Elisabeth von Samsonow - direkt gefragt

Öffentlicher Raum gehört uns allen

Elisabeth von Samsonow ist Künstlerin, Philosophin und Professorin für Philosophische und Historische Anthropologie der Kunst an der Akademie der bildenden Künste in Wien. In dem von ihr mitgegründeten „Land of the Goddesses/Göttinnenland“ im niederösterr

Das VCÖ-Magazin sprach mit Elisabeth von Samsonow, Künstlerin, Philosophin, Aktivistin und Professorin an der Akademie der bildenden Künste in Wien darüber, warum unsere Gesellschaft eine (Rück-)Besinnung auf die mütterlichen Werte, wie Sorge und Teilen statt Besitzen braucht, wie der öffentliche Raum neu gedacht werden muss und warum die Bewahrung der Ressource Boden die schützenswerte Basis alles Lebens ist, die nicht dem Land Grabbing der Superreichen überlassen werden darf.

VCÖ-Magazin: Ihr philosophischer, künstlerischer Ansatz baut auf das Matriarchat auf, als die Organisation des sozialen und ökonomischen Lebens nach mütterlichen Werten. Von welchen Werten sprechen Sie da?

Elisabeth von Samsonow: Im Vordergrund steht der Begriff der Sorge, der äquivalent ist mit dem Begriff der Verteilung, er bedeutet eben auch Teilen statt Besitzen. Gesellschaften, die matriarchale Prinzipien als Grundlage ihrer Organisation, ihrer Wirtschaft haben, haben eine vollständig andere Idee der Prestigegewinnung als wir. In diesen Gesellschaften wird Prestige gewonnen durch Akte, die  allen zugutekommen. In solchen Gesellschaften würde etwa ein Superreicher gar nicht existieren können, aus Furcht, verachtet zu werden. Es ist schon in Ordnung, sehr gut, leben zu wollen. Aber wenn jemand völlig absurd mehr hat als er braucht, stellt sich die Sinnfrage. In Österreich etwa besitzen acht Prozent der Leute 50 Prozent des Vermögens. Ich würde gar nicht radikale Enteignungsgesetze vorschlagen, sondern einfach Prestige anders formulieren.

Zum Beispiel die Frauen, die den Markt in Yuchitàn in Mexiko verwalten, wählen immer eine Frau, die in der Lage ist, zu beurteilen, was für alle am besten ist, wer was braucht. Diese Frau genießt ein unglaubliches Prestige, weil sie natürlich viel Erfahrung braucht, das soziale Leben ihrer Gruppe klar zu sehen. Diese Person genießt dieses Ansehen, weil sie weiß, wie sie am besten verteilt, und nicht, wie sie am meisten für sich behält.  Sie organisiert die riesigen Umverteilungsfeste, die in dieser Gesellschaft dazu dienen, das, was zu viel ist, jenen zugutekommen zu lassen, die es brauchen.  Das ist ein ganz altes, ganz wichtiges Prinzip.

VCÖ-Magazin: Die Sorge ist nach Ihrer Sicht ein weibliches Prinzip?

Elisabeth von Samsonow: Sie ist in erster Linie ein mütterliches Prinzip. Eine gute Mutter, die mütterlichen Werte, tun eigentlich allen gut. Während beschädigte, allein gelassene, traumatisierte Menschen auch ein volkswirtschaftliches Problem sind. Die Studie einer deutschen Kollegin hat betrachtet, was uns das Patriarchat tatsächlich kostet. In den matriarchalen Gesellschaften verpflichten sich sowohl die Männer als auch die Frauen den mütterlichen Werten – das ist ganz einfach. Das Patriarchat, in Gestalt dieser großen Väterfiguren,  von römischer Statur,  existiert bei uns nicht mehr, jedoch, die symbolischen und politischen Strukturen nähren sich noch von der Idee des Patriarchats. Auch die Männer sind, das ist ja in der Geschichte zu sehen, extrem  beschädigt worden, durch den Betrug an ganzen Generationen junger Männer, die in die Kriege geschickt wurden und so weiter. Insofern sind die politischen Vorzeichen für ein Matriarchat eigentlich äußerst günstig im Moment – wäre da nicht die kapitalistische Idee, die sich für Wenige so fantastisch auszahlt.

