Verena Konrad direkt gefragt
„Autonomie und Verantwortung gehören zusammen.“
Unter dem Generalthema „Freespace“ steht die Architektur-Biennale 2018 in Venedig. Mit der Kuratorin und Kommissärin des Österreich-Pavillon Verena Konrad, sprach das VCÖ-Magazin über den Umgang der Architektur mit dem Öffentlichen Raum und die mangelhafte Interaktion der Architektur mit der Mobilität, die sich dort abspielt.
VCÖ-Magazin: Das Generalthema der Biennale in Venedig ist „Freespace“. Wie sind Sie im Österreich-Pavillon an das Thema herangegangen – eher metaphorisch oder auch alltagskonkret? Setzt der Österreich-Pavillon (Denk-)Anstöße zum Umgang mit dem öffentlichen Raum?
Verena Konrad: Wir haben uns auf das Manifest bezogen, das Shelley McNamara und Yvonne Farrell von Grafton Architects, die beiden Kuratorinnen der Architektur-Biennale 2018, verfasst, und damit den inhaltlichen Rahmen abgesteckt haben. Sprache ist alltagsrelevant und metaphorisch zugleich. Auch Raum erzeugt spezifische, „harte“ Wirklichkeiten und kann gleichzeitig poetisch wirken. Wir haben uns, angeregt durch die Haltung von Shelley McNamara und Yvonne Farrell, auf den kulturellen Anspruch von Architektur bezogen und damit auch eine Kritik an einer rein ökonomischen Auffassung von Architektur geübt. Daraus resultieren viele gedankliche Figuren, die hoffentlich zu Diskussionen anregen.
„Schönheit zu erleben, ist ein menschliches Grundbedürfnis.“
Sie beschreiben die Umsetzung des Biennale-Themas „Freespace“ im Österreich-Pavillon unter anderem als „wandlungsfähige Sphäre, geprägt durch Koexistenz.“ Wie lässt sich „wandlungsfähige Sphäre, geprägt durch Koexistenz“ in den Öffentlichen Raum bringen, der von Nutzungskonkurrenz – etwa den Mobilitätsformen – und zunehmendem Kommerzialisierungsdruck geprägt ist?
Durch ein Bekenntnis für Qualität. Es liegt in der Natur der Sache, dass sich innerhalb eines Projektes nicht alle Ansprüche unterschiedlichster Interessensgruppen realisieren lassen. Mit einem Blick von oben, gedacht auf längere Zeiträume und größere, auch sozialräumliche Kontexte – wie etwa das Quartier – entsteht eine neues Bild und auch das Gefühl von Verantwortung, in einen bestehenden Kontext etwas Neues einzufügen, das gute Entwicklungen ermöglicht. Marta Schreieck und Dieter Henke haben das in ihrem Beitrag im Österreich-Pavillon räumlich ausformuliert, indem sie aus ihrem Credo: „das eingestellte Objekt erschließt den Gesamtraum“ eine begehbare Konstruktion gemacht haben, die auch den Blick auf das Umfeld ermöglicht. LAAC haben diese Idee ausformuliert, indem ihre Sphäre das Segment einer Kugel darstellt, die sich teilweise körperlich, teilweise imaginär als 1:50.000 Modell der Erde entpuppt. Mit dieser maßstäblichen Verkleinerung ist es möglich, sich aus dem kleinräumlichen Kontext herauszuzoomen, es entsteht ein „big picture“, und das eigene Tun neu zu reflektieren. Welche Spuren hinterlassen wir in dieser Welt? Stefan Sagmeister und Jessica Walsh nehmen auf den Aspekt der Kommerzialisierung Bezug, indem sie ästhetische Qualität in der Gestaltung unserer Lebensräume mit einem eigenen Manifest einfordern. Reine Effizienz ist zu wenig. Kultur ist Ausdruck des Menschseins, allein und in Gemeinschaft. Schönheit zu erleben, ist ein menschliches Grundbedürfnis.
„Freiheit hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit Verantwortung.“
Freiraum sei nur dann gut genutzt, wenn er dem Individuum ermöglicht, autonom zu agieren, schreiben Sie. Was braucht es, dass öffentlicher Raum Freiraum in diesem Sinn wird? Autonomes Agieren geht rasch zu Lasten anderer.
Freiheit hat nichts mit Egoismus zu tun, sondern mit Verantwortung. Autonomie und Verantwortung gehören zusammen. Ein Subjekt, das verantwortlich agiert und sich im Sinn der eigenen Teilhabe als Teil von etwas erkennt, etwa von Gemeinschaft oder Gesellschaft, kann nicht nur konsumieren, sondern gestaltet durch Nutzung Lebensraum mit. Das ist sehr abstrakt. Aber es trifft den Kern. Freiräume bleiben nur dann dauerhaft bestehen, wenn sich Nutzerinnen und Nutzer verantwortlich verhalten. Wer Freiräume haben will, muss damit selbst etwas tun und etwas einbringen. Hier geht es nicht darum, Geschenke abzuräumen. Es geht in dieser Auffassung nicht darum, was die Gesellschaft mir gibt, sondern darum, was ich einbringen kann.
„Mobilität ist ein wichtiges Thema, für alle, die sich mit der Gestaltung von Lebensraum beschäftigen.“
Ist ein Wandel des Umgangs der Architektur mit dem Öffentlichen Raum zu beobachten? Ist die Mobilität, die sich vor allem im Öffentlichen Raum abspielt, Thema von Architektinnen und Architekten – etwa auch bei der Architektur-Biennale in Venedig?
