Das Auto begrenzt meine Individualität

Mit Mobilitätsforscher Andreas Knie sprach das VCÖ-Magazin darüber, wie die Digitalisierung die Mobilität individueller macht, was der Öffentliche Verkehr braucht um dabei Akteur zu bleiben, welche Rolle Carsharing dabei spielen wird, warum die Elektro-Mobilität und das automatische Fahren unaufhaltsam sind und die vorhandenen Fahrzeuge immer intelligenter genutzt werden und wie Elektro-Fahrzeuge und Stromnetz verschmelzen werden.

VCÖ-Magazin: Die zentrale These Ihres neuen Buches ist, dass die Digitalisierung die Mobilität völlig verändern wird – warum?

„Immer mehr Verkehrsmittel sind nur noch durch die Datenbrille Smartphone erkennbar“

Andreas Knie: Wir betrachten immer mehr durch unsere Smartphone-Brille. So auch die Verkehrsmittel. Es kommen immer mehr Verkehrsmittel in Betrieb, etwa Free-floating-Unternehmen, die praktisch nur noch durch die Datenbrille Smartphone erkennbar sind. Es ist bei Menschen, die das jetzt schon nutzen, deutlich festzustellen, dass sich ihre Präferenzen verändern. Nicht mehr die Marke oder die technische Beschaffenheit eines Gerätes ist entscheidend, sondern was macht mir mein Smartphone jetzt und sofort nutzbar.

VCÖ-Magazin: Warum sind Sie überzeugt, dass die Dekarbonisierung und der Umstieg auf Elektro-Mobilität durch die Digitalisierung erleichtert, ja sogar massiv vorangetrieben wird?

„Digitalisierung ist Voraussetzung kein Eigentum an Verkehrsmittel mehr haben zu müssen“

Knie: Weil die Digitalisierung vom privaten privilegierten Benutzen eines Gerätes wegführt – sie ist die Voraussetzung, dass ich kein Eigentum an Verkehrsmittel mehr haben muss.

VCÖ-Magazin: Sie rechnen bei der Veränderungen des Mobilitätsverhaltens aufgrund der Digitalisierung aber weiterhin stark mit dem individuellen Auto, nur eben mit Elektro-Abtrieb?

Knie: Ja. Aber die vorhandenen Fahrzeuge – eigene und fremde – werden intelligenter genutzt werden. In großen Städten wie Wien, Berlin, Paris, London oder Kopenhagen sind die Menschen schon mehrheitlich multioptional, das heißt mit mehreren Verkehrsmitteln, unterwegs. Die digitale Vernetzung wird die Individualisierung noch verstärken. Bei einem solchen Angebot wird der Besitz eines eigenen Autos alleine aus pragmatischen Gründen völlig obsolet.

VCÖ-Magazin: Welche Rolle wird das Teilen, etwa Car-Sharing bei der künftigen Mobilität spielen?

Knie: Teilen ist für die Ökologisierung und die Dekarbonisierung eine gute Voraussetzung, die man nützen sollte.  Teilen ist vieles – wir haben ja schon lange eine riesige Sharing-Ökonomie ohne dass wir es so nennen: Wir haben kein eigenes Flugzeug, kein eigenes Hotel, keine eigene Straße, keine eigene Schiene. Im Verkehr habe ich mit dem kollektiven Nützen von Verkehrsmitteln leichter einen Zugang zu Fahrzeugen und kann so das Auto rationaler nutzen.

„Der Öffentliche Verkehr muss digital erkennbar sein und sich aktiv vernetzen“

VCÖ-Magazin: Welche Rolle wird der Öffentliche Verkehr in dieser digitalisierten Welt spielen?