VCÖ-Magazin: Sie und die andern Frauen im „Dissident Goddesses´Project“ sind mit dem Thema Matriarchat und Mutter auf viel Unverständnis und Ablehnung gestoßen, bis hin zum Vorwurf des Faschismus. Woher kommt das, dass das Bild von der Mutter, derart merkwürdig geprägt ist?

Elisabeth von Samsonow: Das ist eine sehr wichtige Frage, der wir uns in unserem Forschungsprojekt sehr ausführlich gewidmet haben. Wir haben eine intellektuelle und künstlerische Analyse durchgeführt. Sehr seltsam, dass der Eindruck entstehen konnte, unser Projekt sei naiv. Uns war klar, dass die Idee der Mutter problematisch sein kann und auf komplexe Weise und politisch missbraucht worden ist. Und dass es natürlich schlechte reale Mütter gibt! Wir haben uns vor allem für die Linie des politischen Missbrauchs interessiert und diesen nachgezeichnet. Ein  Forscher aus Bangladesch in unserem Team, Ebadur Rahman, hat über das, was er einen „eurasischen Transport von Ideen“ nennt, geschrieben, dass nämlich die Idee einer großen Göttin für die Moderne und vor allem für die modernen Faschismen ein wichtiges Konzept war. Mutter und Boden bilden die Gleichung, die für den Nationalsozialismus außerordentlich wichtig war. Die Reichsexpansionsidee war auf dieser Vorstellung einer Volksmutter aufgebaut, die Boden für alle ist. Wir haben uns das genau angeschaut und gesehen, dass die politische Entwendung des Mutterbegriffs tatsächlich eine Signatur der modernen Totalitarismen ist. Das heißt, dass eine Schaltung von Patriarchat auf Krypto-Matriarchat im Totalitarismus stattgefunden hat – alle sitzen im gleichen Schoß, der Schoß heißt Land, heißt Territorium, heißt Nationalstaat und der Führer ist sozusagen das Lieblingskind, das mehr oder weniger automatisiert brutal naturalisierte Befehle der Mutter ausführt. Da muss noch auf eine sehr kritische Art und Weise die Detailarbeit gemacht werden, um die feministische Form des Matriarchats zu retten vor diesen Zugriffen. Diese brutale Kurzschließung der revolutionären Söhne mit der Mutteridee hat schon in der französischen Revolution stattgefunden, und seither wird im Namen der Mutter – der auf die modernen Nationalstaaten übergegangen ist –  getötet und ausgebeutet. Ein Matriarchat, wie wir es uns vorstellen, muss auf diesen Prinzipien der Sorge, der Distribution, des Teilen statt Besitzen basieren, auf Formen des regionalen Handelns und Wirtschaftens, auf hochgradiger Autonomie von Gruppen, die eine soziales und ökonomisches Kontinuum mit ihrem Land bilden – das muss erstmal mühselig wiedergewonnen und profiliert werden gegen diese Form der totalitären Übernahme.

VCÖ-Magazin: Teilen statt Besitzen ist mittlerweile im Mobilitätsbereich, etwa als Carsharing, ein wichtiges Thema, setzt sich aber nicht im größeren Stil durch. Woran liegt das?

Elisabeth von Samsonow: Diese ausgezeichneten Ansätze erleben natürliche Limits, da unsere Lebensweise extrem singularisiert ist. Das Modell des Teilens ist gesellschaftlich überhaupt nicht verankert. Das Ich und sein Eigentum werden ident gesetzt. Es kann kein Ich hergestellt werden, wenn ich nicht vorher diesen privilegierten Eigentumstitel habe.  Es wäre gut, mal historisch auszuholen, um zu zeigen, wie beschränkt das ist. Wir werden unglaubliche Probleme bekommen wegen dieses Junktims zwischen dem Ich, seinem Eigentum, seinem Besitz und seinem  Müll.

