An Kindern ist die Qualität der Verkehrsplanung zu messen

Die „Kidical Mass“ bringt Kinder auf Fahrrädern auf die Straße: Kinder müssen sich sicher und selbstständig mit dem Fahrrad bewegen und den Umgang mit dem Fahrrad üben können.

Eine Stadt, in der sich Kinder sicher bewegen können, ist eine gesunde Stadt – für alle Menschen die dort leben. Sie reduziert den zunehmenden Bewegungsmangel und hat das Ziel, dass sich auch Kinder sicher und selbstständig bewegen können, auch mit dem Fahrrad.

Von Susanne Wolf

Die Stadt Griesheim in Hessen, in der rund 30.000 Menschen leben, ist seit dem Jahr 2009 als erste „Bespielbare Stadt Deutschlands“ bekannt. Hinter dem Konzept steht Bernhard Meyer, heute emeritierter Professor für Sozialplanung und Gemeinwesenarbeit. „Wie erlebt ihr die Straßen in eurem Wohnort?“ war die Frage, die er Kindern in über 70 deutschen Städten stellte. „Eintönig und langweilig“ lautete die einhellige Antwort. Meyer entwickelte ein Forschungsprojekt, dessen Ziel es war, den öffentlichen Raum für Kinder zurückzuerobern. In Griesheim wurden Grundschulkinder aufgefordert, mit Kreide ihren Schulweg zu markieren und anzugeben, wie sie zu wichtigen Orten – etwa dem Sportplatz und dem Supermarkt – kommen. „Dadurch haben wir begriffen, welches ihre Schulwege sind, wo und wie sie Straßen überqueren“, sagt der Sozialwissenschaftler. „Wir haben ebenfalls beobachtet, was die Blicke und Wege der Kinder dort anzieht.“ In Griesheim gilt auf allen Straßen Tempo 30 und die Rechts-vor-links-Regelung an Kreuzungen. „Zusammen mit der Gehweggestaltung und besseren Querungspunkten hatte das den Effekt, dass es hier seit mehr als 15 Jahren keine Unfälle mit Kindern im Straßenverkehr mehr gegeben hat". Seine Erkenntnis: „Kinder sind viel aufmerksamer, wenn sie sich nicht gelangweilt, sondern lustvoll durch den Straßenverkehr bewegen.“

Mehr Bewegung für Kinder und Jugendliche

Ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zeigt, dass 81 Prozent der Jugendlichen in Europa das empfohlene Mindestmaß von einer Stunde Bewegung pro Tag nicht erreichen. In Österreich erfüllen nur 17 Prozent der 11- bis 17-Jährigen diese Empfehlung. Die Gestaltung der Schulwege und Schulumgebungen sowie Mobilitätsprogramme im Unterricht sind laut WHO wichtige Maßnahmen, um die nötige Bewegung zu erreichen. Die Einrichtung von Schulstraßen trägt zu einer bewegungsaktiveren Mobilität auf dem Schulweg bei. Mit der aktuellen Novelle der Straßenverkehrsordnung (StVO) sind seit 1. Oktober 2022 Schulstraßen gesetzlich verankert und haben ein eigenes Verkehrszeichen. In Schulstraßen gilt Schrittgeschwindigkeit beziehungsweise Fahrverbot rund um Schulbeginn und Schulende, Gehen und Radfahren auf der Fahrbahn ist erlaubt. Zusätzlich zur Verkehrstafel können auch Absperrgitter vorgesehen werden. In Wien gibt es derzeit acht Schulstraßen, einige gelten auch nachmittags. In einigen Bezirken gibt es bereits permanent autofreie Schulvorplätze. „Wir empfehlen Eltern einen bewegten Schulweg für die Kinder. Wenn sich das Auto gar nicht vermeiden lässt, so sollte zumindest nicht direkt vor dem Schultor geparkt werden“, sagt Petra Jens, Beauftragte für Fußverkehr der Mobilitätsagentur Wien. Petra Jens weist darauf hin, dass Schulen in Wien mit Öffis sehr gut erschlossen sind. Mit „Die Stadt und du“, einem Programm für Volksschulen, unterstützt die Mobilitätsagentur sicheres und selbstbewusstes Unterwegssein in der Stadt.

Kindern das Radfahren ermöglichen

Für kinderfreundliche Städte und eine Radinfrastruktur, die auch Kinder berücksichtigt, setzt sich „Kidical Mass“ ein. Die internationale Initiative, die ihren Namen von der Fahrrad-Aktion Critical Mass ableitet, wurde von engagierten Eltern gegründet. Gemeinsam mit Erwachsenen fahren Kinder mit dem Fahrrad auf geschützten Wegen durch die Stadt. „Die erste Kidical Mass fand im Jahr 2018 statt, seither radeln wir zweimal im Jahr durch die Stadt“, erklärt Florian Klein, einer der Initiatoren. In Österreich fand diese Kinderraddemo bisher in 14 Städten statt. Klein kritisiert die schlechte Radinfrastruktur in Österreichs Städten im Allgemeinen, und besonders für  Kinder. „Es bräuchte breitere Radwege, damit Kinder und Begleitpersonen nebeneinander fahren können“, fordert der Vater eines 13-jährigen Sohnes. Die StVO-Novelle brachte auch die Neuerung, dass es grundsätzlich erlaubt ist neben einem Kind zu radeln, außer auf Schienenstraßen. „Kinder sollten sich sicher und selbstständig mit dem Fahrrad bewegen können“, so Klein. Weitere Forderungen der Kidical Mass sind mehr Radspielplätze, wo der Umgang mit dem Fahrrad geübt werden kann sowie sichere Abstellplätze für Transportfahrräder, die für den Kindertransport genutzt werden. Ebenso autofreie Zonen vor Schulen. Für Bernhard Meyer, Begründer der Bespielbaren Stadt, lautet die wichtigste Frage an die Stadtplanung: Haben Sie die Bereitschaft, von Kindern zu lernen, wie diese die Welt wahrnehmen? „Denn, wenn die Antwort ja lautet, gilt es, die eigene Wahrnehmung zu ändern“, so Meyer.

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VCÖ und WWF: Mehr als 17.000 Hasen pro Jahr Opfer des Straßenverkehrs

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VCÖ: Leichtere Umsetzung von Tempo 30 erhöht Verkehrssicherheit in Gemeinden und Städten

VCÖ (Wien, 21. März 2024) – Die Verkehrssicherheit im Ortsgebiet muss insbesondere für die schwächsten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer, wie Kinder sowie Seniorinnen und Senioren erhöht werden, betont die Mobilitätsorganisation VCÖ. Die heute in den Nationalrat eingebrachte 35. StVO-Novelle ist aus Sicht des VCÖ ein wichtiger Schritt für mehr Verkehrssicherheit in den Gemeinden und Städten. Tempo 30 statt 50 halbiert den Anhalteweg, reduziert den Verkehrslärm und erhöht die Lebensqualität für die Bewohnerinnen und Bewohner.

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