Michaela Krömer - direkt gefragt

Wir haben beim Klimaschutz ein Rechtsschutzdefizit

Michaela Krömer ist Rechtsanwältin, spezialisiert auf Klimarecht, Grundrechte und Verfassungsrecht. www.michaelakroemer.com

Das VCÖ-Magazin sprach mit der Klimarechtsanwältin Michaela Krömer darüber, warum sie mit Klagen versucht, den Staat Österreich auf dem Rechtsweg dazu zu bringen, seine Schutzpflichten gegen die Auswirkungen der Klimakrise wahrzunehmen.   Und sie berichtet über die spannenden Fortschritte in anderen Ländern, die Rechte der Natur gesetzlich zu verankern und so der ungebremsten Ausbeutung und Zerstörung von Natur und Ökosystemen Einhalt zu gebieten.

VCÖ-Magazin: Ihre Sammelklage gegen den Staat Österreich hat die umsatzsteuerliche Begünstigungen des Flugverkehrs gegenüber der Bahn und die Kerosinsteuerbefreiung des Flugverkehrs aus Gleichheitsgründen angefochten. Warum sind Sie mit dieser Klage nicht durchgedrungen?

Michaela Krömer: Sie ist an formellen Gründen, an der Zulässigkeit der Klage, gescheitert. Der Antrag war so aufgebaut, dass Menschen den Antrag gestellt haben, die mit der Bahn fahren, sagten, ich bin durch das Steuerprivileg des Flugverkehrs benachteiligt und werde in ein klimaschädliches Verhalten gedrängt. Der Verfassungsgerichtshof hat gesagt, diese Personen können das aber gar nicht anfechten, weil sie wollen ja gar nicht fliegen und sind deshalb vom Gesetz nicht gemeint. Juristisch ergibt diese Argumentation keinen Sinn, denn es geht bei der Frage der Zulässigkeit um das Design des Gesetzes, nicht um ein Wollen. Das ist also keine nachvollziehbare Begründung und ist letztlich auch zynisch.

VCÖ-Magazin: Sie haben eine neuerliche Klage eingebracht.

Michaela Krömer: Ich habe im März 2022 den Antrag verbessert nochmal eingebracht. Diesmal  für eine einzelne Person, die unter dem Uthoff-Syndrom leidet, also einer vorübergehenden Verschlimmerung typischer Symptome der Multiplen Sklerose unter dem Einfluss von Hitze. Diese Person fliegt und fährt mit der Bahn. Wir brauchen bei solchen Verfahren rund um Krisenthemen hochwertige Entscheidungen, noch dazu wo wir  im Klimaschutz ein Rechtsschutzdefizit haben. Ich habe auch den allerersten Fall als Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR eingereicht, mit den Argumenten, dass es in Österreich keine wirksame Möglichkeit gibt, eine Beschwerde gegen zu wenig Klimaschutz einzubringen, und  dass der Staat gegenüber Schutzpflichten verletzt hat.  Beide neuen Verfahren sind noch nicht entschieden. Letztlich ist das Ziel, bei der Beschwerde beim EGMR, ein gutes Klimaschutzgesetz zu bekommen, denn das wäre eine der wichtigsten Schutzmassnahmen, die seitens des Gesetzgebers zu setzen ist.

VCÖ-Magazin: Haben Menschen in Österreich tatsächlich kein Recht auf Klimaschutz?

Michaela Krömer: Wir haben Grundrechte, aus denen auch eine Schutzpflicht im Zusammenhang mit der Klimakrise bestehen sollte - das ist in einigen Ländern bereits bejaht worden und das ist jetzt auch die Gretchenfrage beim EGMR. Werden die Grundrechte ernst genommen, bedeutet das auch ein Recht auf Klimaschutz. Wir brauchen also nicht zwingend ein eigenes Recht auf Klimaschutz. Wichtiger wäre, ein Recht auf gesunde Umwelt zu diskutieren weil das weiter greift und nicht menschenzentriert ist. Aber ein Recht zu haben, ist die eine Sache. Das andere ist, ob ich die Möglichkeit habe, dieses Recht wirksam einzufordern. Anderenfalls ist das Recht nicht mehr wert als ein Stück Papier. Und die habe ich in Österreich im Moment nicht. In anderen Ländern konnten solche generellen Schutzpflichten schon eingefordert werden.

VCÖ-Magazin: Internationale Abkommen, wie das Pariser Abkommen und die Klimaziele der EU helfen da nicht weiter?

