Mit der App in der Hand kommst du durchs ganze Land

Mobilität ist via Smartphone handlich geworden. Und lässt das sperrige Auto alt und einsam aussehen. Die zunehmende Vielfalt der Lebensweisen findet in der Mobilität ihre flexible Entsprechung. Vor allem die junge, urbane Bevölkerung setzt auf situationsangepasste, multimodale Mobilität mit Öffentlichem Verkehr, Rad und Carsharing.

>> Von Sonja Bettel

Es ist Montag, Anfang Februar. Für Wien sind maximal vier Grad und lebhafter Westwind angekündigt. Martin Lengauer packt seinen eineinhalbjährigen Sohn deshalb in den Kinderwagen, der Vierjährige stellt sich auf das Trittbrett und los geht‘s Richtung Kindergarten, zu Fuß zur U-Bahn, dann zum Bus. Vom Kindergarten dann weiter ins Büro mit dem Bus zur U-Bahn und zu Fuß. Obwohl er sich nur innerhalb des 2. Wiener Bezirks bewegt, dauert das 40 bis 45 Minuten. Trotzdem würde Martin Lengauer oder seiner Frau niemals einfallen, den morgendlichen Weg mit dem Auto zurückzulegen.

„Früher war ich beruflich auch in Oberösterreich unterwegs, da musste ich mit dem Auto fahren“, erzählt Martin Lengauer. Seit er nur mehr in seiner Kommunikationsagentur in Wien arbeitet, „überlege ich mir vor jeder Autofahrt, ob sie wirklich notwendig ist.“

In der Stadt fährt er meist mit dem Rad, weil das am schnellsten geht. Wenn es nicht kalt oder regnerisch ist, setzt er die Kinder in den Fahrradanhänger oder den Kleinen in den Fahrradsitz und den Großen aufs Kinderrad und radelt durch den Prater zum Kindergarten. Der Weg ist schön und um 20 Minuten kürzer als mit U-Bahn und Bus.

In der Tiefgarage des Wohnhauses steht das Auto des Bruders, das von beiden Familien und teilweise auch von Kollegen genützt wird – privates Carsharing also. Verwendet wird es für Transporte oder für die Fahrt zu den Eltern aufs Land. „Aber selbst dorthin fahren wir wenn möglich mit dem Zug“, sagt Martin Lengauer, denn Auto fahren mit Kindern sei lästig: „Schon nach fünf Kilometern fragen sie das erste Mal, wann wir endlich da sind.“ Im Zug sei das viel entspannter. „Wenn unser Auto eines Tages den Geist aufgibt, werden wir mit Sicherheit kein neues kaufen“, ist er überzeugt.

Immer öfter mobil ohne Auto

Die Familie Lengauer entspricht mit ihrer Einstellung zur situationsangepassten Mobilität, die das Auto als nachrangiges Beförderungsmittel betrachtet, einem internationalen Trend.

Das Institut für Mobilitätsforschung der BMW Group hat im Jahr 2011 gemeinsam mit zwölf weiteren Forschungsstellen das Mobilitätsverhalten junger Erwachsener in sechs Industrieländern untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass der Pkw-Anteil an den Wegen junger Erwachsener (außer in Japan und den USA) abnimmt, besonders deutlich in Deutschland. Zwar machen viele junge Leute weiterhin den Führerschein, fahren aber nicht mehr so oft mit dem Auto wie noch in den 1990er-Jahren. In vielen Haushalten gibt es gar kein eigenes Auto mehr. Selbst junge Menschen, die ein Auto zur Verfügung hätten, nützen zunehmend den Öffentlichen Verkehr oder fahren mit dem Rad. Trotzdem sind junge Erwachsene heute nicht weniger mobil, im Gegenteil. Allerdings machen sie weitere Reisen zumeist nicht mehr mit dem Auto, sondern mit dem Flugzeug.