Zuteilung ist sehr wichtig, weil sie die Frage impliziert, die bei uns nicht gestellt wird: Was brauchen wir wirklich? Die Antwort setzt eine Form an sozialer Intelligenz voraus, die bei uns fehlt. Es gibt schon Akte der Zuwendung, der Liebe, der Sorge – vor allem Frauen produzieren solche Akte und stellen damit gesellschaftliche Klebkraft her, für die Kinder, die Männer, die Pflege ihrer Mütter und Väter. Aber die gesellschaftliche Oberfläche tut so, als würde sie nach anderen Prinzipien funktionieren müssen.

VCÖ-Magazin: Sie haben als einen dieser mütterlichen Werte die Erschaffung eines Raumes genannt. Was meinen Sie damit?

Elisabeth von Samsonow: Ich meine damit die Schaffung eines gedeihlichen, mütterlich definierten oder ethisch grundierten Raumes für die Entwicklung jedes Einzelnen und jeder Einzelnen, einen Raum des Werdens, der von vornherein von einer Architektur der Gegenseitigkeit, der Solidarität, der Solidarpflichtigkeit geprägt ist – also wenn ich mich um die Kinder meiner Nachbarin kümmere, kann ich mir erwarten, dass sie sich auch um meine kümmert. Ich erlebe das übrigens auf dem Land bei den Bauern, bei den Bäuerinnen, als sehr ausgeprägt, und relativ gut funktionierend. Wir leben in der urbanen Welt in einem Raum, der für ältere Leute ein so gut wie unüberwindliches Hindernis darstellt, die sind damit genauso disprivilegiert, wie die ganz Kleinen.  

Der öffentliche Raum gehört uns allen. Ich finde, dass die öffentlichen Räume stärker als kollektives Gut reflektiert werden müssen, weil sie Besitz von allen sind, den wir auch gemeinsam gestalten können. Wer lange in Asien war und nach Europa zurückkommt, wundert sich wieso die Leute hier den öffentlichen Raum in so einer Art militärischer Ordnung durchschweifen. Wenn einer irgendwo sitzt, wird er aufgefordert zu gehen, weil das gleich nach Lümmelei aussieht. Ist es bei uns überhaupt erlaubt auf der Verkehrsinsel, auf dem Gehsteig zu picknicken – was in vielen Ländern gemacht wird? Es braucht da auf Dauer ein völlig neues Denken dieser kollektiven Räume. Gute Ansätze gibt es ja bereits.

VCÖ-Magazin: Sie greifen die Funde prähistorischer Frauenfigürchen wie die Venus von Willendorf  in Ihrer künstlerischen Arbeit zentral auf. Was bedeuten diese Figuren für Sie?

Elisabeth von Samsonow: Sie sind künstlerisch extrem anregend, die Formensprache dieser Figuren ist sehr radikal und wunderschön. Sie wirken auf uns modern. Diese prähistorischen Funde waren wesentlich daran beteiligt, dass es so etwas wie moderne Kunst überhaupt gibt. Die großen Protagonisten der modernen Plastik – etwa Henry Moore, Brancusi, Hans Arp - besaßen prähistorische Kleinplastiken, weibliche Figurinen. Die haben deren bildhauerische Sprache weiterentwickelt. Auch deshalb sind sie für mich interessant, weil sie eben nicht nur ein reales Argument für eine lange weibliche Geschichte sind, alles Moderne in Kunst und Geschichte sind durch diese Funde überhaupt erst hergestellt worden. Es ist für mich bewegend, rührend und erschütternd, diese Funde immer wieder zu sehen. Wer hat sie also gemacht – haben Frauen sie gemacht, haben Männer sie gemacht, was wollten sie damit sagen? Also, es haben die Frauen, die Mütter, für diese Leute etwas bedeutet, das sagen sie für mich aus.  Diese Figuren sprechen uns an. Und ich möchte sie gerne als Komplizinnen nehmen für die Wende, die mir vorschwebt.