Knie: Der Öffentliche Verkehr bleibt das Rückgrat. Viele Relationen sind mit dem Öffentlichen Verkehr besser und schneller zurückzulegen. Der Öffentliche Verkehr wird sich aber genau überlegen müssen, ob er Teil dieses Game-Change-Prozesses ist oder der Game-Change-Prozess mit ihm gemacht wird. Er muss digital erkennbar sein und sich auch aktiv vernetzen. Denn sobald autonom fahrende Autos verfügbar sind, ich mir einfach ein Robo-Taxi bestellen kann,  revolutioniert das natürlich den Öffentlichen Verkehr völlig. Um da eine Rolle zu spielen, muss der Öffentliche Verkehr sich aktiver in die Debatte und in die Digitalisierung einschalten.

VCÖ-Magazin: Sind zunehmende Vernetzung durch Digitalisierung und der fortgesetzte Trend zur Individualisierung, den Sie diagnostizieren, nicht Widersprüche?

„Das Auto begrenzt heute meine Individualität“

Knie: Nein. Vernetzung, ist genau das, was wir als Individualisierung bezeichnen. In der klassischen Moderne war das Auto das Gerät der Individualisierung, ich konnte nach meinem eigenen Tuktus fahren, eigene Zeit und eigener Raum waren die Treiber im Verkehr. Jetzt stellt sich immer mehr heraus, dass das Auto gar nicht so praktisch ist. Ich kann es nirgends abstellen, stehe häufig im Stau – das Auto begrenzt heute meine Individualität! Und die Menschen in den Großstädten haben herausbekommen, wenn ich alles schlau vernetze, U-Bahn, Fahrrad, Carsharing-Auto, bin ich viel schneller unterwegs. Das ist die neue Form der Individualität. Die digitalen Plattformen ermöglichen und verstärken das.

VCÖ-Magazin: Digitalisierung und Vernetzung bauen bei den Fahrzeugen, bei der Infrastruktur im Wesentlichen auf das Vorhandene auf. Oder treiben sie auch die Veränderung voran?

„Neue Unternehmen am Automarkt denken Internet und Auto zusammen“

Knie: Die digitale Revolution und die Präferenzverschiebung der Menschen bei der Wahl der Verkehrsmittel hat Auswirkungen auf Bereitstellung und Aussehen der Geräte. Neue Unternehmen auf dem Automarkt, wie Google, Apple, investieren nicht mehr groß ins Gerät oder bauen tausende Features ein, sondern sagen: Okay, wenn das Auto ins Internet kommt, dann muss es auch ganz anderes beschaffen sein, kann viel bescheidener auftreten, muss nicht so schnell aber funktional ausgestattet sein, muss  selbstfahrend sein.

VCÖ-Magazin: Sie schreiben in Ihrem Buch: Bei der Suche nach einer Allianz aus Fortschrittlichkeit, Weltrettung und Industriepolitik fällt die Wahl auf die Elektro-Mobilität. Was macht Sie da so optimistisch?

„Elektromobilität kann bereits heute zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden“

Knie: Weil die Elektro-Mobilität ein ganz anderes Momentum hat als bei früheren Highlights etwa in den 1970er Jahren und in den frühen 1990er Jahren. Sie ist nicht mehr zurückzudrehen. Wir haben es bereits selber ausprobiert, sehen es bei Bekannten, haben Tesla – es funktioniert und fährt sich klasse. Und es geschieht global – in Frankreich, in den USA, in China. Und es ist die Antriebsmethode, die jetzt schon quasi zu 100 Prozent mit erneuerbarer Energie betrieben werden könnte. Gleichzeitig macht nicht zuletzt der Betrug von VW mit der Auto-Software deutlich, Verbrennungsmotoren beeinträchtigen die Gesundheit, das ist objektiv messbar.

VCÖ-Magazin: Sie setzen stark auf die technische Entwicklung - welche Rolle hat im Verkehrssystem der Zukunft das Fahrrad und das Gehen?

