Katja Schechtner - direkt gefragt

Die andere Qualität der Wahrnehmung öffentlicher Räume

Katja Schechtner ist international tätige Mobilitäts- und Urbanitätsforscherin und hat gemeinsam mit Wojciech Czaja die Open-Air-Ausstellung „FRAUEN BAUEN STADT“ in der Seestadt Aspern, Wien kuratiert.

Das VCÖ-Magazin sprach mit der Mobilitäts- und Urbanitätsforscherin Katja Schechtner über die von ihr gemeinsam mit Wojciech Czaja kuratierte Open-Air-Ausstellung „FRAUEN BAUEN STADT“, die bis 15. Oktober 2021 in der Seestadt Aspern in Wien zu sehen ist. Sie erklärt, was den speziellen weiblichen Blick in der Stadtplanung ausmacht, warum dabei der Weg wirklich das Ziel ist und wie ihr langjähriges internationales Arbeiten ihren Blick auf Planung, Verkehrsplanung und auch auf Österreich verändert hat.

VCÖ-Magazin: In der Ausstellung FRAUEN BAUEN STADT in der Seestadt Aspern werden Frauen, die in der Planung Herausragendes geleistet haben, vorgestellt. Was ist der Fokus dieser Ausstellung?

Katja Schechtner: Wir wollen aufmerksam machen, wie viel Frauen - weltweit - bereits dazu beitragen, wie Städte gebaut werden und das nachweisbar schon seit 150 Jahren und länger. Anhand dieser Projekte wollen wir die andere Qualität der Wahrnehmung von Räumen durch Frauen hervorheben. Was Männer etwa als Zwischenraum zwischen Wohnen und Arbeiten sehen, ist hier nicht nur Mobilitätsraum, sondern auch Aufenthaltsraum zum Hinsetzen, Rasten, Feiern. Das ist bei der Gestaltung von Plätzen, von Brücken, wie auch bei Gesamt-Masterplänen zu sehen. Da denken Frauen nicht nur an die reine Effizienz des Raumes, an das schnelle Durchkommen. Und die dritte Frage, die wir stellen: Wie könnte es in Zukunft weitergehen? Zu jedem Projekt der 18 berühmten Frauen präsentieren wir auch ein Projekt aus Österreich, mit guter Aufenthaltsqualität, auch meist von Frauen oder gemischten Frau-Mann-Teams geplant. Natürlich schaut etwa Wien auch deshalb toll aus, weil viele Männer Gutes geplant haben. Nur geht oft unter, wie viele Leistungen von Frauen stammen.

VCÖ-Magazin: Es gibt also sowas wie eine spezifisch weiblichen Blick, eine spezifisch weibliche Handschrift bei der Planung?

Katja Schechtner: Kreativität speist sich aus Erfahrungen. Und der Blick von Frauen nimmt die Umwelt anders wahr, als der von Männern. Er richtet sich auf ein breiteres Verständnis, eine größere Bandbreite - etwas wovon ich hoffe, dass sich das mit den Jahren angleichen wird. Manchmal kommt es mir vor, der Blick der Männer ist der eines jungen starken Highlanders, er plant immer für die jungen, flotten, gesunden, erfolgreichen Menschen. Frauen planen für diese auch, weil sie sich so auch wahrnehmen, aber auch für die, die mal eine Pause brauchen. Frauen haben mehr Facetten und mehr Funktionen eines Ortes im Blick. Etwa dass ich nicht überall harte Regeln und harte Grenzen brauche, wie Gehsteigkanten etc. Sondern dass ich den Raum so gestalte, dass alle Menschen, Männer wie Frauen, jung wie alt, aufeinander achten können. Woran Frauen auch einen starken Anteil haben, ist die Veränderung des Verständnisses, was ist öffentlich, was ist privat. So haben wir auch Gebäude ausgesucht, wo es Durchwegungen, einladende Orte für alle gibt, sodass Gebäude nicht wie Barrieren dastehen, sondern auch Teil des öffentlichen Raums werden.

VCÖ-Magazin: Gab es einen Grund, die Ausstellung in der Seestadt Aspern zu machen?

Katja Schechtner: Ja! Zwei gute Gründe. In Aspern werden alle Straßennamen, die nach Persönlichkeiten benannt werden, nach Frauen benannt. Wojciech Czaja und ich waren eingeladen, auch Planerinnen vorzuschlagen, wie den Zaha Hadid-Platz und den Lina Bo Bardi-Platz. Und hier wird Stadt neu gebaut. Der Mobilitätsplan hier, die Partitur des öffentlichen Raums genannt, wurde hier von einer Frau, von Helle Søholt von Gehl People, gemacht. Und auch der Teich wurde von Laura Vahl umgeplant, zu einem wirklich benutzbaren, beschwimmbaren Teich. Damit zeigen wir auch Frauen, die vor Ort den öffentlichen Raum gestaltet haben.

VCÖ-Magazin: Haben Sie ein Lieblingsprojekt?