VCÖ-Magazin: Sie haben mit anderen Frauen vier Hektar Grund im Weinviertel gekauft, das „Göttinnenland“ und machen dort in einer Mischung aus Kunst, Wissenschaft, Landschaftsanalyse, Landschaftsökologie unterschiedlichste Aktionen und Veranstaltungen. Erzählen Sie davon!

Elisabeth von Samsonow: Dem Landkauf ging ein Forschungsprojekt voran, das „The Dissident Godesses Network“ hieß und an der Akademie der Bildenden Künste angesiedelt war. Die erste Forschungsetappe ist jetzt abgeschlossen – es folgt noch eine zweite, da wird das Projekt an das Mamuz, das Museum für Ur- und Frühgeschichte in Asparn an der Zaya angebunden sein. Die erste Etappe konzentrierte sich auf eine kritische Diskussion der archäologischen Kommentare zu  den österreichischen Venusfunden, im Kontext zu vergleichbaren internationalen Situationen. Also was denken die Forscherinnen heutzutage? Dieses gesamte Thema ist ja enorm in Bewegung, geradezu wöchentlich tauchen neue Funde auf, die zum Neu- und Umdenken zwingen. Dann wollten wir auch nicht nur auf die Funde selber schauen, sondern auch auf die Geologie – also was ist das für eine Landschaft, wie ist sie entstanden, wie ist diese Kultur entstanden, in der diese Artefakte auftauchen, welchen Anteil hat die Landschaft selber daran, ihre Fruchtbarkeit, etc. Wir haben unverzüglich dieses Junktim zwischen Archäologie und Ökologie etabliert. So wurde das ganze Projekt plötzlich ökologisch. Es ging etwa um Erdoberfläche und Humuspakete, die unterschiedliche Narrative haben: zum Beispiel, wie tief bist du drin mit deinem Pflug, kommst du schon auf die Paläolithebene, bist du noch im Neolithikum, oder bist du noch in der Humusschicht – wo bist du eigentlich in der vertikalen Zeitachse? Wir haben dann das Land gekauft, da uns das Gefühl beschlichen hatte, dass wir dieses Riesenthema nicht nur Büchern entnehmen können. Das Land ist für uns das große Labor geworden. Jetzt sehen wir deutlicher, was los ist, wer alles auf das Land weshalb zugreift, dass es kein Niemandsland geben kann. Wir haben sehr viel gelernt, vom Land, und von den Leuten, die wir eingeladen haben, in unserem „Parlament“ zu reden. Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Wir haben interessanterweise auch eine archäologische Stätte in unserem Göttinnenland, ein Mammutjägerlager aus dem Pleistozän, das in den 1990er Jahren ausgegraben wurde. Die Funde wurden von Professor Trnka (Univerität Wien) ausgegraben, die Ergebnisse sind publiziert. Die Funde selbst sind im Krahuletz-Museum  in Eggenburg ausgestellt. Übrigens, unser Alberndorfer Mammutjägerlager, das ist eine der bedeutendsten solchen Stätten halbnomadischer Großtierjäger in diesem Teil Europas.

VCÖ-Magazin: Arbeiten Sie im „Göttinnenland“ vor allem diese historischen Kontexte auf?

Elisabeth von Samsonow: Ja, durchaus. Die Leute vor Ort haben keine Ahnung. Aber Ihnen gefällt diese Geschichte. Wir wollen informieren. Und wir sagen, dieses Land gehört der Göttin, sie vollzieht da eine Epiphanie oder sowas. Wir schauen ihr zu, sie kann erscheinen wie sie will. So erscheint sie uns im Moment als Trockenheit, als Problem. So machen wir auch Forschungen zur Klimageschichte, führen Bodenproben durch – wie können wir reagieren, was raten wir den Leuten. Wir lassen alle möglichen Fachleute kommen, die sich das anschauen, die mit den Bauern reden. Wir veranstalten Parlamentssitzungen mit Fachleuten und mit Leuten, die aus ihrer Expertise heraus interessant sind. Wir haben dort etwa einen Hang, so trocken, dass die Wüstenbildung schon fortgeschritten ist – da wächst gar nichts mehr. Ich versuche gerade, den wieder aufzuforsten, mache das Experiment, ob diese Ver-Wüstung umkehrbar ist.