„Die Leute, die jetzt neu Rad fahren sind vorher alle mit dem Auto gefahren.“

Knie: Das Verkehrsmittel, das im Moment am stärksten die Integration vorantreibt ist das Fahrrad, das in den letzten 8-10 Jahren in Mitteleuropa einen Boom erlebt. In Berlin etwa haben sich die Fahrradfahrten in den letzten 10 Jahren praktisch verdoppelt. Und die jetzt neu Rad fahren sind vorher alle mit dem Auto gefahren. Es ist einfach oft günstiger, schneller mit dem Rad von A nach B zu fahren als sich in das Auto zu setzen. Ob als konventionelles oder elektrisch unterstütztes Rad, es wird weiter eine steigende Rolle spielen. Es wird ein wesentlicher Teil der Renaissance der Stadt sein, des Bewusstseins, dass Verkehrsräume nicht nur funktional sondern auch lebenswert sein müssen. Das gilt auch für das Zufußgehen.

VCÖ-Magazin: Einen Hype erlebt momentan das automatisierte Fahren – wie weit wird es zentral sein für die Entwicklung, die Sie skizziert haben?

Knie: Es ist nicht zentral, aber wie der elektrische Antrieb kommt auch das automatisierte Fahren. In einer reizarmen Umgebung, auf einer eigenen Spur geht das schon heute - da ist der Schritt, dass das Auto völlig selbständig fahren kann, nur noch ein kleiner.

VCÖ-Magazin: Bei der Digitalisierung werden auch viele Daten gesammelt. Ein Knackpunkt ist daher die Datenschutzproblematik, die Ängste vor Datenmissbrauch.

Knie:In den 1970er, 1980er Jahren sind Datenschutzbestimmungen entstanden, um zu verhindern, dass der Staat missbräuchlich in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger Einblick nimmt. Was wir heute beobachten, ist die Haltung: Der Staat interessiert mich nicht, ich entscheide selbst, was ich an Datenschutz brauche. Da haben wir eine völlige Verschiebung der Präferenzen. Ob das naiv ist, möchte ich mal dahingestellt lassen. Dass die Bereitschaft überwiegt, Daten herzugeben, wenn jemand eine interessante Gegenleistung anbietet, muss zur Kenntnis genommen werden. Tatsache ist auch die Entwicklung, dass immer mehr Dinge nur noch digital zugänglich sind, möglicherweise demnächst auch lebensnotwendige, das heißt, ich habe gar nicht mehr die Wahl. Das ist die Debatte, die die Gesellschaft zu führen hat. Die Schutzbedürftigkeit muss neu definiert werden – genau das beginnt jetzt auch.

VCÖ-Magazin: Die Verknüpfung der Elektro-Autos mit dem Stromnetz, also eine sehr enge Verbindung von Energie und Mobilität, ist eine oft genannte Option, auch wenn momentan da noch nicht viel passiert.

Knie: Die Energiewende ist nur über die Verkehrswende erreichbar. Der Energiebedarf ist aus erneuerbaren Quellen nur dann zu decken, wenn ich mehr Speicherkapazität habe.Was wir brauchen, ist mehr dezentrale Speicher-Kapazität. Speicher sind teuer, es geht daher nur mit Speichern, die ohnehin da sind, das sind Elektro-Autos. Und die müssen bidirektional funktionieren, das heißt, dass mit ihnen Strom aus dem Netz, aber auch aus dem Auto ins Netz gezogen werden kann.  Das lassen die Autoherstellender momentan noch nicht zu. Daran müssen wir arbeiten. Alle Plandaten und Simulationen zeigen, dass wir da eine ganz gute Perspektive haben.

 

>> Das Interview führte Christian Höller

Andreas Knie
ist Leiter des InnoZ Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel in Berlin. Themenschwerpunkte sind sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschung, insbesondere zur Elektro-Mobilität. Aktuelles Buch „Die digitale Mobilitätsrevolution – Vom Ende des Verkehrs, wie wir ihn kannten“ (mit Weert Canzler), 2016, oekom-Verlag.
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