Michaela Krömer: Das Pariser Abkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der funktioniert letztlich wie der Putzplan in einer WG. Wenn alle mitmachen, ist das super, aber ich kann nichts einfordern, weder als Einzelperson, noch die Staaten untereinander. Was rechtlich aus dem Pariser Abkommen gewonnen werden kann, ist, dass die Staaten bejahen, dass es die Klimakrise gibt, und damit indirekt Schutzpflichten bejaht haben. Klimaziele sind nur soviel wert, wie sie auch zwingend umgesetzt werden müssen. Es bleibt daher auch spannend, wie die Verbindlichkeit der Ziele des Europäischen Green Deals ausgestaltet sein werden. In Ö brauchen wir dringend ein Klimaschutzgesetz mit Sanktionsmechanismus. Allerdings sind auch rein finanzielle Sanktionen mittlerweile zu wenig. Was wir bräuchten, sind vorab festgelegte Maßnahmen – etwa eine Temporeduktion – die schlagend werden, wenn die Ziele verfehlt werden. Nur so entsteht für die Politik der Druck, Klimaschutzmaßnahmen auch umzusetzen.

VCÖ-Magazin: Was ist anders in Deutschland, wo das Klimaschutzgesetz vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurde?

Michaela Krömer: Deutschland stellt bei der Zulässigkeit auf die faktische Betroffenheit ab, nicht auf die rechtliche Betroffenheit. Ich muss zeigen, dass ich konkret in meinen Rechten, meinen Interessen verletzt bin. Das hat die Folge, dass ich als Privatperson gegen ein schlechtes Klimaschutzgesetz vorgehen kann. Das geht in Österreich nicht, weil ich rechtlich betroffen sein muss. Das Klimaschutzgesetz ist eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern, Privatpersonen sind daher keine  Normadressaten. Österreich hat ein sehr enges System konzipiert, vermutlich aus Angst, dass die Höchstgerichte mit Popularklagen überlaufen werden. Doch in Krisenzeiten zeigt sich nun, dass dieses System zu einem verfassungswidrigen Zustand führen kann.

In Österreich sind die Höchstgerichte sehr zögerlich, Sachen anzugreifen, die politische Auswirkungen haben. Nur: Recht hat immer auch eine politische Komponente, weil Recht Gesellschaft gestaltet. Je weniger der Gesetzgeber gestaltet, umso mehr geht es um die Grund- und Verfassungsrechte, umso mehr müssen dann die Gerichte tun. Die Verfassung und die Grundrechte müssen mit den Veränderungen und den Anforderungen unserer Zeit mitwachsen.

VCÖ-Magazin: In Österreichs haben Ökosystemen bisher keine eigenen Rechte. International ist bei der Anerkennung der Natur als Rechtssubjekt vieles in Bewegung.

Michaela Krömer: Ja, tatsächlich. Die Vorstellung, dass Ökosysteme auch Rechte haben, ist eine Art kopernikanische Wende, ähnlich radikal, wie es einmal die Verankerung von Grundrechten, die Vorstellung, dass alle Menschen gleich an Rechten und Würde sind, war.

International ist da sehr viel in Bewegung. In Ecuador wurden Rechte der Natur in der Verfassung verankert und im letzten Jahr vier oder fünf Entscheidungen zugunsten der Rechte der Natur erlassen. So wurde eine Rohstoffexploration in einem artenreichen Regenwald untersagt, weil allein schon die Forschung, ob es da Rohstoffe gibt, ein Eingriff in das sensible Ökosystem ist, und weil keine ordnungsgemäße Prüfung und Folgenabschätzung stattgefunden hat und daher Rechte der Natur verletzt sind. Oder dass eine Shrimps-Zucht in einem Mangrovenwald die Rechte eines schon sehr belasteten Mangrovenwald verletzt und diese Form der Zucht von Shrimps zu Lasten des Ökosystems geht. Es wurde hineingeschrieben, Ökosysteme können schon genutzt werden, aber in einer Art und Weise, die ihre Rechte nicht verletzt, die schonend ist, wie das etwa in indigenen Kulturen gemacht wird. Oder es ging um einen Fluss und die Frage, wieviel Wasser diesem für ein Projekt entnommen werden kann. Da wurde entschieden, es würde zu viel Wasser entnommen und dadurch das Ökosystem verletzt und seine Existenz bedroht – das sei verfassungswidrig.  Diese Fälle sind sehr spannend, weil sie zeigen, wie eine sinnvolle  Abwägung zwischen der Nutzung und den Rechten der Natur stattfinden kann. Denn natürlich müssen wir die Natur und die Ressourcen nutzen können, aber andererseits hat die Natur ein Eigenleben und das gehört gewahrt. Ist ein Ökosystem sehr fragil, darf der Eingriff nur gering sein. Wurde ein Land 20 Jahre in Ruhe gelassen und hat sich regeneriert, dann kann vielleicht mehr gemacht werden.

