Der Wandel als Befreiung

Von Bernhard Hachleitner

Wien, Kärntnerstraße: Seit dem Jahr 1974 als Fußgängerzone nicht mehr wegzudenken.

Um die notwendige Transformation des Verkehrssystems positiv zu gestalten, braucht es einen Mentalitätswandel. Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit zeigen, dass das möglich ist.

Die Ausgangslage ist klar: Um die globale Erwärmung deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu halten, kann die Erdatmosphäre maximal 2.900 Milliarden Tonnen CO2 aufnehmen. Mehr als 70 Prozent dieser Kapazität sind bereits verbraucht. Noch ist Gegensteuern möglich, für den Verkehrsbereich bedeutet das, spätestens im Jahr 2050 komplett ohne Erdöl und andere fossile Energieträger auszukommen. Einfach beim Auto den Verbrennungsmotor durch Elektro-Antrieb zu ersetzen, ist zu wenig. Die massive Versiegelung von Flächen würde weitergehen, die Unfälle mit Verletzten und Toten nicht weniger werden. Letztlich würde die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen nur in einzelnen Bereichen geringer werden.

Geschwindigkeit und Zwänge reduzieren

Die Frage ist weniger, ob es eine Abkehr von unserem derzeitigen, sehr stark auf das Auto ausgerichteten Verkehrssystem geben wird, sondern wie diese Transformation aussieht. „Wenn zunehmende ökologische und ökonomische Zwänge das System Auto an sein Ende bringen, so wäre das ziemlich schrecklich. Die große Mehrheit würde an Mobilität einbüßen, eine kleine Elite bliebe hoch mobil“, sagt der Schweizer Journalist und Historiker Marcel Hänggi. Er hat sich in mehreren Büchern intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie eine Zukunft ohne Raubbau an fossiler Energie und anderen natürlichen Ressourcen aussehen könnte. „Ganz anders käme es, wenn Autoverkehr aus Einsicht eingeschränkt würde: Das könnte für – fast – alle eine Befreiung sein“, so Hänggi weiter. Eine Befreiung etwa von komplett zugeparkten Städten und Ortschaften, vom Lärm und von Verkehrsopfern auf der Straße. Als Grundproblem unseres derzeitigen Verkehrssystems betrachtet Hänggi die hohen Geschwindigkeiten. „Je schneller der Verkehr, desto länger werden die Wege – und umgekehrt“, so Hänggi. Das bedingt wiederum einen hohen Energiebedarf und eine aufwändige Infrastruktur. Aber wäre eine Reduktion der Geschwindigkeit nicht ein großes Problem, etwa für jene, die lange Arbeitswege zurücklegen müssen? „Es ist tatsächlich nicht einfach zu vermitteln. Wenn der Verkehr reduziert wird, so verliert jemand, der viel unterwegs ist, zunächst einmal an Mobilität. Davor fürchten sich viele“, sagt Marcel Hänggi. Aber: „Wenn der Verkehr insgesamt abnimmt, nehmen auch die Zwänge ab, große Distanzen zurückzulegen. Wenn etwa meine Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt weniger weit reisen können, sinkt auch der Druck auf mich, für eine Arbeitsstelle lange Pendelwege in Kauf zu nehmen.“

Mentalitätswandel passiert

Dazu ist eben nicht in erster Linie ein technologischer Wandel notwendig, es bedarf geänderter gesetzlicher und planerischer Rahmenbedingungen. Um diese durchzusetzen, ist ein Mentalitätswandel notwendig. Undenkbar? In vielen Bereichen hat es den in den vergangenen Jahrzehnten gegeben. Heute scheint es uns unvorstellbar, dass verheiratete Frauen in Österreich bis zum Jahr 1975 nur mit Zustimmung ihres Ehemanns arbeiten gehen durften. Die Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf im Jahr 1978 endete mit einem denkbar knappen Ergebnis. Österreich schien gespalten. Trotzdem ist es in Österreich längst gesellschaftlicher Konsens, Atomenergie abzulehnen. Aber auch im Bereich der Mobilität hat dieser Mentalitätswandel schon begonnen, wie Hänggi anmerkt: „In vielen Städten, von Kopenhagen über Wien bis Paris oder Bogotà, hat ein solcher in den letzten Jahren eingesetzt, in ländlichen Regionen hingegen noch kaum.“ Das hat auch mit den positiven Erfahrungen zu tun, die viele Städte gemacht haben. „Überall, wo der Verkehr reduziert und Lebensqualität im öffentlichen Raum dadurch erhöht wurde, würde heute fast niemand mehr zu den alten Zeiten zurückkehren wollen – sei das in Kopenhagen, im brasilianischen Curitiba, auf dem Broadway oder in meiner Stadt, Zürich, auf dem Limmatquai.“ Oder, um noch einmal nach Österreich zurückzukehren: Kann sich heute noch jemand vorstellen, dass sich lange Autokolonnen von der Kärntner Straße über den Stephansplatz quälen?

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