VCÖ-Magazin: Die rasant voranschreitende Bodenversiegelung ist ein wachsendes Problem. Der Mutterboden, der Humus, haben eine zentrale Rolle für unser Leben. Dessen lebendige Eigenschaften werden durch die Aktivitäten von Kleinstlebewesen bestimmt. Brauchen wir einen Paradigmenwechsel im Umgang mit dem Boden?

Elisabeth von Samsonow: Das Land ist eine gebende Instanz. Es ist nicht ganz verkehrt, es als Mutter zu bezeichnen. Die gesamte Reihe der Lebewesen, die gesamte Herstellung von Gütern, fängt dort an. Wenn jemals das Land seine Produktion von Nahrung einstellen sollte,  dann brauchen wir auch den Rest nicht mehr. Unsere Bauern stehen teilweise mit dem Rücken zur Wand, weil ihnen die Preise auf niedrigstem Niveau diktiert werden. Sie können schon mit Subventionen und kluger Wirtschaft überleben, aber es ist doch deprimierend, was sie kriegen für ein Kilo sowieso und das Liter sowieso.  Es wird behauptet, ihnen sei mit der industriellen Landwirtschaft Gutes gebracht worden. So sei es erst möglich geworden, dass wir in den Städten von den Erzeugnissen dieser Leuten leben. Wir sehen, was heraus kommt: kaputte Böden – wirklich ein ganz großes Problem.

Was zu tun wäre, ist diese ganze Kette der Produktion wieder umzudrehen, dort vor Ort anzufangen, und zu sagen: der gesunde Boden ist wesentlich. Das motiviert die Leute. Das heißt, eigentlich ist das gebende Territorium, die Regionalität das neue Paradigma. Durchaus im Sinne eines Europas der Regionen, wo es eine Reautonomisierung einzelner Regionen in einem Verband der Regionen gibt. Das ginge in Österreich ja noch! Da muss sofort bei diesen kleinen Strukturen angesetzt werden, die noch funktionieren. Es gibt ja Länder, wo das gar nicht mehr geht, weil die Regionalstrukturen so zerstört worden sind, entweder durch transregionales Wirtschaften oder Extraktionismus, oder Zerstörung der Infrastruktur – bei uns gibt es sie aber noch. Nur: jetzt ist der Moment! Wenn wir nicht sofort umkehren und anfangen, das Richtige zu tun, dann ist diese Möglichkeit auch für uns verloren. Das Weinviertel etwa ist noch so klein strukturiert, so mannigfaltig in seiner Bebauungsstruktur, wenn auch hier die Böden schon beeinträchtigt sind, sind sie nicht ganz kaputt. Da wäre jetzt der Aufruf zur Umkehr, zum Umdenken nötig – so wäre möglich ein sehr glückliches, sehr gesegnetes, sehr reiches, mit Gütern auf stabile Weise versorgtes Land zu werden – was heute viel bedeuten würde! Es wäre gut, wenn der Staat, - der ja immerhin mit den Menschen, die in ihm leben, identisch ist – die regulativen Möglichkeiten, die er hätte, also die Steuerinstrumente auch zur Anwendung bringen würde, indem er langfristig vorausschauend gestaltet. Niederösterreich könnte tatsächlich so eine Form von Modellland werden in dieser Hinsicht.

VCÖ-Magazin: Land Grabbing ist globales Problem – Sie schreiben, dass alle Oligarchen, Tycoons und internationalen Großkonzerne ihr Geld in Land investieren.  Warum ist das so?

