Miteinander im Straßenraum bewährt sich

Landesstraße durch den Ort wurde Begegnungszone: Das beruhigt den Autoverkehr im Wolfurter Zentrum und macht Rathaus, Schulen und Geschäfte auch quer über die Straße sicher zugänglich.

Für zukunftsfähige Verkehrslösungen braucht es initiative Menschen und Mut zur Veränderung in den Behörden - wie zwei Beispiele aus Deutschland und Vorarlberg zeigen.

Von Jutta Berger

E in Verkehrsschild kann ein ganzes Stadtviertel verändern. Das zeigt Bremen mit der ersten Fahrradzone Deutschlands, die im Juli 2020 eröffnet wurde. Im Stadtteil Neustadt wurden zwölf Straßen zur einheitlichen Fahrradzone zusammengefasst. Was sonst nur auf einzelnen Fahrradstraßen gilt, gilt hier für die ganze Zone: Tempo 30 und Vorrang für den Radverkehr. Vier Jahre Vorbereitung waren für die Fahrradzone nötig und eine Änderung der deutschen Straßenverkehrsordnung, die bis dahin nur Fahrradstraßen ermöglichte. Der Anstoß zur Gesetzesnovelle kam aus Bremen. Worauf die Projektpartnerschaft schon „einigermaßen stolz“ ist, wie Sven Eckert, Geschäftsführer des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) Bremen sagt. „Wesentlich für die Realisierung war die Kooperation zwischen Stadtbehörde, Hochschule und ADFC“, so Eckert. Forciert wurde das Projekt durch 2,4 Millionen Euro aus der Nationalen Klimaschutzinitiative. Der Radverkehrsanteil in Bremen liegt bei 25 Prozent. Wirklichkeit wurde das Fahrrad-Modellquartier Alte Neustadt, so Eckert, „weil die Stadt Bremen den Mut hatte, das Projekt anzugehen, als es die Regelung in der Straßenverkehrsordnung noch gar nicht gab“. Mutig auch deshalb, „weil es in Deutschland ein komplettes Umstellen im Denken braucht, um das Fahrrad als gleichberechtigtes Verkehrsmittel zu sehen.“ Widerstand kam von jenen, die um Plätze zum Abstellen von Autos fürchteten. Eckerts Gegenstrategie: „Ein Bild malen, wie Stadt einmal aussehen sollte, über die Vorteile einer Veränderung sprechen. Und es galt Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die bestehende Verkehrssituation eine erhebliche Gefährdung, auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen ist.“ In der historischen Neustadt ist das neue Denken nun sichtbar: Enge Altstadtgassen wurden durch bauliche Maßnahmen attraktiv für aktive Mobilität wo zuvor durch wild abgestellte Autos nur wenig Platz für Radfahrende und Gehende war. Kopfsteinpflaster wurde für sicheres Radfahren reduziert, Kreuzungsbereiche durch breitere Gehsteige übersichtlicher, sichere Übergänge wurden geschaffen, Autos dürfen nur noch in markierten Bereichen abgestellt werden. Serviceeinrichtungen für Radfahrende, von Aufpump-Stationen bis hin zum Repair-Café der Hochschule, wurden geschaffen. Ob die Fahrradzone zu mehr aktiver Mobilität geführt hat, lässt sich noch nicht mit Zahlen belegen, sagt Michael Glotz-Richter, Referent für nachhaltige Mobilität im Verkehrsamt. Durch die aktuelle Covid19-Situation fehlen valide Daten. Einen Indikator gibt es jedoch: „Die 600 zusätzlichen Radabstellbügel reichen nicht, wir müssen weitere aufstellen.“

Gut Raum braucht Weile

Doppelt so lange wie in Bremen mussten in Vorarlberg dicke Bretter gebohrt werden. Acht Jahre Vorbereitung waren für eine verkehrspolitische Pioniertat der Marktgemeinde Wolfurt, Bezirk Bregenz, nötig, bis im Jahr 2014 die erste Begegnungszone auf einer Landesstraße errichtet werden konnte. Bürgermeister Christian Natter resümiert: „Die Begegnungszone ist ein Gewinn. Obwohl die Skepsis zu Beginn sehr groß war.“ Ob eine Begegnungszone angenommen wird, hänge sehr von deren Gestaltung ab, weiß Natter: „Im Idealfall soll ein Mensch, der in so eine Zone fährt oder geht, intuitiv spüren, dass hier das Handeln anzupassen ist.“ Die Wolfurter Begegnungszone schafft eine Platzsituation zwischen Rathaus, Schulen, Gemeindesaal, Bücherei und Geschäften, wo früher eine viel befahrene Durchfahrtsstraße war. Durch Tempo 30 und gleichberechtigtes Miteinander wurden Querungen wesentlich sicherer und die Lärmemissionen reduziert. Bürgermeister Natter wünscht sich für Kommunen von Land und Bund bessere gesetzliche Rahmenbedingungen und ein klares Bekenntnis zur Umsetzung von Begegnungszonen auf Landesstraßen. „Unser Weg war sehr schwierig, klare Regelungen würden Gemeinden helfen.“ Wesentlich einfacher sei die Verordnung von Fahrradstraßen. „Das ist eine sehr vernünftige Möglichkeit für Kommunen, mit relativ geringem Aufwand Straßen für sanfte Mobilität deutlich aufzuwerten“, sagt Natter. Tempo 30 mache die Straßen auch für Gehende sicherer, die dort Wohnenden profitieren von der Lärmreduktion. Wolfurt verfügt über rund fünf Kilometer Fahrradstraßen. Zwei regionale Fahrradrouten, die Bregenz und Dornbirn verbinden, führen durch die Gemeinde. Die anfängliche Befürchtung, Radfahrende würden die neue Freiheit ausnützen „und kilometerlange Autokolonnen verursachen, weil sie dauernd nebeneinander unterwegs sind“, habe sich nicht bestätigt, sagt Natter: „Das Miteinander funktioniert.“

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Zukunftsorientierte kommunale Mobilitätsverordnung

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