Jede Bewegung zählt - Daten entschlüsseln Mobilität
Die Bewegungen zu Fuß und per Rad finden in den Daten – und Taten – der Verkehrsplanung nur fehlerhaft und verzerrt ihren Niederschlag. Neue technische Möglichkeiten, Bewegungsdaten zu sammeln, beginnen das zuändern.
Von Christian Höller
Harald Frey, Verkehrsplaner an der Technischen Universität Wien, sagt: „Eine sinnvolle Verkehrsplanung und Verkehrspolitik benötigt gute Datengrundlagen auch für den Rad- und Fußverkehr als planerisch-technische Grundlage für die Projektumsetzung und als politisch- kommunikatives Instrument zur Steuerung von strategischen Zielen.“ Beim heftig diskutierten Umbau der inneren Mariahilferstraße in Wien von einer herkömmlichen Auto-geprägten Einkaufsstraße zu einer Begegnungszone und abschnittsweisen Fußgängerzone waren die gezählten Fakten das stärkste Argument – 12.000 Fahrzeuge pro Tag auf der Fahrbahn, mehr als 50.000 Gehende auf den Randbereichen.
Nicht alles ist zählbar
Das Mobiltelefon eröffnet neue Möglichkeiten, Bewegungsdaten zum Gehen und Radfahren zu sammeln. Die Herausforderung dabei ist, die vorgeschriebenen Datenschutz- und Informationspflichten zu erfüllen. Bei datenspeichernden Apps erfolgt das durch das freiwillige Laden auf das Smartphone zu den genannten Geschäftsbedingungen. So regt die App „Wien zu Fuß“ der Mobilitätsagentur Wien zum Gehen an. Sie erleichtert, attraktive Fußwege durch Wien zu finden, und motiviert durch Belohnung. „Die Schritte werden gesammelt und es gibt – wechselnde – Gutscheine zu gewinnen – kürzlich war es etwa für 10.000 gegangene Schritte ein Espresso in einem Partnerbetrieb, für 20.000 Schritte ein Cappuccino. Mit dem Einlösen verringert sich das Schritte-Guthaben wieder um die entsprechende Schrittezahl“, erklärt Petra Jens von der Mobilitätsagentur Wien. Es gibt bereits viele Apps, die Bewegungsdaten sammeln.
Neue Analysemöglichkeiten
Die Bike Citizens-App des gleichnamigen Unternehmens aus Österreich unterstützt beim Radfahren in bereits 450 Städten weltweit. Sie ist auf das urbane Radfahren zugeschnitten, liefert nützliche Informationen und schlägt auf Wunsch auch differenzierte Routen – gemütlich, schnell, fahrradfreundlich – vor. Die durch eine solche App generierten Daten schaffen neue Analysemöglichkeiten. Adi Hirzer von Bike Citizens: „Wir haben auch ein Analysetool, cyclingdata.net, entwickelt, das die Verkehrsdaten anonymisiert für die Verkehrsplanung auswertet. Wir erstellen mit unseren Daten auch digitale „Heatmaps“, die die visuelle Interpretation erleichtern. So können wir etwa zeigen, wo wie viele Radfahrende unterwegs sind, welche Routen bevorzugt und welche gemieden werden.“ In Brüssel hat Bike Citizens im Jahr 2017 eine andere Form aktiver Teilnahme erprobt. Mit einem Knopf auf dem Fahrradlenker konnten die teilnehmenden Radfahrenden in Echtzeit Rückmeldung zur konkreten Straßensituation geben, wie „Kreuzungskonflikt“ oder „Empfinden von Stress“. So wurden Problemstellen identifiziert und konnten dann von der Stadtverwaltung bearbeitet werden. Eine andere Form der Nutzung von Smartphone-Bewegungsdaten ist das Arbeiten mit floating phone data, den Mobilfunkbewegungsdaten. Dabei wird die Kommunikation zwischen den eingeschalteten Mobiltelefonen und den Sendestationen in einer Region genutzt. „Diese Daten sind ausreichend anonym, was den Datenschutz betrifft, weil sie keine genaue Ortung zulassen. Mit der großen Datenmenge können wir uns aber ein gutes Bild über Quelle-Ziel-Beziehungen machen. Bisher können wir anhand dieser Daten aber nur Straßen- und Schienenverkehr unterscheiden. Ziel ist es, auch Bus und Fahrrad zu erkennen. Dafür ist noch einiges an Forschung nötig“, so Martin Fellendorf, Professor an der TU Graz. Bei den ÖBB laufen bereits Versuche, Fahrgastströme mithilfe der Mobilfunkdaten zu analysieren. Wie sich Menschen auf ihren Wegen zu Fuß und per Rad fühlen, wurde bisher vor allem mit Geoinformatik- Analysen der objektiv verfügbaren Daten wie Verkehrsmengen, Gehsteigbreiten etc. sowie mit Befragungen erhoben. „Doch wie sich jemand in einer Stadt fühlt, ist hochgradig subjektiv geprägt“, weiß Bernd Resch, Geoinformatiker an der Uni Salzburg „Deshalb haben wir die Analyse durch die Messung mit Humansensoren erweitert. Diese messen physiologische Parameter wie Hautleitfähigkeit, Körpertemperatur oder Herzratenvariabilität, aus denen wir dann Stressempfinden und Gefühle ableiten können. So fügen wir eine gemessene subjektive Sicht hinzu.“ In der Praxis wurde das etwa bei der Umgestaltung der Neutorstraße in Salzburg angewendet. Auf beengtem Raum sind dort viele Autos und auch immer mehr Radfahrende unterwegs. Deshalb wurden die vorhandenen Mehrzweckstreifen für den Radverkehr verbreitert – der enge Platz ermöglicht die präferierte Lösung baulich getrennter Radwege nicht. Die Auswirkungen wurden in einer Vorher-Nachher- Untersuchung mit verschiedenen Methoden wissenschaftlich begleitet. „Die humansensorischen Analysen zeigen einen Rückgang des gemessenen Stresses um etwa 20 Prozent. Die breiteren Mehrzweckstreifen bringen einen deutlichen Sicherheitsgewinn für Radfahrende“, kommentiert Bernd Resch die gelungene Praxisanwendung. All diese technischen Möglichkeiten geben der Bundes-, Landes und Gemeindepolitik die Daten an die Hand, Gehen und Radfahren zielgerichtet zu fördern.