Fachleute im Gespräch

Katja Schechtner

Katja Schechtner Urban Innovation Agent, MIT Media Lab, Boston; OECD, Paris; Visiting Professor, Technische Universität Wien

"Wir können heute auf Basis automatisierter Analysen von Straßenfotos vorhersagen, wie sich Stadtgebiete wahrscheinlich entwickeln werden."

 VCÖ-Magazin: Hat sich das Verständnis von Stadtstrukturen und den Menschen, die dort leben, verändert, seit wir mit neuen Technologien Informationen über Städte erfassen und analysieren können?

Katja Schechtner: Ja, wir gewinnen ganz neue Einsichten in die Nutzung von Regionen. Wir verstehen zum Beispiel viel besser die Verkehrsströme zwischen verschiedenen Gebieten – und sehen auch, wo es Verbindungslücken gibt und wieviele Menschen diese betreffen. In Kombination mit anderen Datensätzen können wir auch gute Aussagen darüber treffen, welche Mobilitätsangebote gut angenommen würden, etwa eine neue Buslinie, mehr Shared Mobility oder Elektro-Fahrräder. So können digitale Werkzeuge eingesetzt werden, um umweltverträgliche Mobilität zu gestalten, die Menschen dann auch nutzen möchten.

VCÖ-Magazin: Sie haben am Projekt „Stadtplan der Gefühle“ mitgearbeitet, bei dem das Ziel war, diffuse Qualitäten einer Stadt in emotionalen Landkarten messbar zu machen. Ist das gelungen?

Katja Schechtner: Das Projekt Place Pulse war ein Startpunkt für viele weitere Forschungen. So können wir heute auf Basis automatisierter Analysen von Straßenfotos vorhersagen, wie sich Stadtgebiete wahrscheinlich entwickeln werden und warum das so ist. Damit können wir etwa den Fokus auf Straßenzüge legen, die gerade abzugleiten drohen, und dort gezielt Verbesserungsmaßnahmen durchführen. Für New York kann das interaktiv unter http://streetchange.media.mit.edu/ angesehen werden.

VCÖ-Magazin: Wenn Sie in Ihren Projekten auch „weiche“ Fakten – Angst, Erleben, Lebensqualität, Freude – messbar machen, beunruhigt Sie diese Entwicklung zum „gläsernen Menschen“ nicht manchmal auch?

Katja Schechtner: Mehr darüber zu verstehen, wie Menschen etwa ihren Arbeitsweg wahrnehmen, gibt mir die Möglichkeit, menschengerechter zu planen, mitunter kleine Eingriffe zu machen, die große Wirkungen haben – von der Beleuchtung bis zum Gesamtlayout einer Kreuzung. Gleichzeitig verstehe ich die Sorge, dass Daten in falsche Hände geraten könnten – hier arbeite ich gerade daran, dass wir neue technologische Methoden nutzen, etwa „Blockchain“ oder „Safe Answers“, die so gestaltet sind, dass Privacy-Regeln gar nicht umgangen werden können.

Hans Arby

CEO des schwedischen Startup Unternehmens UbiGo Innovation. Das von UbiGo entwickelte multimodale Mobilitätsservice (MaaS Mobility as a Service) wird nach einem dreijährigen Pilotprojekt in Göteborg Ende des Jahres 2017 in Stockholm gestartet. Die österreichische Firma FluidTime ist IT-Partner des Projekts. http://ubigo.se/

"UbiGo bietet städtischen Haushalten durch ein flexibles Mobilitäts-Abonnement einfachen Zugang zu umfassender Alltagsmobilität."

VCÖ-Magazin: Was waren für UbiGo als multimodales Mobilitätsservice (Mobility as a Service, MaaS) in Göteborg Erfolgskriterien?

Hans Arby: Das Service bietet städtischen Haushalten durch ein flexibles Mobilitäts-Abonnement einfachen Zugang zu umfassender Alltagsmobilität. Die sorgfältige Evaluierung des Pilotprojekts zeigt, dass die 70 teilnehmenden Haushalte das Service sehr schätzten und dass es auch ihr Mobilitätsverhalten verändert hat. Wichtiger als wirtschaftliche oder Umweltüberlegungen waren dabei Zweckmäßigkeit und Flexibilität, etwa ein gemeinsames Konto für den ganzen Haushalt, mit Tagestickets für den Öffentlichen Verkehr und stundenweiser Autonutzung, und auch den Umfang des Mobilitäts-Abos monatlich an geänderte Bedürfnisse anpassen zu können.

