Blick über die Grenze: Carsharing in Europa
Bremen und Gent, die Schweiz und Brandenburg – Good-Practice Beispiele für Carsharing gibt es in vielen Städten und Regionen Europas. Das Potenzial ist damit aber längst nicht ausgeschöpft, wie aktuelle Wachstumsraten zeigen.
von Doris Neubauer
In 1.285 deutschen Städten und Gemeinden gibt es Carsharing. Laut dem Bundesverband Carsharing e.V. sind das um 203 Orte mehr als im Vorjahr. 74 Prozent aller Städte ab einer Bevölkerungsgröße von 50.000 bieten die gemeinschaftliche Fahrzeug-Nutzung an, bei Großstädten ab 100.000 Menschen sind es sogar 91 Prozent. Die Vorteile sind klar erwiesen: Ein Carsharing-Fahrzeug ersetzt, so eine Studie aus der norddeutschen Stadt Bremen, im Schnitt 16 Privatautos, was den Autoverkehr und vor allem den Flächenverbrauch reduziert. Es entlastet den knappen Parkraum, macht Straßen für Feuerwehr, Rettungsdienste, Müllabfuhr sowie Lieferfahrzeuge frei sowie für alle, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad mobil sind, sicherer. Carsharing-Nutzende fahren im Vergleich zu Pkw-Besitzenden weniger Auto, wodurch der Ausstoß von CO2 sowie Stickoxiden und Feinstaub sinkt und sich die Luftqualität verbessert. Bereits im Jahr 2003 und damit 14 Jahre vor der Verabschiedung des Carsharing-Gesetzes in Deutschland richtete Bremen die ersten Carsharing-Stationen im öffentlichen Raum ein. Die blau-grünen „mobil.punkte“,die zu Fuß, mit dem Rad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sind, fanden nicht nur in Deutschland Nachahmung. Vom norwegischen Bergen bis zum belgischen Gent ließen sich Städte vom Bremer Modell inspirieren.
Vorbild für Regionen: BARshare
Nicht nur im urbanen Raum boomt Carsharing. In Deutschland kamen im Jahr 2023 auch in kleineren Städten im ländlichen Raum verstärkt neue Angebote hinzu. Eine neue Entwicklung, denn noch vor vier Jahren suchte der brandenburgische Landkreis Barnim vergeblich nach ruralen Vorbildern. Der Landkreis möchte bis zum Jahr 2035 seine Null-Emissions-Strategie verwirklichen. „Im Vergleich zu Großstädten größere Entfernungen, weniger Angebote im Öffentlichen Verkehr aufgrund der dünneren Besiedlung sowie eine größere ideelle und praktische Bedeutung privater Pkw erschweren die Entwicklung nachhaltiger Mobilitätsmöglichkeiten“, heißt es seitens der Kreiswerke Barnim. Mit BARshare schuf der Landkreis an der polnischen Grenze eine solche Möglichkeit: Eine E-Flotte ersetzte die Dienstfuhrparke von Barnimer Behörden, Firmen und Vereinen. Als „Hauptnutzerin oder Hauptnutzer schließen sie mit uns einen Vertrag, der ihnen feste Nutzungszeiten garantiert“, beschreibt Christian Heise von den Kreiswerken Barnim das Prinzip, „außerhalb dieser Zeit stehen die Fahrzeuge allen Registrierten zur Verfügung.“ Verrechnet werden ein Stundenpreis sowie eine Kilometerpauschale. Außerdem wird ein Tagestarif angeboten. Im Preis inbegriffen ist das E-Tanken an der Heimstation des Fahrzeugs sowie an 95 Ladesäulen des emobility Ladenetzes Barnim.
BARshare ist bereits bei 20 Firmen und Organisationen mit etwa 700 Fahrenden sowie rund 2.500 registrierten Mitbenutzenden in Verwendung. Diesen stehen 44 E-Fahrzeuge an 23 Standorten in elf Barnimer Orten zur Verfügung. Seit dem Jahr 2021 werden auch sechs BARshare-Räder am Standort Werneuchen angeboten. Alle Fahrzeuge können an den BARshare-Stationen oder über eine App gebucht werden, die auch in anderen Städten und Regionen genutzt wird. So können BARshare-Nutzende dort ebenfalls Fahrzeuge ausleihen, „ohne erneute Registrierung. Es ist nur eine einmalige Anmeldung zu den Konditionen bei dem jeweiligen Provider notwendig“, erklärt Heise. Diese Option „macht das Mobilitätsangebot für viele Nutzende vielseitiger und attraktiver.“ Es ist eine der Erfahrungen, die das BARshare-Team seit dem Jahr 2021 in Workshops an Kommunen und Institutionen weitergibt. Auch Tipps für den Umgang mit Vorurteilen gegenüber E-Mobilität oder den Aufbau der Ladeinfrastruktur werden darin geteilt.
E-Carsharing: Von 18 auf 100 Prozent in sechs Jahren
Auch in der Schweiz setzen Carsharing-Anbieter verstärkt auf E-Mobilität: „Derzeit sind 18 Prozent der rund 3.000 Fahrzeuge elektrisch“, weiß Magdalena Balogh vom Marktführer Mobility. „Bis zum Jahr 2030 soll die gesamte Flotte mit Elektroantrieb unterwegs sein.“ Dafür investiert
die Genossenschaft in die Ladeinfrastruktur an den Parkplätzen und testet in Pilotprojekten, ob Elektroautos im parkenden Zustand Strom ins System rückspeisen können.
Die Investitionen machen sich besonders bei Corporate Carsharing bezahlt, ist Balogh überzeugt: „Unternehmen stehen unter Druck, ihre Klimaziele zu erreichen.“ 5.350 Firmen in allen Größenordnungen nutzen die roten Fahrzeuge von Mobility. Die Zürcher Kantonalbank ersetzte sogar ihren gesamten Schweizer Fuhrpark durch die geteilte E-Flotte. „Das nenne ich mal Convenience“, freut sich Marit Kruthoff, CSR-Managerin beim Schweizer Geldinstitut. „Wir haben keinen zusätzlichen Aufwand – Versicherung, Wartung, Reinigung und auch Pannenhilfe sind im Abo inbegriffen“, ergänzt sie. In Kürze soll das Mobility-Angebot für Unternehmen noch praktischer werden. Muss man sich derzeit nämlich beim Abschluss eines Abos zwischen privater und geschäftlicher Nutzung entscheiden, wird in Zukunft beides parallel möglich sein, erklärt Balogh. Zusätzlich entwickelt Mobility eine CO2-Fußabdruck-Messung, um Unternehmen ihr Einsparungspotenzial zu verdeutlichen. Denn trotz großer Fortschritte ist Balogh sicher: „Es gibt noch Spielraum nach oben.“