Erleben die Nachtreisezüge eine Renaissance?
Von 9 auf 15 – mit dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember 2016 erweitern die ÖBB ihr Angebot an Nachtreisezügen und starten unter der Marke „ÖBB Nightjet“ neu durch. Nachtreisezug statt Flugzeug – sind Nachtreisezüge ein Hoffnungsträger für die Reduktion der CO2-Emissionen im Fernverkehr?
>> von Christian Höller
Rund 100 Millionen Euro, 17 Prozent des Umsatzes, erwirtschaftet der ÖBB-Fernverkehr mit seinen Nachtreisezügen und macht damit auch Gewinn. Unsere Nachtreisezüge sind defizitär, behauptet hingegen die Deutsche Bahn DB und stellt sämtliche Nachtreisezugverbindungen mit Fahrplanwechsel ein. Die ÖBB haben international aufhorchen lassen, indem sie fast die Hälfte der DB-Nachtreisezüge samt Wagenmaterial übernehmen und so ihr eigenes Angebot an Nachtreisezügen von neun auf 15 Verbindungen erhöhen. Zuletzt beförderten die ÖBB-Nachtreisezüge eine Million Fahrgäste pro Jahr. „Wir erwarten im nächsten Jahr um 50 Prozent mehr Fahrgäste in den Nachtreisezügen“, so Michael Braun, Pressesprecher der ÖBB Holding. Die restlichen DB-Nachtzugstrecken, vor allem Ost-West-Verbindungen wie Warschau–Köln oder Dresden–Basel sind mit Fahrplanwechsel jedoch Geschichte, die europaweite Ausdünnung der Nachtzugverbindungen setzt sich damit, trotz des ÖBB-Coups, leider fort.
Die Konkurrenz durch Billigflieger und zunehmend auch durch Nachtbusse werden als Gründe für das Sterben der Nachtreisezüge genannt. Große Staaten wie Frankreich und Deutschland, die Milliarden in Hochgeschwindigkeitsstrecken investieren, stellen Nachtreisezüge als konzern-interne „Konkurrenz“ ein.
Die neuen Jets der ÖBB
Die ÖBB investieren 40 Millionen Euro und werden künftig unter der neuen Marke „ÖBB Nightjet“ unterwegs sein. Jeder ÖBB Nightjet wird neben Liege- und Schlafwagen immer auch Sitzwagen mitführen. Preise und Angebote können solcherart stark differenziert gestaltet werden, der komfortbewusste Fahrgast wird ebenso wie Billigpreis-Reisende angesprochen. Punkten wollen die ÖBB zusätzlich mit verbessertem Frühstücks-Service, der Auto- und Motorradmitnahme in acht der 15 ÖBB Nightjets sowie mit günstigen Sparpreis-Angeboten in den Sitzwaggons. Platz für Fahrräder haben die ÖBB Nightjets nur zwischen Österreich und Deutschland sowie Deutschland und der Schweiz.
„Um eine gute Wirtschaftlichkeit zu erzielen, ist es wichtig, dass wir Synergien am Bestandsnetz erzielen. Mit den Strecken, die wir nun in Angriff nehmen, können wir unsere Gestehungskosten sogar reduzieren und gleichzeitig durch unsere Marktkenntnis das Produkt werbe- und vertriebsmäßig gut unterstützen“, so Michael Braun. Das Wagenmaterial verbessern die ÖBB in den kommenden Jahren sukzessive, erst durch Umbauten, ab Dezember 2020 kommen dann auch völlig neue Nachtreisezüge zum Einsatz. „Wenn sich die Nachtreisezüge bis dahin als wirtschaftlich erfolgreich erweisen“, so Michael Braun, „ist es möglich und geplant, zusätzliche Strecken aufzunehmen.“
Schienenmaut belastet Nachtreisezüge
Die Rahmenbedingungen benachteiligen den Bahnverkehr im Wettbewerb mit dem Straßen- und Luftverkehr. Die Bahn bezahlt in der EU für jeden gefahrenen Kilometer Schienenmaut – Kfz tun das gerade mal auf einem Prozent des Straßennetzes. Zehn bis 20 Prozent der Gesamtkosten eines Nachtreisezugs entfallen laut ÖBB auf die Trassenkosten. Die Schiene zahlt im Gegensatz zum Luftverkehr Energiesteuer, Mehrwertsteuer auf Tickets für internationale Verbindungen und ist in den Emissionshandel einbezogen.
Die EU lässt bei Regionalflug-häfen Subventionen für den laufenden Betrieb zu – von 23 internationalen Flughäfen in Deutschland sind 17 defizitär –, für den Betrieb von Nachtreisezügen nicht. Die europäischen Airlines bekommen auf diese Weise jedes Jahr 30 Milliarden Euro geschenkt, kritisiert Michael Cramer, EU-Parlamentarier und Vorsitzender des Verkehrsausschusses im EU-Parlament. Er fordert, durch entsprechende Ausschreibungen Forschungs- und Entwicklungsgelder auch in Richtung der Entwicklung moderner Nachtreisezüge zu lenken.
Verkehrswende braucht Nachtreisezüge
Hotelkosten sparen, entspanntes Langstreckenreisen mit Kindern, morgens ausgeschlafen Termine wahrnehmen, Flugangst – es gibt viele individuelle Argumente für den Nachtreisezug. Eines der wichtigsten Argumente ist mittlerweile, dass die EU-Kommission in ihrer Strategie für emissionsarme Mobilität vorgibt, die CO2-Emissionen im Verkehrssektor bis zum Jahr 2050 um mindestens 60 Prozent zu verringern. „Für die dazu nötige Verkehrswende sind die Nachtzüge auf vielen innereuropäischen Relationen die einzige klimafreundliche Alternative zum Flugzeug“, so Michael Cramer.
>> ÖBB-Nightjet – das Nachtreisezug-angebot der ÖBB, nightjet.com
LunaPark 21 – Sonderheft „Stoppt das Nachtzug-Aus“, www.lunapark21.net
Wortspende:
Michael Cramer, EU-Parlamentarier und Vorsitzender des Verkehrsausschusses im EU-Parlament
„Für die nötige Verkehrswende sind die Nachtzüge die einzige klimafreundliche Alternative zum Flugzeug.“