenzial wird hingegen einem Scootersharing-Angebot bei Haltestellen zugetraut, 41 Prozent der Expertinnen und Experten sehen darin eher oder sehr hohes Potenzial, umgekehrt sehen 59 Prozent geringes oder eher geringes Potenzial.

Frage 4: Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Punkte, die Sharing-Angebote erfüllen müssen, um von der Bevölkerung in Kombination mit dem Öffentlichen Verkehr gut angenommen zu werden?

Das Sharing von Autos, Fahrrädern und Scootern verbreitet sich derzeit in vielen Regionen. Dabei schätzen Expertinnen und Experten Niederschwelligkeit als wichtigste Voraussetzung. Laut den Teilnehmenden müssen Sharing-System in erster Linie einfach zu bedienen sein. Das inkludiert die Integration aller Mobilitätsangebote in eine zentrale Plattform, über die gemeinsam gebucht und abgerechnet werden kann – ein Vorschlag, den etwa ein Drittel aller teilnehmenden Fachleute vorbrachte.

Beinahe ebenso viele Expertinnen und Experten empfehlen eine verständliche und kostengünstige Bepreisung und spezielle Preise für Menschen, die Sharing-Angebote gemeinsam mit dem Öffentlichen Verkehr nutzen. Einige Male wurde sogar die kostenlose Nutzung von Fahrrad- und Scootersharing vorgeschlagen. Ein weiterer Vorschlag war, dass Sharing-Anbieter verpflichtet werden sollten, mit dem Öffentlichen Verkehr kompatible Angebote anzubieten.

Einige Fachleute betonten besonders, dass das Angebot nicht nur in Städten, sondern gerade in Regionen mit weniger dichtem Angebot an Öffentlichem Verkehr gibt verfügbar sein sollte, um Unabhängigkeit vom Privat-Pkw zu vereinfachen. Viele der Teilnehmenden sind sich einig, dass Sharing-Angebote gut zu Fuß und mit dem Fahrrad erreichbar sein sollten und, dass die Verkehrsmittel verlässlich zur Verfügung stehen müssten. Betont wurde auch, dass Flexibilität gerade bei der Rückgabe eine große Rolle spielt. Dabei reichten die Vorschläge von der Empfehlung, die Fahrzeuge an einer anderen als der Abholstation zurückgeben zu können, über fixe Abholorte, aber räumlich flexible Rückgabeorte, bis hin zum Wunsch nach free-floating-Systemen. Es wurde auch vorgeschlagen, dass die Fahrzeuge idealerweise kostenfrei über Nacht von der entleihenden Person aufbewahrt werden und am nächsten Tag zurückgebracht werden könnten.

Frage 5: Sowohl für die Attraktivität als auch die Kapazität von öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine gleichmäßigere Auslastung durch Entzerrung von Stoßzeiten wichtig. Wo sehen Sie diesbezüglich am meisten Potenzial?

Um durch Entzerrung der Stoßzeiten den Öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen und seine Kapazität auch ohne infrastrukturelle Maßnahmen zu erweitern, empfahlen 92 Prozent der befragten Expertinnen und Experten Homeoffice und flexible Arbeitszeiten zu forcieren. 81 Prozent sahen auch eher oder sehr großes Potenzial bei flexibleren Schulbeginnzeiten, gefolgt von flexibleren Beginnzeiten für Berufstätige. Deutlich geringer wurde das Potenzial zur Entzerrung von Stoßzeiten durch flexible Ticketmodelle, Bewusstseinsbildung oder die digitale Anzeige der zu erwartenden Auslastung öffentlicher Verkehrsmittel eingeschätzt.

Offene Frage nach weiteren Maßnahmen:
Als weitere mögliche Maßnahmen wurden in einer offenen Zusatzfrage vielfach preisliche Anreize genannt – das heißt höhere Ticketpreise zu Stoßzeiten. Allerdings wurde mehrfach angemerkt, dass diese Maßnahme vor allem in Kombination mit der Flexibilisierung von Arbeits-, Schul- und Veranstaltungszeiten effektiv wäre. Ebenfalls mehrfach genannt wurde die Ausweitung des Angebots durch dichtere Intervalle an Stoßzeiten, längere Betriebszeiten in der Früh und am Abend, Anpassung der Kapazitäten und Kooperationen mit Mikro-ÖV-Diensten für die erste und letzte Meile beziehungsweise Feinverteilung. Darüber hinaus wurde auch auf bessere Kooperation zwischen verschiedenen Veranstaltungen und Verkehrserregern hingewiesen, sodass die Beginnzeiten besser aufeinander beziehungsweise den Öffentlichen Verkehr abgestimmt werden können.

