Marcel Hunecke - direkt gefragt

„Den Menschen muss Nachhaltigkeit persönlich wichtig werden.“

Marcel Hunecke ist Professor für allgemeine Psychologie, Organisations- und Umweltpsychologie an der FH Dortmund und Privatdozent an der Fakultät für Psychologie der Ruhr-Universität Bochum.

Das VCÖ-Magazin sprach mit dem Umweltpsychologen Marcel Hunecke über die fünf Schritte, die auf dem Weg zu nachhaltiger Mobilität gemacht werden müssen, über die Problematik von Fernreisen und die zentrale Bedeutung von Nachhaltigkeitspionieren.

VCÖ-Magazin: Wo muss, aus Sicht der Psychologie, angesetzt werden, um Menschen zu mehr klimaverträglicher Mobilität zu bringen?

Marcel Hunecke: Das Verkehrsproblem ist ja nicht alleine mit Psychologie zu lösen. Aber aus Sicht der Psychologie gibt es fünf Ansatzpunkte: das sind Information, Motivation, Planung, Umsetzung und Routinisierung. Die müssen alle berücksichtigt werden, damit ich zu einem dauerhaft nachhaltigen Mobilitätsverhalten  komme.

Information heißt, die Leute müsse überhaupt erst einmal zu wissen, dass sich was verändern muss. Und konkrete Infos über Handlungsmöglichkeiten – also zuerst themenrelevante Information und dann handlungsorientierte Information.

Motivation heißt, Nachhaltigkeit muss wichtig werden. Dazu müssen Leute in Reflexionsprozesse gebracht werden, sodass es zu einer Neubewertung von Vor- und Nachteilen kommt. So ist beim Fahrrad fahren und Gehen die größte Verbündete etwa die Gesundheit. Es gibt aber auch symbolische Funktionen von Mobilität, wie soziale Zugehörigkeit, Status, Erlebnis, das ich damit verbinde, Autonomie. Der Nachhaltigkeit als Vorteil einen hohen Wert zu geben – das ist der Hauptknackpunkt. Die meisten Menschen verhalten sich nicht nachhaltig, nicht weil sie es nicht wissen, sondern weil sie es nicht ausreichend stark genug wollen.

Dann braucht es Planung. Ich muss einen Plan entwickeln, etwa dass ich auf dem Weg zur Arbeit bei gutem Wetter einmal das Rad benutzen will. Bei der Umsetzung muss die Ausführung des Verhaltens unterstützt wird, durch infrastrukturelle Angebote, dass der persönliche Aufwand nicht zu groß ist, dass etwa ein Radweg überhaupt existieren. Wurde ein Verhalten einmal gesetzt und hat funktioniert, muss es sich noch Routine werden, vor allem gefördert durch positive Verstärkung, sprich positive Erfahrungen, so dass gemerkt wird, ja, das bringt mir was. Um eine Verhaltensveränderung tatsächlich dauerhaft zu erzielen, muss ich die Phasen alle durchlaufen.

„Fernreisen sind das größere Problem, um Nachhaltigkeit der Mobilität zu erreichen.“

VCÖ-Magazin: Ist das Vorgehen in der Covid-19-Pandemie nicht geradezu eine Blaupause, wie Verhalten verändert werden kann?

Marcel Hunecke: Das wird sich zeigen. Sobald die Corona-Keule wieder weg ist, besteht die große Gefahr, dass sich alle genauso verhalten wie vorher. Außer jemand hat in dieser Situation Vorteile erkannt, dann behält er oder sie dieses Verhalten vielleicht auch intrinsisch bei. Das findet ja teilweise auch statt. Wir habe eine Befragung gemacht, in der Leute es durchaus auch positiv sehen,  jetzt mit dem Rad oder zu Fuß unterwegs zu sein. Sonst fallen sie auf das alte Verhalten zurück, vor allem um wieder zu reisen. Eigentlich sind Fernreisen das größere Problem, um Nachhaltigkeit der Mobilität zu erreichen. Hier kommt die Erlebnisdimension ins Spiel. Menschen machen da Erfahrungen, die sie zu Hause nicht machen könnten. Und sie brauchen diese Erfahrungen, diese Erlebnisse, für ein glückliches Leben. Und finden sie nur weltweit verstreut, mit immer wieder neue Eindrücken. Deswegen sage ich, diese ganzen Ferienreisen in ferne Länder, ist im wahrsten Sinne des Wortes „Fernsehen“, und zwar vor Ort. Reisen für sich ist nicht so problematisch, wenn sich jemand darauf einlässt und vor Ort und mit der Kultur etc. in Kontakt geht. Aber für ein bis drei Wochen irgendwo hinjeten und dann im nächsten Jahr wo anders hin, das ist einfach ein Sammeln von Eindrücken und Erlebnissen. Das Problem ist, das das für die meisten Menschen sinnbildend und momentan sehr wichtig ist für ein glückliches Leben. Um das zu ändern, muss jemand letztendlich – und da kommt die Psychologie ins Spiel – stärker zu inneren Erlebnissen fähig sein, unabhängig von immer neuen Eindrücken in sich selber zu gehen. Wenn ich immer nur auf der Suche nach neuen Eindrücken, nach neuen Erlebnissen bin, dann ist das praktisch eine unbegrenzte Aktivität.

