Clara Luzia - direkt gefragt

Wir fahren uns gerade mit Höchstgeschwindigkeit an die Wand

Clara Luzia ist Singer-Songwriterin, lebt in Wien und im Waldviertel. Ihr neues und machtes Album „Howl at the Moon, Gaze at mthe Stars!” erschien Ende Jänner. Sie ist Unterstützerin der Initiative „Tempo 30 / 80 / 100 - jetzt!“ und verleiht in vielen ihrer Songs der Krisenhaftigkeit unserer Zeit musikalisch Ausdruck.

VCÖ-Magazin: Einer Ihrer aktuellen Songs heißt „Minimise Me“, warum? Nimmt sich der Mensch zu wichtig?

Clara-Luzia: Ja. Im gesamten als Menschheit gesehen, wie auch im kleinen als Individuen. Mich belastet unser Umgang mit der Umwelt sehr, und oft wird der Schmerz darüber so übermächtig, dass ich etwas suchen musste, das mir hilft, damit umzugehen. Und diese Hilfe war und ist der Blick in den Sternenhimmel. Wir fahren uns gerade mit Höchstgeschwindigkeit an die Wand, sind aber gleichzeitig so egal und winzig, nur eine Randbemerkung in der Geschichte des Planeten. Es hilft, sich das manchmal bewusst zu machen.

VCÖ-Magazin: War das auch einer Ihrer Gründe, die aktuelle Forderung von österreichischen Verkehrsexperten und Verkehrsexpertinnen nach niedrigeren Tempolimits zu unterstützen?

Clara Luzia: Sie ist sofort umsetzbar, sie ist sehr kostengünstig und alle können mitmachen. Dazu kommt der Sicherheitsaspekt. Eine Win-win-Situation. Wie kann man das nicht unterstützen?

VCÖ-Magazin: Ein Argument für Tempo 30 im Ortgebiet und andere Maßnahmen der Verkehrsberuhigung ist die Reduktion von Lärm. Welche Rolle spielen für Sie als Musikerin (Straßen-)Lärm, Geräusche und Stille?

Clara-Luzia: Mittlerweile eine recht große. Seit ich wieder am Land wohne merke ich wieder, wie laut es in der Stadt ist. Und mit welcher Selbstverständlichkeit wir hinnehmen, von Lärm und Dreck umhüllt zu werden – und auch selbst umhüllen. Ich stehe gerne in der Nacht in meinem Garten und lausche. Es gibt Momente, da ist absolut nichts zu hören, nicht einmal das Rascheln der Mäuse. Und dann gibt es Momente, da höre ich, was sich alles tut des nachts. Viele Geräusche kann ich überhaupt nicht einordnen. Ich stelle mir gerne vor, dass sich da für viele Kleinstlebewesen gerade wahnsinnig viel abspielt, ein Riesen-Halligalli stattfindet, und ich steh mittendrin und glaube, es ist alles ruhig und still. Weil unsere Sinne sind, wie sie sind, bekommen wir so viel nicht mit von dem, was sich um uns tut!

VCÖ-Magazin: Welche Rolle spielt Tempo in Ihrer Musik?

Clara Luzia: Tempo ist ganz zentral in der Musik. Und ich behaupte, dass ihm sehr oft nicht die Aufmerksamkeit zukommt, die es haben sollte. Die Stimmung eines Liedes kann sich komplett verändern, wenn man es zum Beispiel 10 bpm langsamer spielt. Meine erfolgreichste Single – „Cosmic Bruise“ – habe ich als sehr langsames, traurig-klagendes Lied geschrieben. Meine Schlagzeugerin meinte aber im Proberaum, es müsse viel schneller gespielt werden, mit viel Kraft und Energie. Sie hatte recht. „Cosmic Bruise“ wäre komplett durchgefallen, hätte ich das Originaltempo beibehalten.

