Fachleute im Gespräch

Susanne Wrighton

Projektkoordinatorin Cyclelogistics Projekt, FGM Forschungsgesellschaft Mobilität

VCÖ-Magazin: Woher kommt die erstaunliche Renaissance der Transportfahrräder in den letzten Jahren?

Wrighton: Der motorisierte Verkehr in Städten führt zu Staus, Parkplatznot und gesundheitsschädlichen Emissionen. Lkw und Lieferwägen vertragen sich schlecht mit dem Anspruch auf Sicherheit und Lebensqualität. Trends wie der Online-Handel führen zu noch mehr Güterverkehr. Städte stehen verstärkt unter Druck, neue Wege zu finden. Wie Lösungen aussehen können und wie Transportfahrräder sowohl für private als auch kommerzielle Transporte auf kurzen Wegen ideal einsetzbar sind, zeigt das EU-Projekt cyclelogistics.eu seit dem Jahr 2011 in verschiedenen -Städten Europas vor.

 

VCÖ-Magazin: Durch welche Maßnahmen kann der Einsatz von Transportfahrrädern erfolgreich stimuliert werden?

Wrighton: Da gibt es viele Ansätze. Etwa finanzielle Direktförderungen als Kaufanreiz im kommerziellen und im privaten Bereich, wie in Wien, Graz, Lustenau, Basel, München und Bologna. Und Testmöglichkeiten, um den geeigneten Fahrradtyp für den spezifischen Einsatzzweck zu finden. Das neueste Beispiel dafür ist die für drei Jahre mit 1,8 Millionen Euro geförderte Aktion des Deutschen Umwelt-ministeriums, die es Betrieben ermöglicht, aus bis zu 150 unterschiedlichen Transportfahrrädern auszuwählen und sie bis zu drei Monate lang zu testen. Sharing-Angebote wie die „Freien Lastenräder“ und „carvelo2go“ in der Schweiz ermöglichen jenen den Zugang, die wegen Platzmangels oder zu hoher Anschaffungskosten kein eigenes Transportfahrrad möchten. Restriktionen für den Autoverkehr bei gleichzeitiger Bevorzugung von Transportfahrrädern, wie etwa in Bozen, Basel und San Sebastian, und die Änderung von Beschaffungsrichtlinien öffentlicher Stellen, sodass Lieferungen per Transportfahrrad zumindest mitgedacht oder sogar bevorzugt werden, sind weitere Möglichkeiten.

»Trends wie der Online-Handel führen zu noch mehr Güterverkehr.«

Tanja Dietrich-Hübner

Leitung Nachhaltigkeit REWE International AG

„Die REWE International AG setzt seit dem Jahr 2013 eigene Transportfahrräder für die Zustellung von Einkäufen in Wien ein. Beim Merkur am Hohen Markt und in der Mariahilfer Straße können Kundinnen und Kunden dieses umweltverträgliche Service in Anspruch nehmen, um sich die Einkäufe nach Hause bringen zu lassen. Seit Anfang Februar 2017 setzt auch Billa auf ein Transport-E-Bike in Wien und bietet die Zustellung per Fahrrad mit elektrischer Unterstützung an. Das Fahrrad erreicht Geschwindigkeiten bis zu 25 Kilometer pro Stunde und sorgt damit für eine äußerst schnelle Zustellung des Einkaufs. Geräumige Transportboxen bieten Platz für Einkäufe bis zu 100 Kilogramm und ermöglichen auch ordnungsgemäßes Verstauen von temperaturempfindlichen Produkten wie Frischfleisch, Fisch oder Tiefkühl- und Milchprodukte. Daneben kooperiert Bipa mit dem Zustelldienst Veloce. In Wien, Graz, Linz, Klagenfurt, Salzburg und Innsbruck setzt Veloce für Kurzstrecken und besonders schnelle Lieferungen vorrangig Transportfahrräder und Elektro-Cargo-Bikes ein. Wir erhalten viel positives Feedback und ersparen damit der Umwelt jährlich viele Tonnen CO2.“

»Wir erhalten viel positives Feedback und ersparen jährlich viele Tonnen CO2.«

Florian Weber

Geschäftsführer der Heavy Pedals Lastenradtransport und -verkauf OG in Wien.

