Da geht noch viel – Stadtmobilität im Wandel

Kein Durchzugsverkehr in der Innenstadt, Vorrang für das Gehen, bessere Luft, kaum Autolärm. Ljubljana und Gent sind zwei Städte, die zeigen, wie der Wandel zu nachhaltiger Mobilität funktionieren kann – und wie dadurch die Lebensqualität steigt.

Von Bernhard Hachleitner

Schlecht funktionierender Öffentlicher Verkehr, Einkaufszentren am Stadtrand – in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana führte ein Mix aus dem kommunistischen Erbe und den raumplanerischen Fehlentwicklungen des jungen Kapitalismus zu einer enormen Belastung durch den Autoverkehr.

Jetzt hat das Gehen Vorrang

Das änderte sich im Jahr 2006, als Zoran Jankovic zum Bürgermeister gewählt wurde. „Autos und Mülltonnen standen ungeordnet auf den Straßen. Das in den Griff zu bekommen, war ein wichtiger erster Schritt, um die Qualität des öffentlichen Raums zu verbessern“, sagt Tadej Brezina, Verkehrswissenschaftler an der TU Wien. Mit vielen kleinen und großen Maßnahmen gelang eine Neuordnung des Stadtraums. Brezina, in Ljubljana geboren, verfolgt die Entwicklungen in seiner Geburtsstadt mit großem Interesse. Bereits im Jahr 2007 wurden große Teile der Innenstadt vom Autoverkehr befreit und im historischen Zentrum eine heute mehr als 100.000 Quadratmeter große Fußgängerzone geschaffen. Zugänge zur Ljubljanica, dem durch die Stadt fließenden Fluss, integrierten das Wasser ins Stadtleben. Der «Kavalir», das sind kleine grün-weiße Elektro-Busse, die in der Fußgängerzone zirkulieren, nimmt müde Fußgängerinnen und Fußgänger kostenlos mit. Der Anteil des Autoverkehrs am Modal Split ist in den Jahren zwischen 2003 und 2013 von 58 auf 42 Prozent gesunken. Ljubljana ist zu einer Stadt des Gehens geworden, 35 Prozent der Alltagswege geht die Bevölkerung zu Fuß. Im Jahr 2015 wurde schließlich auch ein Stück der Slovenska cesta, der zentralen Verkehrsader, für das Gehen reserviert und Autos nicht mehr zugelassen. „Damals haben mich mehrere Journalisten aus Österreich angerufen und gefragt, ob das funktionieren kann, die Hauptverkehrsachse zu einer Fußgängerzone zu machen“, erzählt Brezina. Es hat funktioniert. Die Konzentration von Feinstaub in der Slovenska cesta sank um 70 Prozent, auch der Verkehrslärm ging um 6 dB und damit merklich zurück. Das von den Gegnern heraufbeschworene Verkehrschaos blieb – wie so gut wie immer in solchen Fällen – aus.

Erfolge lassen sich verkaufen

Die Zustimmung zu den Maßnahmen ist hoch, Jankovic wurde wiederholt mit absoluter Mehrheit wiedergewählt. Ljubljana versteht es auch, seine Erfolge zu verkaufen: Im Jahr 2016 wurde die Stadt zum European Green Capital gekürt. Dabei ist nicht alles in Ljubljana vorbildhaft. Außerhalb der Innenstadt dominiert der Autoverkehr. Es fehlt eine Straßenbahn, auch ein S-Bahn-System wäre in einer Stadt mit einer Bevölkerung von etwa 300.000 Menschen und mehr als 100.000 Einpendelnden notwendig. Und doch ist Ljubljana ein gutes Beispiel dafür, wie trotz schlechter Ausgangslage viel möglich ist.

Lebensraum statt Durchzugsverkehr

Rund 260.000 Menschen leben in der flämischen Hafenstadt Gent, etwas weniger als in Ljubljana. Gent verfügt allerdings über ein Straßenbahnnetz mit drei Linien, die zum Teil auch das Umland erschließen. Manche Probleme sind allerdings sehr ähnlich, etwa die fast 100.000 Berufspendelnden und – bis vor zwei Jahren – ein starker Durchzugsverkehr mit vielen Staus. Das hat sich mit 3. April 2017 grundlegend geändert, als das neue Mobilitätskonzept in Kraft trat. Es ist eng verknüpft mit Vizebürgermeister Filip Watteeuw, der es als für Mobilität und Infrastruktur zuständiger Stadtrat umsetzte. Die Innenstadt wurde in sechs Zonen und eine Fußgängerzone unterteilt. Während vorher jedes vierte Auto ein durchfahrendes war, ist die Innenstadt nun komplett vom Durchzugsverkehr befreit. Dabei musste er starken Widerstand überwinden: „Menschen, die über Jahre eine bestimmte Route gefahren sind, mussten nun eine andere Route wählen. Gewohntes Verhalten zu ändern, ist nicht einfach“, sagt Watteeweu. „Mit der Zeit haben sie aber ihre Verkehrsgewohnheiten geändert und die Lebensqualität ist gestiegen.“ Flächendeckende Kurzparkzonen mit Ausnahmen für die Wohnbevölkerung, Radwege, Rad-Highways und Fahrradstraßen waren weitere Maßnahmen. Der Öffentliche Verkehr ist für Kinder gratis, Nachtbusse wurden eingeführt, die Zustellung von Waren mit Transport-Fahrrädern wird gefördert. Das zeigte Wirkung: In den Jahren von 2012 bis 2018 ist der Anteil der Autos und Motorräder am Modal Split von 55 auf 39 Prozent gesunken, der des Radverkehrs von 22 auf 35 Prozent gestiegen. Die Luftqualität hat sich verbessert. Die Menschen erobern die Straßen zurück. Diese Entwicklung soll weitergehen: Mit 1. Jänner 2020 wird die Innenstadt eine Umweltzone. Im Jahr 2030 soll dem aktuellen Mobilitätskonzept entsprechend der Autoverkehr nur mehr einen Anteil von 27 Prozent haben, der Öffentliche Verkehr seinen Anteil von 13 auf 20 Prozent erhöht haben. Was können Städte in Österreich von diesen Beispielen lernen? „Wir haben viel von Groningen gelernt, für unseren Mobilitätsplan einiges übernommen, aber natürlich ist jede Stadt anders“, so Watteeuw. „Es ist möglich, eine große Veränderung mit einem enorm positiven Ergebnis in einer relativ kurzen Zeitspanne zu erreichen, und es gibt keinen Grund, davor Angst zu haben, das zu tun, was gemacht werden muss.“ Oder wie es Tadej Brezina zusammenfasst: „Wichtig ist der klar signalisierte politische Wille, Maßnahmen zu setzen. Wenn neben den großen auch viele kleine Maßnahmen gesetzt werden, die eine Handschrift zeigen und die Aufenthaltsqualität im Öffentlichen Raum erhöhen, profitieren viele Menschen. Dann ist die Zustimmung hoch.“

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