Interview mit Kurt Palm

Mir selbst wäre das nie eingefallen!

Mit Kurt Palm sprach das VCÖ-Magazin über das Bahnfahren, den Öffentlichen Verkehr als Rückzugsort und den Verfechter der Langsamkeit, Adalbert Stifter.

VCÖ-Magazin: Sie haben sich schon öfter als passionierter Bahnfahrer geoutet – woher diese Vorliebe?

„Ich bin ein Fan der öffentlichen Verkehrsmittel"

Kurt Palm: Ich bin ein Fan der öffentlichen Verkehrsmittel - U-Bahn, Straßenbahn, Eisenbahn, Bus. Ich habe zwar ein altes Auto, das brauche ich aber nur für meine Landausflüge zum Fischen.

Ganz ehrlich, wenn ich etwa nach Linz oder Salzburg fahre und ich habe nicht 100 Kilo zu tragen, dann wäre ich ja ziemlich deppert, wenn ich nicht mit der Eisenbahn fahren würde. In 1 Stunde 20 Minuten mit der Bahn nach Linz – das schaffe mit dem Auto nie und bin dann auch noch erledigt, wenn ich ankomme, bei dem Wahnsinn, der sich da besonders auf den Autobahnen abspielt. Auf der dreispurigen Autobahn wird grundsätzlich nur noch in der Mitte gefahren oder nur links, auf der rechten Spur fährt keiner mehr – das ist anders als in der Politik, wo sich alle nach rechts bewegen.

VCÖ-Magazin: Wirkt da die Molekulartheorie, die Flann O'Brien im Roman „Der dritten Polizist“ beschreibt, nach der durch ständigen Kontakt mit Dingen sich die Moleküle austauschen, vom Mensch zum Ding …

„Flann O'Brien Molekulartheorie: Die negativen Moleküle der Autotechnik“

Kurt Palm: .. wo der Anwalt des Mörders nachweist, dass mehr Moleküle vom Mörder schon im Fahrrad sind und dann wird das Fahrrad aufgehängt und in einem fahrradförmigen Sarg beigesetzt. Ja, ich glaube, das sind die negativen Moleküle der Autotechnik, die in den Menschen, der dauernd mit dem Auto fährt, übergehen. Flann O'Brien ist einer meiner Lieblingsautoren, weil bei ihm Fahrräder eine so große Rolle spielen.

VCÖ-Magazin: Was machen Sie wenn SIe Bahnfahren?

„Schauen ist meine Lieblingsbeschäftigung“

Kurt Palm: Ich schaue zu und horche. Wir leben ja in einem riesigen Großraumbüro, wo Telefonate öffentlich geführt werden. Im Zug fallen mir die Geschichten geradezu zu. Viele Passagen aus meinem Roman ‚Bad Fucking‘ habe ich in der Bahn gehört. Mir selbst wäre das nie eingefallen. Und ich schau beim Fenster raus – Schauen ist meine Lieblingsbeschäftigung. In der Bahn kann ich sozusagen begründeterweise blöd in die Gegend schauen, ohne dass die Leut´ gleich denken, was hat der denn für ein Problem?

Ich habe eine halbwegs rege Phantasie und denke mir Geschichten aus zu den Leuten, die ich sehe. Wenn ich aus der Eisenbahn einsame Gärten sehe mit verhungerten Thujenhecken,  halbfertige Häuser, wo eine verrostete  Schaukel hin und her schwingt, dann kann ich mir eine Geschichte zu dem Haus überlegen. Oder mir einen Krimiplot ausdenken, wenn ich in der Nacht fahre, was ich liebend gerne mache. Einige Kurzkrimis, Kurzgeschichten, die ich geschrieben habe, spielen im Zug.

 

VCÖ-Magazin: Sind Bahn und Bus für Sie Rückzugsorte in die analoge Welt?

„Die Leute nehmen die Umwelt nicht mehr wahr“

Kurt Palm: Das sicher nicht. Auch dort haben Sie diese totale Dominanz der elektronischen Medien, sind alle nur noch mit ihrem Smartphone beschäftigt, das sie wie eine Opferschale vor sich halten. Der Ausdruck „jemand ist online“ ist schon sehr vielsagend – die Leute werden an der Leine gehalten, sie überlegen aber nicht, von wem. Früher habe ich viele Leute kennengelernt im Zug, weil ich mich unterhalten habe. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Sprichst du heute wen an, fühlt der sich sofort attackiert, weil du ihn von seinem Smartphone ablenkst. Es gibt kaum mehr Kommunikation mit der Umwelt. Die Leute nehmen die Umwelt nicht mehr wahr. Das ist ein ganz eigenartiges Phänomen. Ich zehre von dem, was ich in meinem Leben erlebt habe und was ich mitbekomme. Mich interessiert das reale Leben und das ist das, was ich erlebe, wenn ich mit der Straßenbahn, der U-Bahn oder mit der Bahn fahre. Zugfahren hat daher für mich trotzdem was Kommunikatives, weil du mit anderen Leuten zusammen bist. Das schätze ich schon sehr. 

VCÖ-Magazin: Sie haben sich viel mit Adalbert Stifter beschäftigt. Der hat in der Zeit gelebt, in der die Eisenbahn groß wurde. Er hat mit Westbahnaktien viel Geld verloren …

„Die Eisenbahn hat das Leben von Grund auf verändert“

Kurt Palm: Ja, dem Nestroy ist es mit Südbahnaktien so gegangen. Das war damals reine Spekulation. Da sind unheimlich viele Betrüger auf den Markt geströmt und haben Aktien verkauft.

Die Eisenbahn hat das Leben von Grund auf verändert. Stifter war fasziniert von der Eisenbahn, aber diese neue Geschwindigkeit hat ihn auch erschreckt. Was ich am Stifter total schätze, ist, dass er ein Verfechter der Langsamkeit ist. Der etwa dem Begriff „entgehen“ eine neue Bedeutung gegeben hat, indem er gesagt hat, dass Leuten, die nicht gehen, etwas entgeht. 

 

Kurt Palm ist Schriftsteller, Filmregisseur, Angler, Bahnfahrer. Roman „Bad Fucking“; das neue Buch „Strandbad-Revolution“ erscheint Im Februar 2017. Im Februar auch Uraufführung seines neuen Theaterstücks „Ein Sommernachtstraum oder Badewannengriffe im Preisvergleich“ im Phönix-Theater Linz.   

www.palmfiction.net

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