Heavy Pedals wurde im Jahr 2012 mit dem VCÖ-Mobilitätspreis Wien ausgezeichnet.

„Als wir im Jahr 2009 Heavy Pedals zu dritt gründeten, wollten wir vor allem die vielen kleinen Handwerksbetriebe und Unternehmen auf das Transportrad bringen. Das stellte sich als schwieriger heraus als gedacht. Wir hörten oft: ,Das geht nicht‘ oder ,… da steigen mir meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht rauf‘ oder der Klassiker: ,… aber was, wenn‘s regnet?‘.

Es waren vor allem junge Familien und frische Eltern die, mehr oder weniger auf Anhieb, die Vorteile eines Transportfahrrades sahen und durch ihren Einsatz bereits das Stadtbild verändert haben.

Erst die letzten zwei bis drei Jahre merken wir vermehrt eine Nachfrage nach gewerblich genutzten Transportfahrrädern. Hier sind es nicht nur kleine Zustelldienste, sondern auch die großen Player der Kurier-Express-Paket-Branche. Es gibt auch mehr Nachfragen nach speziellen -Kaffee-, -Essen-, Eis-Gastro-Fahrrädern. Ein weiteres Einsatzgebiet findet sich in den Kommunen, wo Transportfahrräder etwa für die Wartung und Überprüfung von Spielplätzen, die Straßenreinigung und auch für die Betreuung von Wohnbauten eingesetzt werden.
Von Jahr zu Jahr wird auch der Anteil der elektrifizierten Fahrräder größer, hier gibt es momentan eine sehr schnelle Weiterentwicklung, speziell was die Akkutechnologie – hin zu größeren Kapazitäten, höheren Reichweiten – angeht.
Wir gehen weiterhin von einem vermehrten Einsatz der Transportfahr-räder aus, das Potenzial dieser Fahrzeuge ist bei weitem noch nicht erschöpft.“

»Vor allem junge Familien haben rasch die Vorteile von Transportfahrrädern gesehen.«

Ralf Bogdanski

Nachhaltige Unternehmensführung und Logistik, Technische Hochschule Nürnberg

„Bei den innovativen Zustellkonzepten in der Stadtlogistik von Kurier-, Express- und Paket-Diensten (KEP) wird das Mikro-Depot-Konzept mit Einsatz von Transportfahrrädern als besonders nachhaltig eingestuft, bei sehr hoher sozioökonomischer Akzeptanz. Bei systematischer stadtgeografischer Vorauswahl von geeigneten Zustellgebieten und anschließender Zeitreihenanalyse der Sendungsstrukturen in diesen Gebieten ist es im operativen Betrieb grundsätzlich wirtschaftlich. Die Gesamtwirtschaftlichkeit hängt von den spezifischen Standortfaktoren wie den Mietkosten ab – für stationäre Mikro-Depots ist es oft nicht einfach, logistisch geeignete Immobilien zu akzeptablen Kosten zu finden. Daher sollten stationäre Mikro-Depots zur Fixkostendegression kooperativ genutzt werden.

Das Angebot an Transportfahrrädern auf dem Markt, die für die KEP-Branche geeignet sind, stellt von der Funktionalität her zumeist einen Kompromiss dar. Zudem sind die Anbieter Manufakturen und stellen bestenfalls Kleinstserien her. Bei einer Ausweitung der Mikro-Depot-Konzepte über die bereits laufenden Feldversuche in einigen Städten Deutschlands hinaus sollte eine KEP-Branchenlösung für Pedelec-Transportfahrräder entwickelt werden, mit dem Ziel einer Produktion unter Serienbedingungen mit einem adäquaten Serviceangebot.“

»Das Mikro-Depot-Konzept in Kombination mit Transportfahrrädern wird als besonders nachhaltig eingestuft.«

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