Statements: Klima findet Stadt

Anna Lisa Boni

secretary general of Eurocities, einem Netzwerk von über 130 Städten aus 35 Ländern Europas. www.eurocities.eu

„Da 75 Prozent der Bevölkerung Europas in Städten leben, arbeiten und täglich unterwegs sind, dürfen wir es uns nicht erlauben, die Städte als Teil eines globalen Klima-Abkommens zu übersehen. Städtische Mobilität spielt dabei eine große Rolle und der Klimagipfel in Paris ist eine Gelegenheit zu überdenken, wie wir in den Städten mobil sind. In den Städten Europas ist es vordringlich, einen Wechsel zu mehr nachhaltigen Mobilitätsmöglichkeiten zu fördern, also zu Öffentlichem Verkehr, Radfahren und Gehen. Kopenhagen beispielsweise hat ein hochentwickeltes Netz von „Cycle Super Highways“, um die Menschen anzuregen, mit dem Rad auch über längere Distanzen in die Arbeit oder Schule zu pendeln. In Mailand hat eine Stau-Maut-Zone in der Stadt Staus und Luftverschmutzung reduziert und zu mehr nachhaltiger Mobilität geführt. Eurocities ist ein Netzwerk für Städte zum Austausch von Ideen und Erfahrungen. Angesichts der wachsenden Urbanisierung ist es jetzt an der Zeit für die Städte, weltweit Erfahrungen und Fehler auszutauschen, damit sie voneinander lernen können.“

Liselotte Plesner

Botschafterin Dänemarks in Österreich

VCÖ-Magazin: Die Diensträder der dänischen Botschaft in Wien erregen Aufsehen – verstehen Sie sich als Botschafterin für das Radfahren?
Plesner: Radfahren ist praktisch, flexibel, in der Stadt häufig das schnellste Verkehrsmittel und kommt gleichzeitig dem Klima zugute. Unsere rot-weißen Diensträder sind ein integrierter Teil der Botschaft und Ständigen Vertretung Dänemarks in Wien und jeden Tag im Einsatz. Wir haben in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt, als wir damit etwa zum Neujahrsempfang beim Bundespräsidenten fuhren. Der Bundespräsident kann sich auch diesmal wieder auf einen Besuch auf zwei Rädern freuen – hoffentlich wird die Fahrradkolonne dieses Jahr noch länger.

VCÖ-Magazin: Ist Fahrradförderung in Dänemark eine Klimaschutzmaßnahme?
Plesner: Kopenhagen will bis zum Jahr 2025 die erste CO2-neutrale Hauptstadt der Welt sein. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen unter anderem bis zum Jahr 2025 etwa 75 Prozent aller Wege in der Stadt zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Öffentlichen Verkehr zurückgelegt werden. Und die dänische Hauptstadt ist schon gut dabei: Es gibt bereits 400 Kilometer Fahrradwege und täglich werden 1,27 Millionen Kilometer mit dem Rad gefahren – so werden der Stadt und dem Klima jährlich mindestens 110.000 Tonnen CO2 erspart. Nicht ohne Grund wird Dänemarks Fahrradkultur oft als „best practice“-Beispiel genannt.

Alexandra Reinagl

Geschäftsführerin für -Finanzen und Personal, Wiener Linien

„Den Klimawandel werden wir nicht auf der Landstraße zwischen schrumpfenden Ortschaften oder im Fernreiseverkehr auf der Autobahn einbremsen, sondern in den urbanen Zentren. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in Städten, Tendenz steigend. Eine klimafreundliche urbane Mobilität ist deshalb der Schlüssel für eine lebenswerte Zukunft, der Öffentliche Verkehr ihr Hauptträger. In Wien werden bereits 39 Prozent der Wege mit U-Bahn, Bim und Bus bestritten. Bald gibt es gleich viele Jahreskarten wie Auto-Zulassungsscheine – ein absoluter Spitzenwert und großer Erfolg. Unser Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 die Fahrgastmilliarde zu knacken. Grundvoraussetzung dafür ist ein öffentliches Verkehrsnetz, das schnell, zuverlässig und sicher ist. Durch Infrastruktur-Investitionen im Gleichklang mit gutem Service versuchen die Wiener Linien, ein attraktives Mobilitätsangebot zu schaffen. Wir investieren laufend in unser Netz, verdichten Intervalle, verlängern bestehende Strecken und schaffen neue Verbindungen. Auch unser Fuhrpark wird immer jünger. Das macht sich in mehrerlei Hinsicht bezahlt – für unsere Fahrgäste und für die Umwelt. Aber es braucht noch mehr: die intelligente Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger, etwa mit der Wien-Mobil-Karte als Jahreskarte mit ergänzenden Angeboten im Bereich Car- und Bikesharing.“

Klaus Garstenauer

Leiter ÖBB-Personenverkehr Nah- und Regional

VCÖ-Magazin: Hilft Bahnfahren  gegen den Klimawandel?
Garstenauer: Ja, denn Bahnfahrende schützen die Umwelt. Der Pkw produziert pro Fahrgast 12-mal mehr, ein Flugzeug 13-mal mehr schädliche CO2-Emissionen als die Bahn. Im Vergleich zum Jahr 2006 konnten die ÖBB ihre Treibhausgas-Emissionen um rund 35 Prozent – also 187.201 Tonnen CO2 – reduzieren. Das entspricht den CO2-Emissionen von etwa 49.000 Privathaushalten. Das gelang unter anderem mit erneuerbaren Energieträgern beim Traktionsstrom, Effizienzsteigerungen, Technologien wie Rückspeisebremsen sowie energiesparender Fahrweise bei Bahn und Postbus. Zugleich verzeichneten die ÖBB ein Plus von über 26 Millionen Fahrgästen.