Frage 6: Ein großer Hebel für mehr Öffentlichen Verkehr sind Arbeitswege und berufliche Fahrten. Was sind Ihrer Einschätzung nach die effektivsten Maßnahmen, um möglichst viele dieser Fahrten auf den Öffentlichen Verkehr zu verlagern?

Arbeitswege und dienstliche Fahrten verursachen in Österreich mehr als die Hälfte des Pkw-Verkehrs an Werktagen, weshalb in diesem Bereich ein großer Hebel für klimaverträglicheren Verkehr besteht. Die befragten Expertinnen und Experten empfinden alle angeführten Maßnahmen dazu mehrheitlich für eher oder sehr wichtig, um Arbeitswege in Zukunft klimaverträglicher zu gestalten. Am wichtigsten wird mit einer Zustimmung von 96 Prozent eine Reform des Pendelpauschales gesehen, die starke Anreize für die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs setzen sollte, wenn ein Angebot verfügbar ist. Mit Zustimmung von jeweils über 90 Prozent folgen ordnungspolitische Maßnahmen, wie etwa Parkraummanagement auch auf Betriebsgeländern, sowie Abschaffung des Steuerprivilegs für Dienstwagen. Knapp die Hälfte der Fachleute sieht auch Maßnahmen für häufigere Nutzung des Öffi-Jobtickets sowie steuerliche Anreize oder verpflichtende Umsetzung von betrieblichem Mobilitätsmanagement für größere Unternehmen als sehr wichtig an.
Deutlich seltener als sehr wichtige Maßnahme in diesem Zusammenhang wurden Sharing-Angebote für die erste und letzte Meile, Zusatzangebote wie Abholstationen oder Einkaufsmöglichkeiten an Haltestellen sowie Bewusstseinsbildung genannt.

Offene Frage nach weiteren Maßnahmen:
In der offenen Zusatzfrage wurde mehrfach auf den notwendigen Ausbau des Öffi-Angebots sowie kürzere Reisezeiten, Pünktlichkeit sowie Verbesserung der Anschlussverbindungen  hingewiesen. Attraktiviert könnte der Öffentliche Verkehr am Arbeitsweg laut Fachmeinung auch durch bessere Ausstattung für mobiles Arbeiten werden, etwa bessere Internet-Verbindung, mehr Steckdosen und Platz für Arbeitsgeräte oder eine Sitzplatzgarantie. Als wichtigste Push-Maßnahme wird die Abschaffung von Gratis-Abstellplätzen am Arbeitsplatz gesehen.

Frage 7: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe, dass Menschen lieber das Auto benützen statt den Öffentlichen Verkehr?

Der wichtigste Grund, warum Menschen lieber das Privat-Auto statt den Öffentlichen Verkehr nutzen, ist gemäß Einschätzung der teilnehmenden Expertinnen und Experten der Faktor Komfort und Bequemlichkeit. Weitere Gründe, die mehr als 90 Prozent der Fachleute als eher oder sehr wichtig einschätzen, sind kürzere Reisezeiten, einfachere Organisation komplexer Wegeketten sowie die wahrgenommene Unabhängigkeit von Fahrplänen etc. Mangelndes Angebot an Öffentlichem Verkehr wird von 44 Prozent als sehr wichtiger Grund genannt, rangiert aber im Vergleich zu den vorher genannten Gründen erst auf dem 5. Platz, knapp vor der generellen Wertehaltung einer Person sowie der Notwendigkeit, sperrige Gegenstände transportieren zu müssen. Den Faktor Kosten sowie nutzbare Fahrzeit wird mehrheitlich als wenig bis nicht relevant eingeschätzt.

Offene Frage nach weiteren Maßnahmen:
Die häufigste Antwort bei der offenen Zusatzfrage war, dass Gewohnheit und in der Kindheit erlerntes Verhalten ein Hauptgrund für die Bevorzugung des Pkw sind. Auch der Faktor Pkw als Statussymbol wurde mehrfach genannt. Weiters genannt wurde, dass Menschen die Ruhe und Abgeschiedenheit im eigenen Auto dem gemeinsamen Reisen mit andern vorziehen. Auch Fehlinformation und Fehleinschätzung bezüglich Reisezeiten und Verlässlichkeit, aber vor allem auch tatsächliche Kosten der Pkw-Nutzung wurde als Faktor genannt. Nicht zuletzt wurde auch der deutlich höhere Nutzungsanreiz des Pkw genannt, wenn er schon einmal vorhanden ist.