Was sind die Gründe für den Trend weg vom Auto? Erstens: Mehr Menschen studieren, haben dadurch ein geringeres Einkommen, gründen später Familien und leben in Städten. Das einmal eingelernte Mobilitätsverhalten bleibt später bei vielen erhalten, selbst wenn sie Kinder haben und mehr verdienen. Zweitens haben sich die Angebote im Nah- und Fernverkehr verbessert, es gibt etwa mehr Radwege, Radleihsysteme, Fußgänger-zonen und Parkraumbewirtschaftung. Ein dritter wesentlicher Punkt ist die Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Durch das Internet können Wege eingespart werden, weil Behördengänge, Einkäufe, Kartenbestellungen und vieles mehr elektronisch erledigt werden können.

Kombiniere: „smile“-App macht multimodale Mobilität einfach und verständlich.

Große Vielfalt an Verkehrsmitteln wird genutzt

Jens Dangschat vom Fachbereich Soziologie an der TU Wien hat im Jahr 2011 im Forschungsprojekt -„mobility2know“ für Österreich eine Pilotstudie zum Zusammenhang von sogenannten Sinus-Milieus® und Mobilität erstellt. Sinus-Milieus®fassen Menschen mit ähnlicher Lebensauffassung und Lebensweise zusammen. „Moderne Performer“, „Etablierte“ und „Postmaterielle“ nutzen demnach die größte Vielfalt an Verkehrsmitteln, gefolgt von der „konsumorientierten Basis“ und den „Hedonisten“. Traditionelle und ländliche Milieus orientieren sich eher am Pkw. „Postmaterielle“ teilen gerne, „Performer“ und „Digitale Individualisten“ schätzen Effizienz und Flexibilität, deshalb nützen sie Carsharing.

Autohersteller werden Mobilitätsdienstleister

Vor allem in Großstädten wie beispielsweise London ist es immer weniger attraktiv, ein eigenes Auto zu besitzen, sagt Marcel Springer von der Unternehmensberatungsfirma Oliver Wyman in Deutschland. Oft sei das Auto nicht ausgelastet, im Stau und auf der Suche nach einem Parkplatz wird viel Zeit verbracht. Im Gegensatz zu früher sei es dank der Informationstechnologien aber einfacher geworden, je nach Bedarf andere Verkehrsmittel zu wählen.

Viele Automobilhersteller und ein Teil der Zulieferer stellen sich daher auf Wachstum im Bereich der Mobilitätsdienstleistungen ein. Die großen Firmen hätten bereits in Services für Parken, Carsharing, Fahrdienste, -Automiete und Mobilitäts- und Reiseplanung investiert und Entwicklungsprojekte zur Mobilität der Zukunft ausgeschrieben. „Wir haben derzeit ein jährliches Wachstum von fünf Prozent in diesem Bereich, für das Jahr 2025 wird der Markt auf 600 Milliarden Dollar geschätzt“, sagt Springer.

Eine Vorstellung von der Zukunft gibt das „smart parking“ in San Francisco, wo alle städtischen Parkplätze mit Sensoren ausgestattet sind und die Smartphone-App anzeigt, wo sich der nächste freie Parkplatz befindet. Die Gebühr für den Parkplatz ist gestaffelt nach Nachfrage und wird automatisch abgebucht. Das Beispiel San Francisco zeigt auch, dass die Kommunen sich auf den Wandel im Mobilitätsverhalten einstellen müssen, weil sie durch ihr Handeln oder Nicht-Handeln den Verkehr beeinflussen.

Größtmögliche Flexibilität ermöglichen

Paul Pfaffenbichler, Verkehrswissenschafter an der Technischen Universität Wien, nennt als Beispiel Car-sharing: „Wir haben festgestellt, dass ein Carsharing-Auto bis zu zehn private Pkw ersetzen kann“, sagt Pfaffenbichler. Das gilt aber nur für stationäres Carsharing, wo die Fahrzeuge einen fixen Standplatz haben. Sogenanntes Free Floating Carsharing wie von Car2Go, bei dem die Fahrzeuge irgendwo abgestellt und mittels App gefunden werden, wird zusätzlich zum eigenen Auto und für extrem kurze Wege innerhalb der Stadt verwendet. Das System würde mit einem vergünstigten Parkpickerl für alle Bezirke unterstützt, sei aber umweltpolitisch nicht sinnvoll, so Pfaffenbichler.