VCÖ-Magazin: Wo sehen die ÖBB weiteres Potenzial?
Garstenauer: Um noch mehr Menschen für die Bahn zu begeistern, arbeiten wir konsequent an der Umsetzung eines dichten, leicht merkbaren Zug-Angebots mit optimalen Umsteigeverbindungen zwischen Nah- und Fernverkehr – dem sogenannten -Integrierten Taktfahrplan. Ganz wesentlich dafür sind die S-Bahn-Systeme in den österreichischen Ballungsräumen, die in der Hauptverkehrszeit zumindest halbstündliche Zugverbindungen bieten. Parallel dazu modernisieren wir das Wagenmaterial. In den letzten zehn Jahren haben die ÖBB über 2 Milliarden Euro in neue Züge investiert. Für den Nah- und Regionalverkehr wurden neue Doppelstockwagen sowie Desiro- und Talent-Züge beschafft. Im Fernverkehr brachte der Einsatz des Railjet einen spürbaren Komfortschub für die Fahrgäste. Nun folgt ab Dezember 2015 im Nah- und Regionalverkehr mit dem ÖBB Cityjet der nächste Schritt. Die modernen Züge sind maßkonfektioniert für den österreichischen Bahnverkehr und den Einsatz in den Regionen. Sie setzen im europäischen Vergleich neue Standards im Nahverkehr. Die ÖBB bieten ihren Fahrgästen damit eine der modernsten Zugflotten Europas.

Greg Archer

Clean Vehicles Manager bei T&E Transport & Environment in Brüssel (der VCÖ ist T&E-Mitglied)

„Die Städte und ihre Verkehrsemissionen haben großen Einfluss auf den Klimawandel. Wir müssen die Menschen anregen, ihre Fahrzeuge verantwortungsbewusster zu nutzen und sie durch City-Mauten von unnötigen Autofahrten abhalten. Mehr Öffentlicher Verkehr, Gehen und Radfahren sowie das Umsteigen auf die energieeffizienteren Elektro-Autos reduzieren Luftverschmutzung und CO2-Emissionen. Beim Güterverkehr müssen verstärkt elektrische kleine Nutzfahrzeuge und die am wenigsten belastenden Lkw, die Euro-6-Lkw, eingesetzt werden. Es muss teurer werden, mit alten, schmutzigen, unnötig großen, oft fast leeren Fahrzeugen in die Stadt zu liefern. Angesichts des VW-Abgas-Skandals würde mich sehr verwundern, wenn nicht auch Vans, für die dieselben Limits gelten, und kleine Nutzfahrzeuge verwickelt sind und im realen Straßenverkehr noch höhere NOx-Emissionen haben als Pkw. Beim Klimagipfel in Paris wird es extrem wichtig sein, dass es dort endlich gelingt, die Emissionen aus dem Flug- und Schiffsverkehr verbindlich zu reduzieren. Denn diese müssen global geregelt werden.“

Martin zur Nedden

Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer difu Deutsches Institut für Urbanistik

„Städtische Agglomerationen sind wesentliche Mitverursacher des Klimawandels und bieten gleichzeitig erhebliche Potenziale zur Umsteuerung. Zu diesen Potenzialen gehört die Entwicklung nachhaltiger städtischer Verkehrssysteme. Dabei geht es nicht nur um die Minderung von Schadstoffemissionen, sondern auch um die Wiedergewinnung eines qualitätsvollen städtischen Raumes. Kompakte Stadtstrukturen, deren Siedlungsflächen an leistungs-fähigen Linien des -Öffentlichen Verkehrs orientiert sind, sowie integrierte Strategie- und Maßnahmenkonzepte sind wichtige Voraus-setzungen für den Erfolg. Vorrangiges Ziel muss es sein, den Modal-Split zu Gunsten von Öffentlichem Verkehr, Fahrrad und Gehen zu verändern. Wichtig dabei ist, sowohl die einzelnen Komponenten als auch die neuen Möglichkeiten digitaler Informations- und Kommunikationstechnik zu verknüpfen. Carsharing kann eine Ergänzungsfunktion übernehmen. Zu einem attraktiven, integrierten Verkehrssystem der Zukunft gehört ferner angesichts des demografischen Wandels seine altersgerechte, barrierefreie, zumindest barrierearme Ausgestaltung. Der Öffentliche Verkehr ist die effizienteste Form der Elektro-Mobilität, er muss daher Vorrang vor dem Elektro-Pkw erhalten.“

Zurück zur Übersicht