Bei anderen Rechten wird es auch nicht als befremdlich empfunden, dass genau hingeschaut und abgewogen wird - seltsamerweise, wenn es um die Natur geht, kommt oft das Argument, das sei nicht machbar. Länder, die eine jüngere Rechtsgeschichte haben, wo auch die Verfassungen jünger und moderner sind, die sind offenbar eher bereit und flexibel Rechte der Natur zu integrieren, weil es von der Faktenlage her immer offenkundiger wird, dass das notwendig ist. Es ist auch feststellbar dass gerade Länder, die weniger zur Klimakrise beigetragen haben, aber sehr viel von den Folgen abkriegen, dass rechtlich integrieren. In Kolumbien sind Teile des Amazonas als Rechtssystem anerkannt worden. Auch in Uganda und in Panama wurden vorletztes Jahr, Gesetze erlassen. In Neuseeland haben einzelne Ökosysteme Rechte bekommen. Es ist in sehr ausgeklügelten Gesetzen geregelt, die alle Aspekte beinhalten, wie etwa, wie ist das steuerrechtlich, wenn ein Fluss eigene Rechte hat. Oder wenn Land ein Naturpark wird, wer zahlt dann die Abgaben, wie schaut es mit Haftungsfragen aus, wenn sich Besuchende dort verletzen. Es wurde ganz klar durchdekliniert, wer wo wie zuständig ist, wem die Rohstoffe gehören - wie teilt sich das auf. Im europäischen Parlament wurde jetzt eine Petition eingebracht für eine Erweiterung des Grundrechtskatalogs um Rechte der Natur. Da sehe ich eine sehr positive Bewegung.

Eine neue Entwicklung ist, dass Klimaverfahren gemeinsam geführt werden mit der Forderung, dass Ökosysteme Rechte bekommen sollen. Wie das gemacht wird, hängt ganz stark vom jeweiligen Rechtssystem ab – das ist sehr schwer vergleichbar.

Entscheidend ist immer auch die Frage, wie sehr wird das dann auch umgesetzt. Je klarer die Regelung, desto besser. In Indien haben sie den Ökosystemschutz auch mit Sanktionen verbunden. In Europa ist es so, ähnlich wie in den USA, dass das alles eher auf Gemeindeebene stattfindet. Da sind das lokale Bewegungen und Gemeinden die Verordnungen erlassen – ob das rechtlich verbindlich ist oder nicht, steht auf einem anderen Blatt. Doch es ist zu sehen, dass das auf lokaler Ebene sehr stark vorangetrieben wird.

VCÖ-Magazin: Was braucht es vorrangig, um der Klimakrise auf dem Rechtsweg beikommen zu können?

Michaela Krömer: Was ich total wichtig finde, ist, dass ich als Einzelperson in einem demokratischen System ein Mitgestaltungsrecht und eine Mitgestaltungspflicht habe. Der Weg aus dieser Krise führt über ein klares Regelwerk und das werden wir in dem Tempo und in der Form, in der wir es brauchen, nicht über Klagen hinbekommen. Letztlich ist hier der Gesetzgeber gefragt, sinnvolle Regelungen zu schaffen. Klagen und Beschwerden sind ein wichtiges Werkzeug in einer Demokratie, aber alleine können sie solche Probleme nicht lösen.  Deswegen sind wir alle gefordert, das auf die politische Agenda zu setzen und regelmäßig einzufordern, dass hier klare Regeln beschlossen werden. Daher ist es wichtig, den Druck auf die Politik zu erhöhen und das Demonstrieren nicht nur den jungen Leuten zu überlassen, sondern das jetzt kollektiv einzufordern. Die Politik muss wirklich in Bewegung gebracht werden, um nicht weitere 30 Jahre lang herum streiten zu müssen  – das ist wertvolle Zeit, die wir verlieren.

Das Gespräch führte Christian Höller

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Aus der Forschung: Willi Haas

Universität für Bodenkultur in Wien, Institut für soziale Ökologie 

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