Frage 8: Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe, dass Menschen lieber den Öffentlichen Verkehr benützen als das Auto?

Die befragten Expertinnen und Experten sind sich mit 98 Prozent fast unisono einig, dass die nutzbare Zeit während der Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel ein eher oder sehr wichtiger Grund für die Nutzung des Öffentlichen Verkehr ist. Weitere häufig genannte Gründe sind mangelnde Pkw-Verfügbarkeit (84 Prozent) und der Wunsch, sich nicht um einen Stellplatz oder die Instandhaltung des Pkw kümmern zu müssen (83 Prozent). Erst an 4. Stelle wurde das Kosten-Argument als Grund für die Nutzung des Öffentlichen Verkehrs eingestuft, gefolgt von der persönlichen Wertehaltung. Komfort und kurze Reisezeiten sind laut Einschätzung der Fachleute verhältnismäßig weniger wichtige Gründe die Öffis zu nutzen. Die Erledigung komplexer Wegeketten sowie Notwendigkeit sperrige Gegenstände zu transportieren, wurde mit großer Mehrheit als weniger oder nicht wichtig eingeschätzt.

Offene Frage nach weiteren Maßnahmen:
Bei der offenen Zusatzfrage wurde vor allem das je Region sehr unterschiedliche Angebot an Öffentlichem Verkehr als ausschlaggebender Grund für die Öffi-Nutzung genannt. Weiters wurde das steigende Umweltbewusstsein, das Gefühl von Verlässlichkeit und Sicherheit sowie Gewohnheit und allgemeine Freude mit der Bahn zu fahren als Gründe angeführt. Umgekehrt wurden auch Push-Maßnahmen im Bereich Pkw-Verkehr, etwa die Einrichtung von Sammelgaragen in ähnlicher Distanz wie Öffi-Haltestellen, als wichtige Maßnahmen zur Attraktivierung des Öffentlichen Verkehrs genannt.

Frage 9: Bei welchen Wegzwecken sehen Sie Potenzial, um den Anteil des Öffentlichen Verkehrs am Modal Split zu erhöhen?

Laut den befragten Expertinnen und Experten gibt es vor allem bei alltäglichen Routine-Wegen ein hohes Potenzial, den Anteil des Öffentlichen Verkehrs zu erhöhen. Mit deutlichem Abstand gaben 98 Prozent der Teilnehmenden an, dass sie eher oder sehr hohes Potenzial auf Arbeitswegen für mehr Öffentlichen Verkehr sehen, gefolgt von 85 Prozent bei Geschäftsreisen und Dienstwegen und 73 Prozent bei Wegen zu Schule und Ausbildung. Deutlich weniger Potenzial wurde Urlauben und Ausflügen sowie privaten Besuche und Erledigungen zugeschrieben. Mehrheitlich geringes Potenzial für die Erhöhung des Anteils an Öffentlichem Verkehr wurde bei Einkaufswegen sowie Wegen zum Holen und Bringen gesehen.

Frage 10: In welchen Regionen sehen Sie Potenzial, um den Anteil des Öffentlichen Verkehrs am Modal Split zu erhöhen?

Um den Anteil des Öffentlichen Verkehrs an allen Wegen zu erhöhen, sehen die teilnehmenden Expertinnen und Experten unterschiedlich viel Potenzial in verschiedenen Regionen. Während von fast allen Befragten (98 Prozent) eher oder sehr hohes Potenzial in Ballungsräumen und im Stadtumland – also im sogenannten Speckgürtel – sowie in größeren Städten verortet wird, wird das Potenzial in Kleinstädten, für überregionale Reisen und vor allem in Regionen mit kleineren Gemeinden als verhältnismäßig geringer eingeschätzt. 43 Prozent der teilnehmenden Fachleute sieht in Gemeinden und Regionen lediglich eher oder sehr geringes Potenzial, um den Anteil des Öffentlichen Verkehrs zu erhöhen.

Frage 11: Welche Maßnahmen halten Sie für besonders effektiv, um mehr innereuropäische Flüge auf die Bahn zu verlagern?