Ich denke, dass es diese Aufmerksamkeit in Fachkreisen, also auch bei Architektinnen und Architekten, schon längst gibt. Wo sich der Wandel deutlich zeigt, ist in der öffentlichen Wahrnehmung selbst. Die Öffentlichkeit entdeckt sich gerade als solche selbst. Aktuell bekommen demokratiepolitische Themen mehr Aufmerksamkeit, weil Demokratie immer wieder in Frage gestellt wird. Der öffentliche Raum bekommt mehr Aufmerksamkeit, weil er unter Druck steht im Sinn einseitiger Vereinnahmungen. Es ist der Mangel, die Bedrohung, die diese Aufmerksamkeit erzeugt. Ja, Mobilität ist ein wichtiges Thema, für alle, die sich mit der Gestaltung von Lebensraum beschäftigen. Daher auch bei der Biennale. Wir planen für Menschen und Menschen bewegen sich. Die politische Dimension dieser Arbeit ist vielen jedoch unklar. Arbeitsprozesse sind vielfach zu Dienstleistungsprozessen geworden und an die Vermarktung von Produkten gebunden. Das ist einerseits unumgänglich, verstellt aber auch den Blick auf das große Ganze.
„Die fehlende Gestaltung des (semi-)öffentlichen Raums verhindert Urbanität.“
Architektur scheint aber immer noch stark gebäudebezogen, und interagiert erstaunlich wenig mit dem anschließenden öffentlichen Raum, auch selten mit der Mobilität, die dort stattfindet – und die im Gebäude beginnt.
Ich sehe hier dringenden Handlungsbedarf. Bei politischen Verantwortlichen, der Verwaltung, Planerinnen und Planern, Investoren, Projektentwicklern. Die fehlende Gestaltung des (semi-)öffentlichen Raums verhindert Urbanität. Wer lebendige Quartiere will, investiert in sozialräumliche Qualität und ja, auch in Schönheit.
„Raumplanung, Stadtplanung und Architektur agieren als verschiedene Sprachsysteme, die in sich geschlossen sind.“
Dauerhaft brisant sind die Verknüpfung von Architektur mit Stadtplanung und Raumplanung, die Qualität öffentlicher Räume, haben Sie mal formuliert. Wo liegt diese Brisanz – ist sie mehr Chance oder Problem?
Die Verknüpfung dieser Bereiche ist eine große Herausforderung, aber unumgänglich. Sie sollte bewusst gestaltet sein und nicht am Ende als Kollateralschaden Realität werden. Raumplanung, Stadtplanung und Architektur agieren als verschiedene Sprachsysteme, die in sich geschlossen sind. Es gibt – Ausnahmen bestätigen die Regel – ein großes Unbehagen und Unverständnis dieser Disziplinen zueinander. Ein Abschieben von Verantwortung. Fehlenden Austausch. Es wird zukünftig Aufgabe der Universitäten und Berufsvereinigungen sein, diesen Austausch aktiv zu fördern und einzufordern. Förderung kann auch dadurch gelingen, den negativen Druck auf diese Akteurinnen und Akteure zu verringern.
„Das eigene Tun und Handeln kritisch reflektieren zu können, sollte die Basis von Expertentum sein.“
Wenn Architektur eine gesellschaftliche Dimension haben soll, dann muss man auch in der Lage sein, die eigene Arbeit zu versprachlichen, haben Sie formuliert – und dass Sie da ein großes Defizit sehen. Dieses Defizit der Versprachlichung – besteht es auch in Bezug auf die vielen Themenfelder, mit denen Architektur in Wechselwirkung steht, wie eben Stadt- und Raumplanung und Verkehrsgestaltung? Wenn ja – wie diese Sprachlosigkeit lösen?
Ja, ich sehe hier wirklich ein Defizit. Zum einen geht es darum, das miteinander Sprechen zu kultivieren. Dafür braucht es gute, moderierte Angebote und Zeitfenster. Zum anderen geht es auch darum, außerhalb der eigenen Fachsprache und Darstellungsmethoden komplexe Inhalte gut vermitteln zu lernen. Das ist Aufgabe der Universitäten, die sich im Bereich der Architekturtheorie noch mehr engagieren sollten. Baugeschichte und Architekturtheorie sollten keine Wahl- und Freifächer sein und brauchen mehr Raum, damit junge Gestalterinnen und Gestalter intellektuell wachsen können. Das eigene Tun und Handeln kritisch reflektieren zu können, sollte die Basis von Expertentum sein – und das in einer verständlichen Sprache. Architektur ist nicht nur das realisierte Gebäude, sondern auch der Prozess, der dorthin führt.
Das Gespräch führte Christian Höller.
Verena Konrad, Kuratorin, Theoretikerin und Kulturmanagerin, Kunsthistorikerin, ist Direktorin des Vorarlberger Architektur Institut vai und kuratiert als Österreich-Kommissärin den Österreich-Pavillon bei der Architektur-Biennale 2018 in Venedig zum Thema „Freiraum - wie wird mit öffentlichem Raum umgegangen?“ Die Architektur-Biennale 2018 in Venedig ist bis 25. November 2018 geöffnet. v-a-i.at