Interview mit Christian Felber

Der Transport beeinflusst unsere Lebensbedingungen massiv

Wie die Wirtschaft dem Gemeinwohl dient, Handel der Nachhaltigkeit nützt und die eigene Konsumfreiheit nicht die Freiheit anderer Menschen einschränkt. Das VCÖ-Magazin sprach mit Christian Felber, dem Initiator der internationalen Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung.

VCÖ-Magazin: Die Gemeinwohl-Ökonomie denkt Wirtschaft anders – der VCÖ denkt Verkehr und Mobilität anders. In beiden Feldern verteidigen mächtige Akteure den wenig nachhaltigen Ist-Zustand. Wie geht die Gemeinwohl- Ökonomie damit um?

Christian Felber: Zivilgesellschaftliche Bewegungen für Gemeinwohl – für Umweltschutz, Tierschutz, sozialen Zusammenhalt, ein nachhaltiges und stabiles Finanzsystem, Verteilungsgerechtigkeit und Frieden – können ihre Forderungen nicht durchsetzen, auch wenn sie mehrheitsfähig sind, weil die Regierungen nicht mitspielen. Daher ist es nötig, auf die Weiterentwicklung der Demokratie zu fokussieren. Bei allen empirischen Beispielen von direkter Demokratie zu Umweltthemen ist die Bevölkerung bewusster und weniger umweltschädlich als die Regierungen. Das reicht von Zwentendorf bis zum besten Bahnnetz der Welt in der Schweiz, bei dem aufgrund einer Volksinitiative 15 Milliarden Franken vom Straßen- in den Bahnbau umgelenkt wurden.

Warum läuft in der Umsetzung der sogar in vielen Verfassungen festgeschriebenen Wahrung des Gemeinwohls so viel schief?

Ohne demokratische Gegenreaktion und funktionierende Sanktionsmechanismen können mächtige Gruppen erfolgreich gegen das Gemeinwohlgebot verstoßen. Ich sehe darin eine Kinderkrankheit der Demokratie. In einer funktionierenden Demokratie gäbe es tatsächliche checks and balances mit dem Souverän, dem Volk, als höchste demokratische Instanz. Es braucht neben den individuellen Grundrechten auch kollektive Grundrechte, etwa dass das Parlament ohne die Zustimmung des Souveräns kein neues Staatsziel beschließen darf.

Das Buch „Ethischer Welthandel“ beleuchtet auch die Rolle von Verkehr und Transport?

Der Transport beeinflusst unsere Lebensbedingungen massiv. Aber der britische Wirtschaftswissenschaftler David Ricardo hat vor fast 200 Jahren damit begonnen, die Transportkosten komplett auszublenden. Und das reicht bis in die klassische Wirtschaftstheorie, die Externalitäten, also etwa von der Allgemeinheit zu tragende Umweltbelastungen, nicht einpreist. Das ist ein massiver ökologischer Kollateralschaden des kapitalistischen Wirtschaftskrieges von uns Menschen gegen uns selbst. Auch der Handelsvertrag CETA zwischen Kanada und der EU berücksichtigt überhaupt nicht, wie er sich auf den Transport, auf die Umwelt und das Weltklima auswirkt. Hier werden mit dem Effizienzargument neue Transportströme induziert. So ein Handelsabkommen dürfte nur geschlossen werden, wenn der Handel nachweislich der Nachhaltigkeit nützt und das Volumen und die Umwelteffekte des handelsbegleitenden Transports jährlich abnehmen – als einklagbare Vertragsverpflichtung.

In der Gemeinwohl-Ökonomie wird die Gemeinwohlbilanz der Finanzbilanz übergeordnet. Wie fließt der Verkehr da ein?

Der Verkehr fließt an vielen Stellen ein, von der Auswahl der Zulieferfirmen über die Mobilität zum Arbeitsplatz bis zur Vertriebsstruktur. Die Bilanz wirkt aber noch tiefer: sie fragt, ob ein Produkt überhaupt sinnvoll ist und ob Kundinnen und Kunden zusätzlichen Konsum benötigen.

Bewegt sich etwas in Richtung Umsetzung des systemverändernden Ansatzes der Gemeinwohl- Ökonomie?

Die Ausprägung der Wirtschaftsordnung, der Geld- und Finanzordnung, der Handelsordnung und der Demokratie wirken derzeit nicht in Richtung Gemeinwohlwerte. Der Widerstand kommt von den herrschenden Eliten, die aber nicht für die Mehrheit sprechen. Ich sehe sehr wohl ein globales Bewusstsein in Richtung Gemeinwohl-Weltordnung entstehen und langsam stärker werden. Die große Frage ist, gibt es einen Tipping Point, durch den die aktuelle Rückwärtsentwicklung in eine Vorwärtsentwicklung umschlägt? Daran glaube ich grundsätzlich, der Zeitpunkt ist aber nicht vorhersagbar.

Ein weiterer Vorschlag ist, die Umwelt- und Klima- Auswirkungen des Konsums klar ersichtlich zu machen. Wie?

Der Vorschlag ist, das, was uns der Planet als erneuerbare Umweltressourcen pro Jahr zur Verfügung stellt, als Pro-Kopf-Umweltverbrauchsrecht zu gleichen Anteilen auf alle Menschen zu verteilen. Alle Produkte erhalten einen ökologischen Kaufpreis, der von einem persönlichen Umweltverbrauchskonto abgebucht wird. Dieser Umweltpakt wäre die dritte Generation der Menschenrechte nach dem Zivilpakt und dem Sozialpakt der Vereinten Nationen. Produkte mit großem ökologischen Rucksack, weiten Transportwegen, würden keine ökologische Kaufkraft mehr vorfinden und Unternehmen sich überlegen, wie sie die Umwelt- und Klimawirkungen ihrer Produkte verringern. Das Ziel ist, dass niemand mit seiner Konsumfreiheit die Freiheit anderer Menschen einschränkt.

Das Gespräch führten Christian Höller und Willi Nowak.

Christian Felber lebt als Autor und Universitätslektor in Wien. Er hat Attac Österreich mitbegründet und initiierte im Jahr 2010 die internationale Gemeinwohl-Ökonomie- Bewegung sowie das Projekt „Bank für Gemeinwohl“. Bücher: „Gemeinwohl-Ökonomie“, „Ethischer Welthandel“. Die Gemeinwohl-Ökomomie will die Praxis des Wirtschaftens ändern und den passenden Rechtsrahmen schaffen, damit ethische und umfassend verantwortungsvolle Wirtschaftsakteure und -tätigkeiten nachhaltig reüssieren können.

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