Innereuropäische Strecken könnten und sollten im Sinne eines klimaverträglichen Verkehrssystems zukünftig stärker auf die Bahn verlagert werden. Alle der dazu abgefragten Maßnahmen wurden von jeweils mehr als 80 Prozent der Fachpersonen als eher oder sehr wichtig erachtet. Vor allem drei Maßnahmen wurden von den Fachleuten als sehr wichtig eingeschätzt: Ausweitung des Angebots an Direktverbindungen, Abschaffung der Steuerbegünstigungen des Flugverkehrs und Verhinderung von Dumpingpreisen für Kurzstreckenflüge. Erst nach diesen beiden Push-Maßnahmen wurden weitere Verbesserungen im Bereich des Angebots als wichtige Maßnahmen genannt. 62 Prozent der Fachleute nannten attraktivere Bahn-Ticketpreise, 65 Prozent einfacheres Routing und Ticketing für internationale Bahnverbindungen als sehr wichtig. Erstaunlicherweise verhältnismäßig wenig Gewicht wurde von den Fachleuten auf den Faktor kürzere Reisezeiten der Bahnverbindungen gelegt, jedoch wird auch diese Maßnahme mit 81 Prozent Zustimmung von den meisten Beteiligten für wichtig erachtet.

Frage 12: Was sind die zentralsten Maßnahmen, die Verkehrsunternehmen umsetzen müssen, damit der Anteil des Öffentlichen Verkehrs am Modal Split in den kommenden Jahren deutlich steigt?

Die von den befragten Expertinnen und Experten am häufigsten genannte Empfehlung an Verkehrsunternehmen, um Öffentlichen Verkehr attraktiver zu machen, ist das Schaffen eines besseren und umfangreicheren Angebots. Besonders häufig empfahlen die Befragten die Verdichtung des Takts, ein hohes Ausmaß an Verlässlichkeit, ein gut aufeinander abgestimmtes Angebot für reibungsloses Umsteigen insbesondere durch das Erstellen eines Taktfahrplans, sowie generell mehr und wenn möglich direkte Verbindungen und längere Betriebszeiten.

Viele Vorschläge kamen auch zu den Themen Ticketing und Administration. In diesem Bereich wurde besonders häufig auf die Attraktivität eines einfachen, integrierten und niederschwelligen Ticket- und Buchungssystems hingewiesen. Viele Fachpersonen wiesen auch darauf hin, dass die Tickets günstig sein sollten und einige erwähnten die Vorteile, die sich durch eine bessere Kooperation zwischen den Verkehrsverbünden in Österreich ergeben würde.

Als wichtig nehmen die Befragten auch das Denken in und Organisieren von verkehrsmittel-übergreifenden Wegeketten wahr. Dabei wurde darauf hingewiesen, dass die erste und letzte Meile stets mitgedacht werden muss, indem Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs vor allem auch gut zu Fuß und mit dem Fahrrad erreichbar sind und es Sharing- sowie Mikro-ÖV-Angebote gibt, um die erste und letzte Meile je nach Bedarf und Möglichkeit erledigen zu können.

Häufig betonten die Expertinnen und Experten auch die Wichtigkeit von gutem Service. Besonders oft wurde dabei der Faktor Komfort erwähnt, ebenfalls wichtig sind niederschwellige und barrierefreie Bereitstellung von Informationen vor und während der Fahrt, etwa bei Verspätungen. Da die nutzbare Reisezeit als sehr wichtiger Grund für die Öffi-Nutzung eingeschätzt wird, ist eine gute Ausstattung wichtig, um diese Reisezeit auch tatsächlich gut – etwa zum Arbeiten – nutzen zu können. Auch Sauberkeit und Freundlichkeit des Service-Personals wurde als relevante Grundvoraussetzung für häufigere Öffi-Nutzung mehrfach erwähnt.

Frage 13: Was sind die zentralsten Maßnahmen von Seiten der Politik, damit der Anteil des Öffentlichen Verkehrs am Modal Split in den kommenden Jahren deutlich steigt?

Laut den befragten Expertinnen und Experten wirkt ein Mix aus klassischen Push- und Pull-Maßnahmen seitens der Politik am effektivsten, um den Anteil des Öffentlichen Verkehrs zukünftig zu erhöhen.