Für ihn muss der Schwerpunkt der Mobilität in den Städten der Zukunft beim Öffentlichen Verkehr, dem Radfahren und Zu-Fuß-Gehen liegen, der motorisierte Verkehr müsse verlangsamt werden. Die Begegnungszone in der Wiener Mariahilfer Straße ist für den Verkehrsforscher ein positives Beispiel, weil sie durch ausreichend Platz auf gleichem Niveau auch größtmögliche Flexibilität bietet.

Aus Verkehrsmitteln wird umfassende Mobilität

Hilfe beim leichteren Umstieg bieten auch Informationsplattformen wie „AnachB“. Ab dem Jahr 2009 stand „AnachB“ für Ostösterreich zur Verfügung, seit dem Jahr 2014 gibt es für ganz Österreich Auskunft über Routen und Fahrzeiten für Öffentlichen Verkehr, Rad, Auto und Fußwege und Informationen über Standorte von Carsharing, Leihrädern, Park&Ride und Fahrradmitnahme.

Derzeit arbeiten Forscher und Entwickler an einer Mobilitätsplattform, über die intermodale Routen verglichen werden und gleich auch Tickets für alle Verkehrsmittel gekauft, Carsharing reserviert und ein Taxi bestellt werden kann. Das Projekt „smile“ wurde von den Wiener Stadtwerken und den ÖBB initiiert und wird zu rund einem Drittel vom Klima- und Energiefonds gefördert. Wie komplex die Entwicklung einer umfassenden Mobilitätsplattform ist, macht Projektleiter Reinhard Birke an ein paar Zahlen deutlich: „140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten seit drei Jahren daran, die verschiedenen Schnittstellen, Routingsysteme und Bezahlsysteme von 18 Mobilitätspartnerunternehmen zu integrieren.“ Ein Drittel des Budgets sei für Usability aufgewendet worden, also dafür, das komplexe System über eine leicht verständliche App nutzen zu können. Die Unternehmensberatung Arthur D. Little hat „smile“ in ihrer Mobilitätsstudie unter die vier innovativsten Mobilitätsprojekte weltweit gereiht. Seit einigen Monaten testen 1.300 Wienerinnen und Wiener die „smile“-App auf ihren Android-Mobiltelefonen. Derzeit prüfen Wiener Stadtwerke und ÖBB intensiv, ob und wie „smile“ nach der Entwicklungs- und Testphase in einen regulären Betrieb übergeführt werden kann.

Martin Lengauer würde sich so eine Plattform jedenfalls wünschen, und dazu auch gleich einheitliche Tarife für den gesamten Öffentlichen Verkehr in Österreich. Außerdem: mehr und sicherere Radstrecken in Wien, auf denen auch Familien mit Kindern fahren dürfen, und eine Berücksichtigung des Wandels der Mobilität beim Bau von Wohnhausanlagen. In seinem Wohnhaus gebe es zu wenig Platz im Fahrradabstellraum, während viele Autostellplätze in der Tiefgarage ungenützt blieben.

 

>> Linkliste:
http://smile-einfachmobil.at/
http://www.oliverwyman.de/5498.htm
http://www.ifmo.de/publikationen.html ?k=Multimodalit%C3%A4t

>> Zur Autorin:
Sonja Bettel ist freie Journalistin.
http://bettel.at

 


>> Vor allem in Großstädten ist es immer weniger attraktiv, ein eigenes Auto zu besitzen. <<

- Marcel Springer, Unternehmensberater


>> Die Herausforderung ist, die verschiedenen Schnittstellen, Routingsysteme und Bezahlsysteme der zahlreichen Mobilitätspartnerunternehmen zu integrieren. <<

- Reinhard Birke, Wiener Stadtwerke, Projektleiter "Smile"

Zurück zur Übersicht