Elisabeth von Samsonow: Weil es total klar ist, wenn alle Formen des Wirtschaftens zusammenbrechen – die einzige Ressource, die immer eine Ressource bleiben wird, ist das landwirtschaftlich nutzbare Territorium. Das Vorhaben ist, die nächste große Kapitalisierungswelle durch ein Junktim zwischen Digitalisierung und Agrikultur zu erzwingen. Das bedeutet die Volldigitalisierung der Landwirtschaft, also die Bauernschaft soll dazu gezwungen werden, den Konzernen die Programme, die Software abzukaufen, dafür, dass sie sich selber überflüssig machen und überwachen lassen. Sie lassen Roboter auf ihren Feldern fahren und kaufen alles, was es technisch dazu braucht. Das ist ein prachtvoller Markt der Zukunft, unfassbar, weil noch dazu die ganze Welt davon abhängig ist. Das wissen diese Superreichen ganz genau. Deshalb haben sie sich  schon mal ordentlich mit Grund eingedeckt. Landwirtschaftlicher Boden war skandalös billig. Es wird die Wertlosigkeit dieser Ressource simuliert, während sie im großen Stil von den Konzernen aufgekauft wird. Schauen wir nach Frankreich, dort gehören große Güter des Bordeaux, die großen Weingüter, den Chinesen. Nicht nur, weil sie gerne Wein trinken, sondern weil sie wissen, das ist eine super Ressource! Daher meine ich, wir müssen auch die Geschehnisse in Niederösterreich mit ganz wachen Augen beobachten. Ich sehe wirklich die Möglichkeit, dieses Land als Modellland zu gestalten. Wenn das aber so ist, dann muss dafür gekämpft werden, dass das auch ausprobiert, entwickelt wird. Zum Segen vieler. Die urbane Elite sieht Vieles, aber das sieht sie überhaupt nicht. Die guten Gedanken sind alle da, aber die Taten fehlen mir. Das sage ich jetzt als Aktivistin, denn ich weiß, wie schwer das ist, eine Tat folgen zu lassen, wenn womöglich selbst ausgeführt werden muss, was das für eine elende Sklaverei ist, einfache Dinge zu tun, die aber, werden viele zusammengenommen,  so wirksam wären. Wenn wir im Göttinnenland in Hadres absehbar wenig Wasser haben werden, da können wir ja nicht einfach zuschauen! Bernhard Schmid, der in Hadres eine Rebschule betreibt, hat das Projekt „Regenwald Hadres“ gestartet, wir pflanzen viele Bäume, weil wir wissen, dass Bäume viel Feuchtigkeit ausatmen, dass also mit mehr Wald mehr Verdunstung stattfindet, und es vermehrt Niederschläge gibt. Wir fangen ganz klein an. Von den Bäumen, die wir gepflanzt haben, sind 60 Prozent in diesem heißen Sommer wieder eingegangen. Das ist Sisyphusarbeit. Aber step by step wird es was werden.

VCÖ-Magazin: Kunst, Philosophie, Wissenschaft, Aktivistin - Sie sind in sehr vielen Feldern tätig. Machen diese Kategorien überhaupt noch Sinn?

Elisabeth von Samsonow: Zwischen Philosophie und Kunst sehe ich keinen Riss. Für mich ist Kunst so wichtig, weil sie eine Form von Subjektivität transportiert, in Felder hinein, die nur über „Objektivität“ definiert sind und damit scheinbar transparent, wissenschaftlich. Wir müssen uns in unser Wissen selber mit hinein entwerfen. Deswegen ist Kunst für mich wie eine Prüfstelle für das, was ich denke. Denn finde ich für etwas keine Sprache, die mit subjektiven oder emotionalen Tönen besetzt werden kann, dann ist das Ganze nicht angepasst genug an das, was uns die Welt als Aufgabe vorgibt.

Das Gespräch führte Christian Höller.

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