VCÖ-Magazin: Wie zentral ist die digitale Plattform, die die Angebote verknüpft, um einen solchen Dienst zu etablieren?

Hans Arby: Eine IT-Plattform ist nur die Basis. Um Menschen mit Privatauto zu überzeugen, muss ein MaaS-Angebot den gesamten Mobilitätsbedarf eines Haushalts abdecken – und nicht bloß Einzelfahrten. Es geht darum, von morgens bis abends und von Montag bis Sonntag mobil zu sein. Oft werden wichtige Geschäftsnotwendigkeiten bei MaaS vernachlässigt, etwa die Zusammenarbeit mit den teilnehmenden Mobilitätsunternehmen, um Mehrwert für alle Beteiligten zu schaffen. Das ist besonders in einer Branche wichtig, in der die Gewinnspannen sehr klein sind oder sogar Verluste anfallen.

VCÖ-Magazin: Hat ein MaaS-Angebot das Potenzial, den Verkehr in einer Stadt zu verändern?

Hans Arby: Weniger Privatautos bedeuten weniger Autoverkehr und auch weniger verparkten öffentlichen Raum. MaaS ist für viele Haushalte ein Hilfsmittel zur Veränderung ihrer Mobilität. Klar ist aber, für eine Mobilitätsveränderung sind vor allem gute Stadtplanung und guter Öffentlicher Verkehr zentral.

Susanne Krawack

Mobilitätschefin von Aarhus (die zweitgrößte Stadt Dänemarks und heuer EU-Kulturhauptstadt), Mitbegründerin des Thinktanks Concito

»Es geht darum, durch Digitalisierung multimodale Mobilität und bewegungsaktive Mobilität zu stärken.«

„Es geht nicht um Digitalisierung als Ziel an sich, sondern darum durch Digitalisierung multimodale Mobilität und bewegungsaktive Mobilität zu stärken. Mit Hilfe von Digitalisierung ist es möglich, näher an Menschen und ihr erlebtes Umfeld zu kommen, dieses zu verbessern und so eine klimaverträglichere Mobilität zu unterstützen. So wie bei einem Projekt, das wir umsetzen, bei dem wir nicht nur erfahren, wo Menschen gerade unterwegs sind, sondern bei dem sie ihr Umfeld und ihre Wege – etwa den Platz, über den sie gerade gehen oder den Radweg, auf dem sie gerade fahren – digital in Echtzeit bewerten können.“

 

Christiane Wendehorst

Universität Wien und European Law Institute

»Rasch handeln und auch gegen den Widerstand mächtiger Interessengruppen innovative Regelungskonzepte konsequent und effektiv durchsetzen.«

„Angesichts der Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts einerseits und der immer größeren Schwerfälligkeit andererseits, mit der Gesetzgebung in einem europäischen oder internationalen Gefüge erfolgen kann, wird das Recht als Steuerungsinstrument grundlegend infrage gestellt. Die schon vor längerer Zeit formulierten Prinzipien der Nicht-Diskriminierung zwischen digitalen und analogen Handlungsformen, der Technikneutralität von Rechtsnormen und der Gleichbehandlung funktionell äquivalenter Erscheinungen der digitalen und der analogen Welt stellen immer noch den Rahmen für jede Gesetzgebung dar. Sie allein sind aber bei weitem nicht ausreichend, den Herausforderungen gerecht zu werden. Es bedarf des politischen Willens, rasch zu handeln, auch gegen den Widerstand mächtiger Interessengruppen innovative Regelungskonzepte zu entwickeln und zu erlassen und vor allem, diese Regelungen dann konsequent und effektiv durchzusetzen. Mit der neuen Datenschutz- Grundverordnung, die ab 25. Mai 2018 anwendbar sein wird, wäre Behörden und einzelnen Betroffenen teilweise ein Instrumentarium an die Hand gegeben, das ein Umsteuern möglich macht. Allerdings fehlt es momentan an den Ressourcen und den technischen Möglichkeiten auf Behörden- und Betroffenen-Seite und sind Forschung und Entwicklung gefragt, dem Recht unter die Arme zu greifen. „Regulierung durch Technik“, das heißt, die Gestaltung von Technologie in einer Weise, dass dahinter stehende Rechtsnormen automatisch vollzogen und durchgesetzt werden, ist daher ein Zukunftskonzept.“

 

Zurück zur Übersicht