Urbanes Grün im Klimawandel
Die Städte leiden besonders an den zunehmenden Hitzetagen als Auswirkung der Klimakrise. Kühlendes Wasser
und Stadtgrün konkurrieren auf, unter und über der Erde um den engen urbanen Raum, vor allem mit dem zu viel
Platz beanspruchenden Kfz-Verkehr.
Von Alfred R. Benesch
Kein Immobilien-Projekt, kein Stadt-Selfie ohne Grün im Vorder- oder Hintergrund. Eine Fülle unscharfer Begriffe, wie Sustainable Design & Green Building, klimaresilienter Stadtumbau, Überflutungs- und Hitzevorsorge, grüne, blaue und graue Infrastruktur, thematisieren die unumgängliche Anpassung unserer Städte an die Erderhitzung und die großen Erwartungen in kühlendes Grün.
Wege zu mehr Stadtgrün
Öffentliche Parks, private Garten-Grünräume, Grün auf Plätzen, entlang von Verkehrswegen und Fließgewässern, als vertikales Grün an Gebäuden und Infrastruktur, als horizontales Grün auf Dächern – urbanes Grün in den Kernstädten kennt viele Ausprägungen. Tatsächlich schrumpft aber das urbane Grün nach wie vor substanziell. Daher suchen wissenschaftliche Institutionen, Stadtverwaltungen und Planungsdisziplinen fieberhaft nach Strategien zur Anpassung von Städten an den Klimawandel. Ausgehend von der Österreichischen Anpassungsstrategie 2012 gibt es in vier Bundesländern – Oberösterreich, Salzburg, Steiermark und Vorarlberg – bereits eigene Strategien. In den Landeshauptstädten Innsbruck und Linz sind gesamtheitliche Strategien in Arbeit. Wien baut auf den „Urban Heat Island Strategie Plan 2015“ und Graz hat den Aktionsplan 2018–22. In Deutschland hat jede zweite der 76 Städte über 100.000 Einwohnenden regionale Klimawandelvorsorgestrategien und klimawandelgerechte Stadtentwicklungsansätze, teilweise seit mehr als zehn Jahren. Urbanes Grün ist dabei immer zentraler Faktor, um klimaresiliente Stadtstrukturen zu schaffen. Die Umsetzung beginnt aber erst.
Flächenkonkurrenz als planerische Herausforderung
Da eine Fülle von Nutzungen in den öffentlichen Freiräumen untergebracht werden muss, ist die größte planerische Herausforderung die Flächenkonkurrenz. Ein Baum benötigt bei der Pflanzung Wurzelraum von mindestens 12 m3 (bei 1,5 m Tiefe) und etwa 8 m2 Fläche, mit 30 Jahren bereits etwa 36 m3 und 20 m2. Ein stehendes Auto braucht 13,5 m2, ein mit 50 km/h fahrendes 140 m2. „Wir leben mit Sicherheit von der Substanz“, konstatiert Werner Münzker, im Magistrat der Landeshauptstadt Linz für Stadtgrün und Straßenbetreuung zuständig. „Die durchschnittliche Lebensdauer von Stadtbäumen beträgt 20- bis 30, maximal 40 Jahre. Hinzu kommt, dass Jungbäume oft zwei- bis dreimal ausgetauscht werden, bis sie wirklich anwachsen. Zusätzlich sind Verkehrsunfälle, speziell für Jungbäume in der Stadt, meist letal.“ Ein weiteres Problem sind Umplanungen. Nicht selten ist es „nur“ eine Abbiegespur, die die 20- bis 30-jährigen Bäume das Leben kostet. Das heißt, fast alle alten Bäume, die klimaaktiv sind, gibt es nur aus der Zeit vor der großflächigen Versiegelung für den Kfz-Verkehr. Sollen in Zukunft Bäume wieder älter werden können, so müssen entsprechende Flächen und Kubaturen zur Verfügung stehen, an der Oberfläche, im Untergrund und im Luftraum, wo sich die städtische Infrastruktur überall explosionsartig ausbreitet.
Integriertes Planen statt Restflächennutzung
Kombiniert mit dem nachhaltigen Umgang mit Oberflächenwasser, etwa dem Rückhalt und verzögertem Abfluss des Regens für Pflanzen, wie im Konzept „Schwammstadt“, ergibt sich noch mehr Flächenbedarf für grüne und blaue Infrastruktur als Grundbedingung klimaresilienter Städte. Fördernde Maßnahmen müssen daher alle Planungs- und Handlungsebenen umfassen und bereits in die städtebauliche Entwicklung eingebunden werden, mit einem Grünraum- und Landschaftskonzept als Vorgabe, interdisziplinärem Planen statt zuerst Verkehrsplanung und dann Restflächennutzung. Zudem braucht es neue Regularien, wie etwa den „Grünflächenfaktor“ mit Kenngrößen zur Sicherung urbaner Freiräume und von Grün bei der Bebauung, wie er an der Universität für Bodenkultur Boku für Wien entwickelt wurde. Grün muss fix in Bebauungsplänen verankert werden, wie etwa in Linz mit einem Großbaum pro fünf Stellplätzen.
Ebenso wichtig sind Bottomup Ansätze im Kleinen
Vorhandene kommunale Handlungsspielräume und Potenziale gezielt nutzen, etwa für Maßnahmen im geförderten oder stadteigenen Wohnbau, ist wichtig, wie das etwa in Wien die „Green up your City“-Studie der Boku zur Fassaden- und Dachbegrünung vorschlägt. Und ebenso unverzichtbar sind Bottom-up-Ansätze, „grüne“ Maßnahmen aus der Bevölkerung und basisdemokratisches Handeln anzuregen. In den USA etwa werden Handbücher und Checklisten für mehr urbanes Grün vom US-Umweltamt online frei zur Verfügung gestellt. Damit die gelegte Basis fruchten kann, muss der Grünanteil in der Stadt budgetär dotiert werden, um den Stadtgarten-Verwaltungen die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten zu geben.