Katja Schechtner: Es gibt ein schönes Beispiel aus Tel Aviv, da hat Genia Awerbuch vor 90 Jahren den Dizengoff-Platz, den zentralen Platz in der neuen moderne Stadt gebaut – die Leute haben ihn geliebt. Dann wurde er in den 1960er, 1970er Jahren umgebaut, um für Autos gut zu funktionieren. Die Menschen zu Fuß wurden alle nach oben verbannt, die mussten über Brücken hinauf und unten sind die Autos durchgezischt. Das hat die Erdgeschoßzonen und den Platz ruiniert. Keiner geht in Tel Aviv rauf, dort ist es heißt, hat es Betonflächen. Dieser Platz wurde nun vor drei, vier Jahre auf das Original rückgebaut, weil die Menschen ihn nicht vergessen und so geliebt haben. Jetzt fahren die Autos wieder außen im Kreis, haben wesentlich weniger Platz, und die Menschen können den Freiraum wieder benützen. Die Bäume sind noch nicht so weit, wie sie damals waren, aber das wird schon noch. Das ist ein Verkehrsbeispiel, das einfach super ist. Aber ich könnte Ihnen noch zehn andere Projekte nennen.

VCÖ-Magazin: Wie sind die sechs thematische Stationen der Ausstellung entstanden?

Katja Schechtner: Uns war wichtig, dass alle präsentierten Projekte bereits gebaut sind, also keine Theorie. Wir wollten internationale Beispiele zeigen, aus praktisch allen Kontinenten mit einer hohen Qualität. Sie mussten in der Fachwelt anerkannt sein, aber auch von den Menschen geliebt werden. Und wir haben geschaut, dass wir vom größten Maßstab – etwa dem Hauptstadtplan von Canberra, bis zum ganz kleinen Maßstab, einem Stadtmöbel, oder einer Kunstintervention, gehen. Und dann haben wir uns die unterschiedlichen Funktionen einer Stadt angeschaut, etwa den Grün- und Freiraum, bei uns Stadt-Land-Fluss genannt, oder die Verkehrsbauten unter dem schönen Titel, weil er so stimmt: „Der Weg ist das Ziel.“ Wir zeigen da, eine öffentlichen Bahn von Zaha Hadid und zwei Brücken. Eine ist die Brooklyn Bridge aus dem Jahr 1883 – niemand weiß, dass diese berühmte Brücke von einer Frau gebaut wurde. Und die Brücke in Teheran, die zwei große Stadtteile verbindet. Hier hat das Frau-Mann-Team, das den Aga Khan-Preis gewonnen hat, nicht nur eine Brücke gebaut. Es wurden auch unterschiedliche Ebenen, Cafés hineingebaut – also wirklich „Der Weg ist das Ziel“. Stadt-Land-Fluss kam daher, dass wir Grünraum, Freiraum zeigen wollten. Weil Städte wesentlich durch Gebäude gemacht werden, haben wir auch Gebäude ausgesucht, die Teil der gebauten Geografie einer Stadt sind und sich für alle öffnen.

VCÖ-Magazin: Sie stellen nicht nur Frauen vor, die heute aktiv sind, sondern gehen auch bis zu 150 Jahre zurück – was ist der Mehrwert durch diese historische Dimension?

Katja Schechtner: Wir wollten zeigen, dass Planung durch Frauen nicht nur etwas ist, was in den letzten 20 Jahren passiert, sondern dass Ikonen der Stadtbaugeschichte durchaus schon lange von Frauen geplant und gebaut werden, was aber verborgen war oder sogar aktiv versteckt wurde. Um einfach zu zeigen, nicht alles, was in unseren Städten jetzt steht, wurde immer nur von Männern geplant. Gerade, bei Einzelprojekten wie Brücken und großen Gebäuden gab es schon Revolutionärinnen, die ganz tolle Sachen gemacht haben und Dinge geplant haben, die die Menschen sehr lieben. In Summe haben wir sechs verstorbene und zwölf lebende Frauen in der Ausstellung.

VCÖ-Magazin: Sie haben viel international gearbeitet – in den USA, in Asien ... Wie hat das Ihren Blick auf Planung, auf Verkehrsplanung und auch auf Österreich verändert?

Katja Schechtner: Ich habe mittlerweile Jahrzehnte meines Lebens in Asien, in den USA und auch anderen Ländern Europas und Afrikas gelebt. Ich habe daran gearbeitet, große Städte in Asien das erste Mal mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu versehen - in Peschawar in Pakistan ein Bus Rapid-Transit-System - und habe für arme Leute gebaut. Ich habe so viele unterschiedliche Dinge, so unterschiedliche Mobilitätsformen gesehen und wie die zusammen, wie ein Ballett funktionieren können, wie in eine Choreografie. Oder wie Kampfzonen ausschauen können. Wenn ich auf europäische oder amerikanische Projekte schaue, denke ich immer: Leute, ein bissl mehr Flexibilität, ein bisschen weniger rigide Linien, das geht sich aus, das funktioniert miteinander. Und wenn ich auf Projekte in Entwicklungsländern schaue, wo das Chaos aus den Fugen geraten ist, da denke ich mir immer: Hey, ein bisschen Geschwindigkeit rausnehmen, ein, zwei Hauptachsen und darum herum das Leben laufen lassen. Das ist wie bei einem guten Koch: alle verwenden Kohlenhydrate, Fette, Proteine, aber gewürzt wird regional – es gibt überall ein gesundes, gutes Essen. Aber es muss der Regionalkultur anpasst sein. Ich kann mir wahnsinnig viel Inspiration holen, und Verständnis. Ich kann aber nicht eine Straße von X nehmen und in Y bauen. Inspiration holen ja, einen anderen Blick kriegen und vielleicht auch noch ein paar panische Reflexe loslassen, Flexibilisierung lernen. Es gibt keine Stadt, die perfekt ist und das auch immer bleibt. Wir verändern uns ständig. Es ist ja nicht falsch gewesen, das Auto einzuführen, aber jetzt ist es außer Kontrolle geraten und muss wieder etwas eingefangen werden.

Das Gespräch führte Christian Höller.

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