Höhere Lebensqualität in Städten
Von Landeshauptstadt bis Kleinstadt, zahlreiche Beispiele in Österreich zeigen, wie Lebensqualität und Sicherheit durch Maßnahmen wie Tempo 30 statt 50 oder Begegnungszonen steigen.
Von Susanne Wolf
Die Vorarlberger Landeshauptstadt Bregenz geht bei der Verkehrsberuhigung mit gutem Beispiel voran und beschränkt sich dabei nicht auf die autofreie Innenstadt: Seit Februar 2024 gilt Tempo 30 flächendeckend im Ortsgebiet. „Konkrete Auswertungen der Erhebungen in qualitativer sowie quantitativer Form liegen uns nach so kurzer Zeit noch nicht vor“, sagt Cyril Brücker von der Abteilung Raumplanung und Mobilitätsservice der Stadt Bregenz. „Fachlich ist jedoch unumstritten, dass sich durch die Einführung von Tempo 30 die Verkehrssicherheit und die Lebensqualität der Menschen erhöhen“, so Brücker.
Dem verkehrspolitischen Schritt ging ein umfassendes Ermittlungsverfahren voraus, bei dem der verkehrstechnische Sicherheitsaspekt im Vordergrund stand, insbesondere für Kinder, ältere Menschen, Fußgängerinnen und Fußgänger und Radfahrende. So führt Tempo 30 zu kürzeren Anhaltewegen, was die Wahrscheinlichkeit und Schwere von Unfällen verringert. Abgasemissionen und Reifenabnutzung verringern sich. Auch der Verkehrslärm geht zurück, was sich positiv auf die mentale Gesundheit auswirkt. „Auch die aktive Mobilität wie Radfahren oder Gehen wird dadurch gefördert“, ergänzt Brücker.
Wunsch der Bevölkerung
Auch in der niederösterreichischen Kleinstadt St. Valentin gilt auf allen Gemeindestraßen Tempo 30. „In den Wohnsiedlungen führt das zu einer höheren Lebensqualität“, sagt Bürgermeisterin Kerstin Suchan-Mayr. Auch für das Radfahren und Gehen wirke sich die Reduzierung der Geschwindigkeit positiv aus. Tempo 30 wird vom Großteil der Bürgerinnen und Bürger St. Valentins befürwortet, von vielen sogar gefordert. „‘Bei uns fahren die Autos zu schnell‘ ist eine Aussage, die ich als Bürgermeisterin immer wieder höre“, so Suchan-Mayr.
Die Zahl der Tempo-30-Zonen dürfte in nächster Zeit deutlich steigen, denn seit 1. Juli 2024 gilt in Österreich eine Novelle der Straßenverkehrsordnung, die es Gemeinden und Städten erleichtert, Tempo 30 umzusetzen. Ab sofort ist es für die zuständigen Straßenbehörden einfacher, etwa vor Schulen, Kindergärten, Freizeiteinrichtungen oder Seniorenheimen die erlaubte Höchstgeschwindigkeit zu verringern.
Platz für Begegnung anstelle von Parkplätzen
Für mehr Sicherheit und Lebensqualität sorgen auch Begegnungszonen – verkehrsberuhigte Straßen, die von Fahrzeugen sowie Fußgängerinnen und Fußgängern gemeinsam genutzt werden. In Graz wurde die Zinzendorfgasse nahe der Universität zu einer „Grünen Meile“ umgestaltet, in der alle Verkehrsteilnehmende einander gleichberechtigt begegnen. „Vor der Umgestaltung gab es auf beiden Straßenseiten parkende Kraftfahrzeuge, keine Sitzmöglichkeiten oder Bepflanzungen“, sagt Gabriele Herzog von der Abteilung für Verkehrsplanung der Stadt Graz. „Wir haben nun durch verschiedene Sitzmöbel sowie durch Pflanztröge mit Bäumen und vielfältigem Grün Begegnungsmöglichkeiten für die Menschen geschaffen.“ Die Nutzung der Stellplätze für Autos wurde im gesamten Universitätsviertel stark beschränkt, so Herzog: „Auf diesen Parkplätzen dürfen nur noch Personen mit Berechtigung für das jeweilige Wohngebiet parken, sowie Menschen mit Behinderung.“ Für motorisierte Nutzerinnen und Nutzer der Begegnungszone wurden für schnelle Erledigungen Bereiche zum Halten eingerichtet.
Um Bevölkerung und Gewerbetreibende gut in den Planungsprozess einzubinden, hat das StadtLABOR gemeinsam mit der Stadt Graz ein mehrstufiges Beteiligungspaket konzipiert und durchgeführt. Die Ideen und Wünsche der Bevölkerung wurden in die Planungen integriert. Eine Evaluierung der Maßnahmen, darunter die Auswirkungen auf den Handel, ist für Herbst 2024 geplant. „Die ersten Rückmeldungen der Besucherinnen und Besucher unseres Straßenfestes zum neuen Erscheinungsbild waren überwiegend sehr positiv“, so Gabriele Herzog.
Keine Verlagerungseffekte
Trotz der mittlerweile sehr vielen positiven Beispiele sind Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung vor ihrer Umsetzung häufig umstritten. Oft gibt es die Befürchtung, dass der Verkehr durch die Maßnahmen nicht abnehme, sondern das benachbarte Straßennetz zusätzlich belaste. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat Daten aus zahlreichen Projekten ausgewertet. „Die Analyse zeigt, dass die durch Verkehrsberuhigung befürchteten Auswirkungen in der Regel nicht eintreten“, so Projektleiterin Uta Bauer. Fast alle Erhebungen bestätigen das Phänomen der „traffic evaporation“: Das Verkehrsaufkommen fließt nicht an anderer Stelle ab, sondern verringert sich insgesamt. Die Größenordnung der „Verpuffung“ liegt bei flächenhaften Verkehrsberuhigungsprojekten (etwa Superblocks) zwischen 15 und 28 Prozent, bei gesamten Innenstädten zwischen 25 und 69 Prozent, im Umfeld einzelner umgestalteter Straßen zwischen vier und 52 Prozent. Die Realität ist bei Verkehrsberuhigungen also meist besser als die Fantasie.