Mobilität wird individueller

Räumliche Nähe schafft Wahlmöglichkeit: Am Mobility Point Berlin Südkreuz werden unter anderem E-Carsharing, Radverleih mit Radständer und Busund Bahnstation gebündelt.

Scooter und Faltrad mit der Bahn, der Elektro-Fahrrad-Verleih, E-Carsharing, Citybike und Fahrgemeinschaften verschmelzen mit Bus und Bahn zu einem umfassenden, öffentlich zugänglichen Verkehrssystem. Und Mobility Points im Stadtraum und im Internet stärken umweltverträgliche Mobilitätstrends.

>> Von Christian Höller

"Super Fahrzeug!“, ist der etwa Fünfzigjährige am Wiener Westbahnhof, auf seinen fahrbaren Untersatz angesprochen, uneingeschränkt begeistert: „Den ersten Scooter habe ich von meiner Tochter übernommen. Jetzt habe ich einen mit größeren Rädern – deutlich mehr Komfort. Ich habe ihn immer dabei, im Zug und im Auto – und fahre oft die letzten paar hundert Meter damit.“ Er verrät auch seine nächste Begehrlichkeit: „Scooter gibt es jetzt auch elektrisch!“ Den Mobilitätsalltag verändern momentan nicht die medien-beherrschenden High-Tech-Innovationen wie automatisiertes Fahren und Elektro-Auto. Es ist Unspektakuläres, wie die unauffälligen Scooter, die derzeit auf vielen Bahnhöfen allgegenwärtig sind. Einfach mitzunehmen, ergänzen immer mehr Menschen mit ihnen rollernd ihre Bahnfahrt.

Gegenüber dem Jahr 1990 sind die Emissionen des Verkehrssektors heute um rund 60 Prozent höher. Zuletzt verursachte der Verkehr in Österreich rund 22 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. 55 Prozent davon der Pkw-Verkehr. Es besteht großes Verlagerungspotenzial, da etwa jede zehnte Autofahrt kürzer als ein Kilometer, fast jede zweite kürzer als fünf Kilometer ist.

Faltrad statt Auto

Aus dem Kinderzimmer entwischt: Die kleinen Scooter bereichern die Mobilität in Kombination mit öffentlichen Verkehrsmitteln

Marianne, eine junge, sportlich gekleidete Frau, steigt mit ihrem Faltrad in Wien Meidling in den Railjet nach St. Pölten: „Ich habe in St. Pölten drei Kilometer zum Bahnhof“, erzählt sie, „in Wien vom Bahnhof sieben Kilometer zur Arbeit. Drei Jahre bin ich mit dem Auto gefahren, hin und zurück rund 160 Kilometer. Seit etwa einem Jahr kombiniere ich Rad und Bahn. Zuerst mit je einem Fahrrad in St. Pölten und einem in Wien – bis sie gestohlen wurden. Jetzt mit dem Faltrad. So fahre ich auch deutlich -billiger.“ Sie überschlägt kurz im Kopf: „Bahnjahreskarte inklusive Stadtverkehr Wien kostet mich rund 1.600 Euro, mit dem Auto hat mich das im Jahr mindestens 2.500 Euro allein an Sprit gekostet. Und das regelmäßige Radfahren tut mir gut – in der Arbeit werde ich öfter gefragt, warum ich so gut aufgelegt sei“, erzählt sie lächelnd.

Viele Mobilitätsangebote sind in den letzten Jahren entstanden. Carsharing, Fahrgemeinschaften und Citybikes – ein vielfältiger, öffentlich zugänglicher Verkehr ist ergänzend zum klassischen Öffentlichen Verkehr entstanden. Smartphone-Apps machen viele Angebote digital zugänglich und erleichtern das Kombinieren.

Viele Angebote verschmelzen zu Mobilität

Route via App buchen: Bei „Clever Shuttle“ in Berlin, München und Leipzig werden Fahrgäste mit ähnlichen Routen mit E-Autos gebündelt bedient.

Immer mehr „Mobility Points“ finden sich an Bahnhöfen, Umsteigeknoten und sonstigen stark frequentierten Start- oder Zielorten wie Wohnquartieren, Messe- und Betriebsstandorte. Dort werden Taxi, Carsharing, Rad-garagen, Radleihsysteme und Bus- und Bahnstation gebündelt. Die räumliche Nähe forciert die kombinierte Nutzung. Die digitale Verschmelzung der Angebote solcher Mobility Points vertieft die Verknüpfung.  Mit „tim“ wurde in Graz ein solches Projekt gestartet. Momentan an einem, bis Ende des Jahres 2017 an fünf Standorten werden E-Car-sharing, E-Taxi und E-Leihwagen angeboten. Das Angebot versteht sich als Ergänzung zum Öffentlichen Verkehr und zum eigenen Fahrrad. Wer ein Halbjahres- oder Jahresticket des Steirischen Verkehrsverbundes hat, erhält die elektronische tim-Karte statt um 15 Euro kostenlos. Mit ihr kann online oder vor Ort an der Infosäule das gewünschte Fahrzeug gebucht und in Betrieb genommen werden.