Als Pull-Maßnahme wird hierbei am häufigsten vorgeschlagen, in den Ausbau und die Qualität des Angebots im Öffentlichen Verkehr zu investieren. Nicht nur die Infrastruktur sollte konsequent und strategisch ausgebaut werden, auch eine Verdichtung des Takts muss durch die öffentliche Hand unterstützt werden. Auch in diesem Zusammenhang wurde die Umsetzung einer Mobilitätsgarantie nach Vorbild der Schweiz vorgeschlagen.

Als Push-Maßnahmen wird vor allem auf eine Verbesserung der Kostenwahrheit im Verkehr hingewiesen, zum Beispiel indem der Pkw-Verkehr im Rahmen einer kilometerabhängigen Pkw-Maut oder einer Anhebung der Mineralölsteuer oder Einführung einer CO2-Bepreisung einen höheren Anteil der verursachten Kosten trägt. Viele Fachleute schlugen auch eine Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung und Abschaffung beziehungsweise sukzessiver Reduktion und Umnutzung von kostenlosen Pkw-Abstellplätzen als effektive Push-Maßnahme in Städten und Ballungsräumen vor. Darüber hinaus empfehlen auch mehrere Fachleute zu ordnungspolitischen Maßnahmen wie ortsspezifischen Fahrverboten oder dem Rückbau von überdimensionierten Kfz-Straßen und Fahrspuren.

Auch Öffentlichkeitsarbeit und Vorbildwirkung hat nach Einschätzung der Fachleute großes Potenzial. Viele der Befragten äußern, dass Politikerinnen und Politiker selbst mit gutem Beispiel vorangehen sollten und regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel anstelle von Dienstwagen nutzen sollten.

Frage 14: Was sind die zentralsten Maßnahmen von Seite der Unternehmen in Hinblick auf die Mobilität ihrer Beschäftigten, damit der Anteil des Öffentlichen Verkehrs am Modal Split in den kommenden Jahren deutlich steigt?

Bei den Schritten, die Unternehmen setzen können, betreffen die häufigsten Vorschläge der Expertinnen und Experten gesamtbetriebliche Maßnahmen. Einerseits werden viele Empfehlungen für ein gesamtbetriebliches Mobilitätsmanagement, dass sowohl Angestellte als auch die Geschäftsführung betreffen soll, in etwa durch betriebliche Vorgaben zur Verkehrsmittelwahl bei Dienstreisen. Andererseits wird konkret vielfach Parkraummanagement vorgeschlagen. Besonders oft kommt hier die Empfehlung zu Bewirtschaftung des Parkraums, gegebenenfalls bedarfsabhängig kostenlos nur für jene Angestellten, die keine öffentliche Verbindung in die Firma haben oder die in einer Fahrgemeinschaft in die Firma kommen. Auch die Reduktion der Pkw-Stellplätze sowie die Abschaffung von Dienstautos werden mehrmals vorgeschlagen.

Auch Anreize für den Öffentlichen Verkehr zu setzen ist laut den Befragten sehr wichtig. Dabei lässt sich über sanfte Maßnahmen und Gamification Einiges bewegen. Viele von ihnen schlagen Maßnahmen wie Auszeichnungen oder Boni für Beschäftigte mit klimaverträglicher Arbeitsmobilität oder innerbetriebliche Wettbewerbe vor. Darüber hinaus empfinden die Fachleute eine stärkere Einführung des Jobtickets in Unternehmen als sinnvoll.

Es ist zudem notwendig, dass für die Beschäftigten ein gutes öffentlich zugängliches Angebot zur Verfügung steht, das sie nutzen können. Die Befragten sehen dabei auch die Unternehmen in der Pflicht, schon bei der Standortwahl die öffentliche Anbindung zu berücksichtigen, sich bei Politik und Verkehrsverbünden für gute Verbindungen einzusetzen und die Anschlüsse dann regelmäßig zu überprüfen. Gibt es keine gute Verbindung direkt in die Firma sollen Unternehmen sich proaktiv durch Sharing-Angebote, Firmenfahrräder oder Sammelbusse um ein Angebot für die letzte Meile kümmern.

Ebenfalls zentral ist die Sichtbarkeit und Bewusstseinsbildung im Unternehmen, um bei den Angestellten ein Problembewusstsein zu erzeugen, etwa durch regelmäßige Informationsveranstaltungen oder sichtbare Pinnwände in der Firma. Mehrere an der Umfrage teilnehmende Fachpersonen erwähnten auch die Notwendigkeit, dass der Vorstand oder die Geschäftsführung in einer Vorbildrolle agiert und ebenfalls vermehrt den Öffentlichen Verkehr nutzt.