VCÖ-Magazin: Abgesehen von den ökologischen und gesundheitlichen Aspekten. Was können wir durch Entschleunigung gewinnen?

Clara Luzia: Ich bin nicht ganz glücklich mit dem Begriff Entschleunigung, aber ich weiß, was gemeint ist. Billy Corgan hat einmal auf die Frage nach „today's culture“ gesagt: „We're stuck on orgasm.“ Das beschreibt unsere Lebensweise sehr gut, finde ich. Und ein Leben im Dauer-High macht uns taub gegenüber allem, was sich außerhalb dieses Maximalen befindet. Die so genannte Entschleunigung könnte uns wieder mehr wahrnehmen und spüren lassen. Es gibt so viel außerhalb des Maximums!

VCÖ-Magazin: Hat sich Ihr persönlicher Zugang zu Geschwindigkeit verändert? Über „When I Take Your Hand“ war zu lesen, Sie hätten es „in Rekordgeschwindigkeit fertiggestellt“, während „Howl at the Moon, Gaze at the Stars!“ „schön langsam gewachsen“ sei.

Clara-Luzia: Das stimmt, das hatte ich gar nicht so präsent. „When I Take Your Hand“ ist ganz anders entstanden als das neue Album. Ich bin damals ein paar Tage nach London geflogen mit dem Vorhaben, ein neues Album zu schreiben, und das ist dann auch passiert. Die neue Platte ist über die letzten Jahre gewachsen. Ich wusste ja auch lange gar nicht, ob ich überhaupt noch ein Album machen werde. Abseits von Musik habe ich ganz grundsätzlich bemerkt, dass ich mir mittlerweile mehr erlaube, nach meiner eigenen Geschwindigkeit zu leben. Und die ist manchmal sehr, sehr langsam.

VCÖ-Magazin: Als Musikerin reisen Sie mitunter auch viel. Welche Rolle spielt klimaverträgliche Mobilität dabei? Ist es möglich, auf Tour auf den CO2-Ausstoß zu achten?

Clara Luzia: Ich habe genau deswegen vor einigen Jahren aufgehört, Konzerte außerhalb Österreichs und Deutschlands zu spielen. Nach England zu fliegen, um zwei Shows zu spielen, das ist absurd. Mit den Autofahrten nicht viel besser: Hunderte Kilometer Autobahn für ein oder zwei Konzerte, das mache ich nur noch im Ausnahmefall. Mein Booker hat die Anweisung, nach Möglichkeit nur mehr ganze Blöcke zu buchen, das ist aber natürlich schwierig. Zu einem Konzert in Warschau sind wir damals mit dem Zug gefahren, weil uns die VeranstalterInnen die gesamte Backline gestellt haben. Es wäre schön, wenn das öfter der Fall wäre. Wenn zumindest größere Häuser einen Fundus an Instrumenten und Equipment hätten, sodass es Bands möglich gemacht wird, per Zug anzureisen, wäre schon einiges getan.

Die vielzitierte Wurstplatte in den Backstagebereichen im deutschsprachigen Raum ist glücklicherweise verschwunden, was aber leider noch immer Usus ist – vor allem in Österreich – sind kleine Einwegplastikflaschen, die zu dutzenden on- und offstage herumstehen. Viele werden angebrochen, zwei Schlucke genommen und dann weggeschmissen, weil man nicht mehr weiß, wem sie gehört. Das ist eine Verschleuderung von Ressourcen, die wir uns eigentlich noch nie haben leisten können.

VCÖ-Magazin: Man kann sagen, dass Sie der Krisenhaftigkeit unserer Zeit musikalisch Ausdruck verleihen. Einer ihrer anderen Songtitel heißt u. a. „When the World Ends“. Was würden Sie sich abschließend für die Welt wünschen?

Clara Luzia: In letzter Konsequenz ein Leben ohne Menschen.

Das Gespräch führten Petra Sturm und Bernhard Hachleitner.

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