Autofahren wird am schnellsten energie-effizienter, wenn mehr Leute im Auto mitfahren. Hier setzt etwa „Clever Shuttle“ an. Dieser Taxidienst ist bereits in Berlin, München und Leipzig unterwegs. Die Route der E-Autos wird via App gebucht. Fahrgäste mit ähnlichen Routen werden gebündelt bedient.

Nach Freefloating Carsharing, wo die Autos beliebig in der Stadt abgestellt werden, hat nun auch Freefloating Bike Sharing Österreich erreicht. 100 orangefarbene Fahrräder von Donkey Republic wurden in Wien bereits im öffentlichen Raum ausgesetzt. Um 14 Euro pro Tag können sie via Smartphone-App gebucht und entsperrt werden – 1.000 Fahrräder sollen es letztlich werden.

Verkaufs- und Verleihschlager Elektro-Fahrrad

Weiz-Bike: E-Bikes sind auch im Fahrradverleih besonders attraktiv.

Auf Synergieeffekte und Elektro-Mobilität wird beim Weiz-Bike in der steirischen 8.800-Menschen-Stadt Weiz gesetzt. Dort sind seit Juli 2015 an elf Stationen 60 herkömmliche Fahrräder und 20 E-Bikes im Verleih. Es zeigt sich, E-Bikes sind auch im Fahrradverleih besonders attraktiv. Bis Ende des Jahres 2016 wurden die Räder 7.845-mal ausgeliehen, dabei entfielen mehr als 60 Prozent der Entleihungen auf die 20 E-Bikes. „Wir wollen damit Bewusstsein für umweltfreundliche Mobilität schaffen und die Menschen in unserer Stadt anregen, statt kurzer Autofahrten auch öfter auf das Fahrrad zu steigen“, erklärt Bettina Posch vom Stadtmarketing Weiz. Pro Woche sind eine E-Bike-Stunde und zwei Fahrrad-Stunden gratis, dann kostet eine E-Bike-Stunde zwei Euro und eine Fahrrad-Stunde einen Euro. Es wird minutengenau abgerechnet. Der Schlüssel zu den Rädern ist die elektronische Weiz-Card, die einmalig fünf Euro kostet. Dieser Rabattkarte für mehr als 60 örtliche Handelsbetriebe hat die Aufwertung durch den Radverleih einen Verkaufsboom beschert. Mit den Nachbargemeinden werden Gespräche über eine Ausweitung des Systems geführt.

Die große Beliebtheit von Elektro-Fahrrädern erschließt neue Zielgruppen und Distanzen für das Radfahren. Die diesen Trend verstärkende Infrastruktur hinkt österreichweit allerdings stark hinterher. So sind verschließbare Fahrradboxen zum sicheren Abstellen etwa auf Bahnhöfen, außer in Salzburg, Mangelware. Ebenso Radschnellwege, die zum Nutzen der höheren Reichweite der Elektro-Bikes etwa ins Stadtzentrum oder zu Bahnhöfen anregen würden.

Treffpunkt Parkplatz

Parkplatz anders nutzen: Vier Räder machen ein Fuhrwerk mit Sitzen zu einem öffentlich nutzbaren Kommunikationsraum

Da staunten die Menschen beim Lendwirbel 2017, dem Grazer Straßenfest, nicht schlecht, als sie die Neuinterpretation des Trojanischen Pferdes entdeckten. Vier Räder machten das Gefährt zu einem legal auf einem öffentlichen Parkplatz parkbaren Fuhrwerk, die rustikale Holzsitzlandschaft zum öffentlich nutzbaren Kommunikationsraum. Es ist Teil des EU-Projektes Metamorphosis, mit dem in Städten wie München, Zürich – und eben auch in Graz – Möglichkeiten der Nutzung des Öffentlichen Raums als nicht kommerziellen Aufenthaltsraum erprobt werden. Das menschenverbindende Trojanische Pferd wird weitergezogen, als lebensfrohes Plätzchen in der Autoparkplatz-Monokultur, als rollendes Aha-Erlebnis, dass Parkplätze auch für etwas anderes genutzt werden können. Und um bewusst zu machen: Wie umweltverträglich sich der Personenverkehr entwickelt, wird wesentlich mit der Gestaltung und Funktionsverteilung im Öffentlichen Raum entschieden. Immerhin gab es zu Beginn des Jahres 2017 in Wien bereits rund 733.000 Jahresnetzkarten für den Öffentlichen Verkehr – mehr als zugelassene Pkw.

Jubiläum: 200 Jahre Fahrrad

Die Draisine, das Laufrad, feiert als Urfahrrad heuer seinen 200. Geburtstag. Denn im Juni 1817 lief der Freiherr von Drais erstmals damit in Mannheim öffentlich aus. Auf dem Umweg übers Museum feiert das Laufrad seit einigen Jahren in den Kinderzimmern eine fulminante Renaissance. Viele der Kleinen erobern heute mit dem wiederentdeckten Missing Link zwischen dem aufrechten Gang und dem Radfahren die nächste Dimension selbstständiger Mobilität, bevor sie dann spielend leicht auf richtige Fahrräder mit Pedalen wechseln. Viele Wege führen zu „low carbon“ – nicht nur „high tech“.

 

>>Zum Autor:

Christian Höller, Redakteur des VCÖ-Magazines, schreibt als freier Journalist vor allem zu den Themen Mobilität und Trinkwasser.

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