Grenzenloses Bahnfahren
Der internationale Bahnverkehr ist ein gewichtiges Mittel, um Klimaziele zu erreichen. Damit er konkurrenzfähig wird, muss EU-weit an einigen Stellschrauben gedreht werden. Projekte wie CrossBorder Rail zeigen, wie es geht.
von Doris Neubauer
Von Haparanda in Schweden bis Athen in Griechenland, von Valenciennes in Frankreich bis Poprad in der Slowakei: 95 EU-Binnengrenzen überquerte Jon Worth, der Gründer von „Trains for Europe“, im Jahr 2022 im Rahmen des von ihm initiierten Projektes „CrossBorder Rail“. Mehr als 30.000 Zugkilometer legte Worth als „Independent railway commentator“ zurück. Dort, wo alte Grenzübergänge nicht mehr von der Bahn befahren werden – laut Worth betrifft das die Hälfte der Übergänge – griff er zum Faltrad, um von einem Land ins nächste zu gelangen.
Dass im grenzüberschreitenden Bahnverkehr nicht alles auf Schiene ist, war dem in Berlin ansässigen britischen Journalisten, Hochschullektor und Politikberater im Vorfeld klar. Auf zahlreichen Arbeitsreisen durch Europa saß er immer wieder an Grenzbahnhöfen fest – für Worth in Zeiten des Klimawandels nicht akzeptabel. Deswegen machte er sich auf die Suche nach Lösungen.
Grenzüberquerung auf Schiene bringen
Diese müssen nicht kompliziert oder kostspielig sein, stellte er fest: Zwar gäbe es Bahnlinien, die entweder teilweise abgebaut oder so marode wären, dass eine Revitalisierung teuer oder schlichtweg unmöglich wäre, etwa wenn die Hauptnutzung weggefallen sei. Als Beispiel nennt Worth eine Strecke an der deutsch-niederländischen Grenze, die für ein – mittlerweile stillgelegtes – Kohlekraftwerk errichtet worden war. Aber vielerorts ließe sich der Personenverkehr recht einfach und schnell (wieder) auf Schiene bringen. Da gehe es darum, „mehr Züge auf bestehenden Strecken fahren zu lassen, die Fahrpläne zu überarbeiten und Datenprobleme zu beheben – vieles kann getan werden, ohne neue Gleise zu bauen”. Er bringt ein Beispiel aus der Praxis: „An der Atlantikküste zwischen Frankreich und Spanien gibt es eine gute Verbindung, die alle 30 Minuten verkehrt. Die Fahrpläne sind aber nirgendwo zu finden. Es ist spezielles Know-how notwendig, um zu wissen, dass der Zug existiert.“
Solche Szenarien kennt Worth zur Genüge. Die EU-Institutionen seien sich allerdings der Probleme zu wenig bewusst, klagt der Bahnexperte. Zwar gebe es aktuelle Initiativen wie „ConnectingRail“, bei der die EU zehn Pilotprojekte bei der Etablierung oder Verbesserung von Bahnlinien unterstützt. Das reiche aber nicht: „Die EU hat sich um den großen politischen Raum und die Rahmenbedingungen gekümmert, das Schienennetz verbessert, aber den Betrieb den nationalen Bahnfirmen überlassen“, plädiert er für Lösungen auf EU-Ebene. „Warum kann mir niemand ein Ticket für die ganze Verbindung von Berlin bis Burgund verkaufen?“, argumentiert er etwa für verpflichtende offene Daten. Dass ein entsprechendes EU-Gesetz im Herbst 2023 aufgrund des Drucks nationaler Eisenbahngesellschaften nicht verabschiedet wurde, beweise: „Staatliche Bahnfirmen haben kein Interesse am internationalen Verkehr.“ Worth fügt hinzu: „Die ÖBB ist eine Ausnahme.“
Österreich ist Bahntransitland
„Österreich ist ein Transitland, wir kommen mit nationalem Denken nicht weiter“, kennt Kurt Bauer, Leiter Fernverkehr im ÖBB-Personenverkehr, einen Grund dafür. „Die Geografie bedingt internationalen Verkehr“. Die 90 Kilometer zwischen Kufstein und Brenner national zu bewirtschaften wäre wohl wenig zielführend. Entsprechend „umtriebig“ sei die österreichische Verkehrspolitik. Allerdings – gibt Bauer zu bedenken – braucht es dafür immer Partner im anderen Land, denn das Ministerium sei nur für Österreich zuständig. „Eine internationale Bestellung von Strecken ist nicht möglich“, meint er. Auf der wenig nachgefragten Route zwischen Linz und Prag zum Beispiel gäbe es etwa nur deshalb einen Fernverkehrszug, weil sich sowohl Österreich als auch Tschechien für eine Bestellung des Angebots entschieden haben. Auch technische Voraussetzungen, wie beispielsweise unterschiedliche Bahnsteighöhen, Zugsicherungssysteme und Stromsysteme, würden eine „totale Interoperabilität unmöglich machen.“
Neben den harten physischen Unterschieden gibt es einen regulatorischen Wildwuchs. Italien hätte etwa als einziges Land spezielle Vorgaben hinsichtlich Brandschutzeinrichtungen in Zügen – „da finden Sie in jedem einzelnen Land Extrawürste“, weiß Bauer.
„Nicht auf EU warten“
„Die EU ist aus meiner Sicht einfach zu langsam“, sagt der ÖBB-Experte, sieht darin aber nicht das Aus für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr: „Es ist nicht so, dass man warten muss.“ Dass Österreich die Mehrwertsteuer auf internationale Bahntickets abgeschafft hat, zeige, dass Mitgliedstaaten einiges beitragen können. Aber: „Auf europäischer Ebene wäre viel mehr möglich“, pocht Bauer nicht auf eine Besser- sondern zumindest auf eine Gleichstellung der Schiene. Noch würde etwa der Flugverkehr hoch subventioniert, gäbe es dort doch – anders als bei der Bahn – keine Besteuerung der Energie. „Der FlixBus zahlt in Deutschland keine Maut“, ergänzt der Leiter des Fernverkehrs, „bei einer ICE-Fahrt werden vier bis fünf Euro Maut pro Kilometer verrechnet.“ Solange es solche Hürden gibt, wird der Bahnverkehr wohl an schwer überwindbare Grenzen stoßen.