Begegnungsräume in der Stadt sind ganz wichtig

Begegnungsräume in der Stadt sind ganz wichtig

Die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher erklärt, was die Fortbewegung in der Stadt prägt, warum es sich lohnt, den öffentlichen Raum wertschätzend zu gestalten, und was ihren Optimismus bezüglich der Entwicklung der Menschheit nährt.

VCÖ-Magazin: Seit etwa 5.000 Jahren baut der Mensch Städte. Heute lebt bereits die Hälfte der Menschheit darin. Ist der Mensch mittlerweile ein Stadtwesen geworden?

Elisabeth Oberzaucher: Was das Biologische betrifft, sind wir für das Stadtleben nicht geboren. Stadt ist ein sehr naturferner Lebensraum. Die größte Herausforderung ist die soziale Komplexität, die uns kognitiv überfordert. Viele Menschen auf engem Raum führen auch zu Konflikten, weil wir in Konkurrenz zueinander treten. Das Raumbedürfnis ist ein ganz klassisches Thema in der Stadt, wir kommen oft anderen Menschen für unseren Geschmack zu nahe. Das ist mit ein Grund, warum manche Menschen ungern öffentlich fahren. Im eigenen Auto fühlen sie sich vor anderen geschützt, und da sie selbst am Steuer sitzen, haben sie das Gefühl zu kontrollieren. Wird Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln das Gefühl von Kontrolle vermittelt, etwa durch Echtzeitinformation, wann das nächste Fahrzeug wirklich kommt, oder durch eine Information, dass am Ende des Zuges Plätze frei sind, wenn in meinem Waggon alle besetzt sind, ermöglicht mir das, selbst Entscheidungen zu treffen. Das steigert die Akzeptanz von Öffentlichem Verkehr.

VCÖ-Magazin: Wie soll die Verteilung des knappen öffentlichen Raums in der Stadt fair gelöst werden? Momentan wird der meiste Platz den Autos überlassen.

Elisabeth Oberzaucher: Das Herumstehen der Autos macht im Prinzip die Stadt kaputt. Der Erfolg einer Stadt hängt sehr stark davon ab, dass es Interaktionsflächen gibt, wo Menschen einander auf neutralem Boden begegnen können. Gibt es diese Begegnungsflächen nicht, dann entsteht Konfliktpotenzial. Menschen fürchten das Unbekannte. Entsteht Bekanntschaft, verschwinden die Ängste. Deshalb sind diese Begegnungsräume ganz wichtig.

VCÖ-Magazin: Ist es aus Sicht der Verhaltensbiologie besser, Verkehrsflächen nach Verkehrsarten zu trennen oder gemischt zu nutzen?

Elisabeth Oberzaucher: Mischnutzungen, wie in einer Begegnungszone, weichen bisherige Regeln auf. Das ist eine große Herausforderung für das Miteinander. Da ist nicht mehr eindeutig, dass die Straße mir gehört, nur weil ich im Auto sitze. Ich muss auf Mitmenschen ganz anders Rücksicht nehmen. Das ist durchaus nützlich, weil so der Raum auch effizienter genutzt werden kann. Gerade dort, wo viel gegangen und Rad gefahren wird, ist eine Begegnungszone sicher eine tolle Lösung – was ja etwa die Mariahilfer Straße in Wien zeigt, die großartig funktioniert.

VCÖ-Magazin: Was braucht es, damit Menschen mehr gehen und Rad fahren? Wo sind die Mängel in unseren Städten?

Elisabeth Oberzaucher: Viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, wie lange Strecken mit den verschiedenen Verkehrsmitteln eigentlich dauern. Wenn ich in den sozialen Medien schreibe, dass ich sehr viele meiner Wege zu Fuß zurücklege, antworten viele, dass sie nicht die Zeit dazu hätten. Dabei ist der Unterschied oft nicht groß, wenn ich beispielsweise öffentlich eine Dreiviertelstunde für eine Strecke brauche und zu Fuß eine gute Stunde. Und zusätzlich was für meine körperliche Fitness mache und die Zeit für Telefonate nütze. Das ist auch der Grund, warum ich sehr gern mit dem Zug fahre. Da kann ich arbeiten, ein Buch lesen, schlafen, aus dem Fenster schauen, das ist dann keine auf Distanzüberwindung verschwendete Lebenszeit – dieses Bewusstsein ist weitgehend verloren gegangen. Ebenso, dass Gehen und Radfahren wirklich Mobilitätsformen sind. Für viele sind sie zu Freizeitinstrumenten verkümmert.

VCÖ-Magazin: Sie haben bereits für die Wiener Linien gearbeitet. Was war da die Aufgabenstellung?

Elisabeth Oberzaucher: Wir haben untersucht, wie durch die Gestaltung von Fahrzeugen die Interaktion zwischen Fahrzeug und Fahrgästen verbessert werden kann. Dass etwa viele Menschen im Türraum stehen bleiben und nicht ins Fahrzeuginnere weitergehen, hat viel mit der Gestaltung des Innenraums zu tun. Einerseits ist der Türraum ein attraktiver Aufenthaltsort mit guten Haltemöglichkeiten, einigermaßen Platz, nahe an der Tür, andererseits behindert das andere. Aber es wird Fahrgästen oft schwer gemacht, überhaupt in das Fahrzeuginnere vorzudringen. Wir haben Vorschläge entwickelt, durch die Anordnung der Inneneinrichtungsgegenstände – z.B. das Anbringen von Attraktoren im Fahrzeuginneren, etwa in Form von Haltemöglichkeiten – und das Wegnehmen einiger Ecken und Kanten den Personenfluss ins Fahrzeuginnere zu verstärken. Das funktioniert gut.

VCÖ-Magazin: Sie beschäftigen sich auch mit der Gestaltung des öffentlichen Raums. Worauf ist dabei zu achten?

Elisabeth Oberzaucher: Ressourcen im öffentlichen Raum, die gefühlt allen und niemandem gehören, sind immer durch Vandalismus und Verwahrlosung gefährdet. Die Strategie, sie möglichst unkaputtbar und pflegeleicht zu machen, geht leicht nach hinten los. Denn das weckt den Ehrgeiz der Vandalen. Den Nutzenden wird kommuniziert, ich vertrau dir nicht, du machst alles kaputt. Hochwertige Materialien und ansprechende Gestaltung hingegen kommunizieren auch Respekt, der dann auch gespiegelt wird. Es lohnt sich, in eine wertschätzende, qualitätvolle Infrastruktur zu investieren.

Elisabeth Oberzaucher ist Verhaltensbiologin an der Universität Wien, wissenschaftliche Direktorin von Urban Human und Mitglied der Kabarettgruppe "Science Busters". Aktuelles Buch: "Homo Urbanus".

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