Opa, erzähl mir von Griechenland
Der Öffentliche Verkehr nach Fahrplan erweitert sich immer mehr zum öffentlich zugänglichen Verkehr. Das Smartphone wird zum Autoschlüssel und Bahnticket zugleich. Betreiber des Öffentlichen Verkehrs entwickeln sich zu Mobilitätsanbietern.
>> Von Christian Höller
Eltern und Großeltern erzählen dem Nachwuchs gerne die Abenteuer der eigenen Jugend, das sind heute auch die Autostopp-Reisen in den 1960er- und 1970er-Jahren nach Griechenland, Italien oder Spanien. Das selbstgemalte Schild „Paris“ oder „Florenz“ am Straßenrand den vorbeisausenden Autos entgegen-gehalten, als analoge Sucheingabe mit Aug-zu-Aug-Kommunikation, und los ging‘s. Mitfahrzentralen, Start ups der Vordigitale, die weniger spontane Reisewillige gegen Kostenbeteiligung an Autofahrende vermittelten, machten daraus bald ein Geschäftsmodell. Das stimulierte die Innovationskraft der europäischen Bahngesellschaften. Sie erfanden im Jahr 1972 Interrail, das günstige Bahnreisen für jugendliche Rucksacktouristen anbot. Heute eine sagenhafte Erfolgsgeschichte der Mobilität, die die europäischen Jugendlichen einander näher brachte, wie zuvor nur die Beatles, Rolling Stones und Bob Dylan.
Mobilität ständig neu definiert
Solche Innovationen verändern und transformieren Anspruch und Erwartung an das Reisen mit dem öffentlichen Personenverkehr als „jenem Teil des Verkehrs von Personen, der für jeden Menschen in der Bevölkerung zugänglich ist“ (Wikipedia). Die neuen Technologien Internet, Smartphone und Co. tragen rasant zu dieser Transformation bei. Das Jetzt und Sofort zugängliche Mobilitätsangebot ist die zentrale Anforderung. Digitale Verknüpfung der diversen Mobilitätsangebote auf Apps und immer dichtere digitale Information, immer öfter in Echtzeit, macht die diversen Angebote immer besser als Gesamtmobilität erkennbar und nutzbar. Das Smartphone ist Autoschlüssel und Bahn-ticket zugleich.
Innovation ist mehr als Technologie
Doch Innovation ist kein Synonym für Technologie. Es geht darum, das tägliche Leben einfacher zu machen. Technologie kann das unterstützen, am besten, wenn sie im Hintergrund dazu beiträgt. Beispiele dafür sind im Öffentlichen Verkehr die fortgesetzte Verbesserung der Taktverkehre, die rasches Umsteigen sichern, Anschlusssicherung in Echtzeit, Einrichtung zeitlich flexibler Bedarfsverkehre und Mikro-ÖV-Angebote, die Lücken in Schwachlastzeiten und bei der ersten und letzten Meile schließen. Oder Carsharing-Angebote und City-bike-Systeme als Zubringer und Ergänzung zum Öffentlichen Verkehr. Dass hier noch viel Potenzial ungenützt ist, zeigt etwa die in Österreich bisher nicht gelungene Verschmelzung des Ticketings im klassischen Öffentlichen Verkehr – wie etwa beim Generalabonnement in der Schweiz, das Züge, Busse und Stadtverkehre einschließt und seit Jahrzehnten der unerreichte Benchmark ist. Die digitalen Möglichkeiten sollten das ändern.
Individueller geht immer
Begriffe wandeln sich im Mobilitätsbereich auf mehrfacher Ebene. Individualisierung im Verkehr löst sich vom Besitz eines Fahrzeugs hin zu individuellen Wahlmöglichkeit unter den Angeboten, die digitale Plattformen sichtbar machen und verknüpfen. Barrierefreiheit meint nicht mehr nur Planung für Menschen mit Bewegungseinschränkungen, sondern die Beseitigung von Nutzungsbarrieren aller Art, etwa für ältere Menschen bei digitalen Diensten vom Ticket-automaten bis zur Mobilitätsplattform im Internet, Abbau undurchschaubarer Tarifsysteme und fehlende Lückenschlüsse für die erste und letzte Meile.
Koste es, was es wolle?
Doch auch die Hardware will gewartet sein. Straßen müssen auch in Zukunft erhalten und saniert werden, auch damit die Firma Uber private Autofahrenden vernetzen und mit ihnen Geld machen kann. Bahnstrecken, Loks, Waggons und Busse müssen erhalten und erneuert werden. Die digitale Verknüpfung auf Plattformen findet ihre Entsprechung in der gebauten Infrastruktur, etwa die Verknüpfung von Bahn, Bus, Car- und Bikesharing an Knotenpunkten wie Bahnhöfen und Haltestellen. Anbieter des Öffentlichen Verkehrs werden zu Mobilitätsanbietern. Auch der Begriff der Kostenwahrheit durchläuft einen Wandel. Neu zu definieren ist, welche Kosten wem zuzuordnen sind. Wer streift die Gewinne aus der digitalen Vernetzung des Angebotes ein, das andere bereitstellen? Welche Regeln und Steuern braucht es dazu?
>>Zum Autor:
Christian Höller, Redakteur des VCÖ-Magazins, schreibt als freier Journalist vor allem zu den Themen Mobilität und Trinkwasser.