Flexiblere Arbeitszeiten können laut dem Fachgremium zu mehr klimaverträglicher Mobilität am Arbeitsweg beitragen. Einige Male wird auch empfohlen, dass die Pendelzeit in manchen öffentlichen Verkehrsmitteln an Arbeitszeit angerechnet werden darf.

Frage 15: Zukunftsszenario integriertes Mobilitätskonto

Zum Abschluss, ein Zukunftsszenario für den Öffentlichen Verkehr. Stellen Sie sich vor: Das gesamte Angebot aller öffentlich zugänglichen Mobilitätsdienstleistungen (von Bus und Bahn bis hin zu Sharing-Angeboten und nachfragebasierten Mobilitätsdienstleistungen) steht über ein zentrales Mobilitätskonto zur Verfügung. Unabhängig davon wie viele Verkehrsunternehmen im Hintergrund miteinander kooperieren, gebucht wird aus einem vielfältigen Angebot nach individuellem Bedarf. Der Zugang erfolgt über eine Mobilitätskarte (ähnlich der heutigen E-Card im Gesundheitssystem) oder Smartphone, was sowohl als Ticket gilt, wie auch als Schlüssel für Sharing-Fahrzeuge und zur Abwicklung von nachfragebasierten Mobilitätsdienstleistungen (z.B. Anrufsammeltaxi etc.) funktioniert.

Zum Abschluss wurde abgefragt, ob ein Zukunftsszenario in Richtung eines einheitlichen Mobilitätskontos, über welches das komplette Angebot des öffentlich zugänglichen Verkehrs einfach und niederschwellig zur Verfügung steht, wünschenswert wäre. Diese Zielrichtung wurde sehr eindeutig unterstützt. 94 Prozent der teilnehmenden Fachleute schätzen ein solches Szenario als eher oder sehr wünschenswert ein, 71 Prozent sogar als sehr wünschenswert.

Für wie realistisch halten Sie dieses Szenario in Bezug auf die Umsetzung in Österreich?

Bei der Einschätzung, wann und ob ein solches Szenario in Österreich umgesetzt wird, gehen die Meinungen der Expertinnen und Experten etwas weiter auseinander. Während lediglich 13 Prozent der Meinung sind, dass ein integriertes Mobilitätskonto im Laufe der nächsten fünf Jahre realisiert wird, denken mit 48 Prozent fast die Hälfte, dass es noch etwa zehn Jahre dauern wird. Mit 26 Prozent sind immerhin mehr als ein Viertel der Teilnehmenden der Meinung, dass es länger als zehn Jahre dauern wird und 13 Prozent schätzen, dass dieses Szenario in Österreich überhaupt nicht realistisch ist.

Offene Frage nach Adaptionen und Ergänzungen des Szenarios:
Hinsichtlich dem Einsatz von Technologie war vielen Expertinnen und Experten das Thema Datenschutz wichtig. Mehrfach wurde erwähnt, dass Fahrgäste die Möglichkeit haben müssen, transparent einsehen zu können, was mit ihren Daten passiert. Einige der Teilnehmenden wiesen in diesem Kontext auch auf die Gefahr einer sogenannten „Digital Divide“ hin und forderten, dass im Sinne der Barrierefreiheit und Inklusion auch zukünftig die Verwendung von Apps und Smartphones keine Voraussetzung für Teilhabe an öffentlich zugänglichen Mobilitätsangeboten sein dürfen. Ebenfalls erwähnt wurde die Gefahr von gezielten Hacking-Angriffen, wenn der gesamte öffentlich zugängliche Verkehr von einem System abhängig ist.

Auch weitere infrastrukturelle und angebotsseitige Maßnahmen wurden genannt. Erwähnt wurden unter anderem eine Reduktion von Pkw-Stellplätzen und andere bauliche, für den Kfz-Verkehr restriktive Maßnahmen, Einführung einer CO2-Bepreisung, Ausbau der Verbindungen und Kapazitäten des Öffentlichen Verkehrs sowie kürzere Reisezeiten. Auch das verstärkte Mitdenken des Radverkehrs und Gehen sehen viele Fachleute für wichtig an. Weiters wurde eine bessere Kooperation der Verkehrsverbünde, die Verknüpfung mit der Wohnbauwirtschaft sowie Klärung des rechtlichen Rahmens für ein solches Mobilitätskonto als wichtig erachtet.