„Wir leben eigentlich, von diesen kleinen, innovativen Gruppen.“

VCÖ-Magazin: Die Gesellschaft besteht nicht nur aus Individuen, sondern auch aus vielfältigen sozialen Gruppen und Milieus.

Marcel Hunecke: Das ist ganz wichtig, das wird häufig vergessen. Dem einen Milieu ist die Nachhaltigkeit sehr wichtig. In anderen sind es instrumentelle Motive, vor allem Geld. Dies sind auch eher statusorientierte Milieus. Insgesamt ist wichtig auf die Unterschiede in der breiten Bevölkerung zu achten. Gleichzeitig müssen aber Leitmilieus, etwa ein sozialökologisches Leitmilieu, selbst wenn es nur 3 bis 5 Prozent der Bevölkerung sind, das sehr gut gepflegt werden, weil das sind die, die wirklich mit dieser intrinsischen Motivation an die Sache herangehen, die den Wert Nachhaltigkeit am Leben erhalten. Das sind der Lehrer, der einen Schüler fördert, das Unternehmen, das Beschäftigte anregt. Das ist die NGO, der innovative Verkehrsplaner. Die müssen unterstützt werden, durch Wertschätzung bis hin zu finanzieller Förderung. Das sind jene, die versuchen ihre Ideen als Leitmilieu in den Mainstream zu überführen. Davon leben wir eigentlich, von diesen kleinen, innovativen Gruppen.

„Wir können etwas in Richtung Nachhaltigkeit verändern“

VCÖ-Magazin: Wie können diese unterstützen werden, damit nachhaltige Mobilität selbstverständliches Thema  im Mainstream wird?

Marcel Hunecke: Zweierlei: Die müssen sehen, dass Nachhaltigkeit, durchaus etwas ist, das ich im Mobilitätsbereich verbreitern kann, also dass das ein gutes Ziel ist. Denn es gibt da natürlich auch viel Frustration. Wichtig ist einerseits die Einschätzung, dass es sich um ein erstrebenswertes Ziel handelt, für das es sich lohnt, einzustehen. Und andererseits die Erwartung, wirklich etwas in Richtung Nachhaltigkeit verändern zu können, also dass innovative Ideen auch realisiert werden können – etwa über soziale Unterstützung und Wertschätzung  bis zu finanzieller Förderung. Das ist die sogenannte Selbstwirksamkeit. Letztendlich ist die Politik gefragt, dass diese Nachhaltigkeitspioniere die Möglichkeit finden, ihre Ziele auch wirklich umzusetzen.

„Alle gesellschaftlichen Akteure einbeziehen“

VCÖ-Magazin: Es braucht also Politiker, die das so sehen und auch gezielt fördern?

Marcel Hunecke: Nicht nur Politiker. Das bezieht alle gesellschaftlichen Akteure ein, die nach Unterstützungsmöglichkeiten für die Menschen in diese Richtung suchen gehen. Es ist natürlich super, wenn der Bürgermeister davon überzeugt ist und auf lokaler Ebene mehr Nachhaltigkeit in die Stadtplanung reinbringt. Aber es geht auch um jede und jeden, die in einer Gruppe, einer Institution oder Organisation tätig ist und die da Menschen wahrnehmen, die sich für Nachhaltigkeit im Mobilitätsbereich einsetzen und diese praktisch fördern – und wenn es nur durch gute Zusprache ist. Der Lehrer hat kein Budget, das er den Schülerinnen und Schülern geben kann, aber vielleicht kann er eine Projektwoche ermöglichen, wo sie sich alle überlegen, was kann ich hier in meinem Stadtteil machen? Oder der Leiter einer Seniorenwohnanlage  kann seine Bewohner zusammentrommeln und die machen eine Stadtbegehung und erheben, was sich dort ändern soll etc.  Jeder, der in einer größeren Organisationseinheit ist, hat so einen Hebel, um mehrere andere Menschen zu erreichen, die er fördern kann, sowohl ideel, als auch durch konkretes Verhalten.

Das Gespräch führte Christian Höller.

Zurück zur Übersicht

VCÖ-Magazin 2019-03 Adieu Erdöl! Die Energiezukunft ist erneuerbar

Städte haben aufgrund der Bevölkerungsdichte und der vielen zurückgelegten Wege große CO2-Reduktionspotenziale. Durch ein zeitgemäßes Mobilitätsangebot werden viele Menschen erreicht und angeregt, neue Mobilitätsgewohnheiten zu entwickeln.

Mehr dazu

Sicherheitsgefühl durch Gemeinschaft der Fahrgäste stärken

Die Themen Sicherheit im Öffentlichen Verkehr und guter Umgang der Fahrgäste untereinander sind immer wieder medial präsent. Die Frage, ob sich Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln sicher fühlen, untersuchten VCÖ und Sora-Institut beim VCÖ-Bahntest 2018 anhand des Framing-Ansatzes. Dieser beruht darauf, dass jede Information in unserem Gehirn innerhalb von Frames, von verschiedenen „Deutungsrahmen“, verarbeitet wird. Christoph Hofinger von Sora erklärt: „Wenn wir über "Sicherheit" und entsprechende Maßnahmen sprechen, erzeugen wir in der Regel Unsicherheit, weil die Frames der Bedrohung in den Köpfen aktiviert werden. Die Lösung dafür ist Re-Framing durch Aktivierung jener Emotionen und Werthaltungen, durch die Menschen ein Gefühl der Sicherheit bekommen.

Mehr dazu