Verkehrsberuhigung ist international erfolgreich

Foto der Altstadt von Oslo

Ob in Oslo, Grenoble oder Konstanz: Verkehrsberuhigende Maßnahmen machen Europas Innenstädte zunehmend autofrei und damit lebenswerter. Und auch die Treibhausgas-Emissionen sinken.

Von Doris Neubauer

Rund 400 Kilometer lange Radwege ziehen sich durch die französische Alpenstadt Grenoble. 40 Kilomater davon sind „Chronovélo”-Achsen, eigens markierte und baulich abgegrenzte Radfahrspuren, die breiter sind als manche Autospur. Für verkehrsberuhigende Maßnahmen wie diese gewann die Stadt mit 158.000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Jahr 2022 den Titel „Europäische Grüne Hauptstadt“. Dadurch sollen die Treibhausgas-Emissionen bis zum Jahr 2050 halbiert werden. Grenoble ist auf einem guten Weg: Schon in den ersten zehn Jahren der Bemühungen sanken sie um ein Viertel.

Verkehrsberuhigende Maßnahmen brachten auch in Oslo, das die Auszeichnung drei Jahre zuvor erhielt, erhebliche Verbesserungen: Seit dem Jahr 2009 sanken die CO2-Emissionen von 1,44 Millionen Tonnen auf 1,14 Millionen Tonnen. „Das Jahr 2019 war zudem das erste in der modernen Geschichte, in dem in Oslo keine Fußgängerinnen und Fußgänger sowie Radfahrende bei Unfällen ums Leben kamen“, sagt Rune Gjøs, Leiter der Mobilitätsabteilung der Agentur für städtische Umwelt in Oslo. Im Jahr 2023 konnte die Stadt mit rund 710.000 Einwohnenden diesen Erfolg wiederholen. Auch die Zahl der beim Gehen und Radfahren im Straßenverkehr schwer Verletzten sinkt. „Gleichzeitig nimmt der Anteil von Gehen und Radfahren an der Mobilität zu“, ergänzt Gjøs.

Gehen und Radfahren stärken

„Gehen liegt in unserer DNA“, sagt Gjøs: Schon im Jahr 1975 wurde die 1,5 Kilometer lange Haupt- und Prachtstraße „Karl Johan“ zur Fußgängerzone erklärt. Heute besteht mit rund 30 Prozent ein großer Teil der täglichen Mobilität aus Gehen. Ungefähr 40 Prozent entfallen auf den öffentlichen Nahverkehr, knapp unter zehn Prozent auf das Fahrrad. Der Autoverkehr spielt im Modal Split mit rund 20 Prozent dagegen eine untergeordnete Rolle und soll bis zum Jahr 2030 um weitere zehn Prozentpunkte reduziert werden.

In den Außenbezirken und im Süden Oslos sei die Stadt von diesem Ziel noch weit entfernt, räumt Gjøs ein. Das Zentrum der rasant wachsenden norwegischen Hauptstadt gilt dagegen bereits als autofrei. Zu verdanken ist dies dem im Jahr 2016 von der Stadtregierung initiierten „The Car-free Livability Programme“: Binnen vier Jahren sollte die Stadt grüner, lebendiger und lebenswerter werden. Schon damals war der Anteil der ins Zentrum pendelnden Autos niedrig. Trotzdem stieß der Plan auf Widerstand, vor allem bei Unternehmen. „Heute sind sie es, die Fußgängerzonen fordern“, schmunzelt der Verkehrsexperte. Anstatt das Programm sofort auszurollen, wurden die Maßnahmen schrittweise umgesetzt: „So konnten sich die Leute an das Neue gewöhnen. Sie sahen, dass es funktioniert und einen Mehrwert bringt“, sagt Gjøs.

In drei Phasen wurden über 1.000 Straßenparkplätze durch Fahrradwege, Fußgängerzonen, Grünflächen, Kinderspielplätze oder Bänke ersetzt. Einige Straßen wurden zu autofreien Zonen erklärt, mit Ausnahmen für Einsatzfahrzeuge, Menschen mit Behinderung und Lieferwagen. „Alle Straßen haben eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Kilometern pro Stunde und Bremsschwellen“, sagt Gjøs und betont, wie wichtig es sei, den Verkehr sicherer zu machen. Entscheidend sei auch, ein „starkes, erschwingliches öffentliches Verkehrssystem“ anzubieten, sagt er: „Denn eine autofreie Stadt, die nicht zugänglich ist, funktioniert nicht.“

Ziel: Erste emissionsfreie Stadt im Jahr 2030

Oslo gilt heute als Vorbild für andere Städte, hat aber schon das nächste Ziel vor Augen: Bis zum Jahr 2030 will es die erste emissionsfreie Stadt der Welt sein. „Im Februar 2025 wollen wir unsere erste ganzheitliche Mobilitätsstrategie vorstellen“, verrät Gjøs. Einen „Masterplan Mobilität 2020+“ hat die deutsche Stadt Konstanz am Bodensee schon seit dem Jahr 2013. „Unser Hauptproblem ist der Zielverkehr”, erklärt Stephan Fischer, Leiter der strategischen Verkehrsplanung der Stadt, die besondere Lage. Während nur 25 Prozent der rund 87.000 Konstanzerinnen und Konstanzer in der Innenstadt mit dem Pkw unterwegs sind und in Konstanz nur 422 Pkw auf 1.000 Personen kommen, nutzen viele Einkaufende von außerhalb das Auto. Hinzu kommen Touristinnen und Touristen, die wegen der schlechten Bahn-Anbindung mit dem Auto anreisen. „30 Prozent des Verkehrs am Bahnhofsplatz war unnötiger Durchgangsverkehr“, nennt Fischer ein Beispiel. Um hier zu einer Beruhigung beizutragen, hat der Gemeinderat im Jahr 2014 entschieden, den Platz für Pkw zu sperren und damit eine neue Flaniermeile für Fußgängerinnen und Fußgänger zu schaffen.

Ausbau alternativer Angebote

Seit Mai 2023 ist die Umgestaltung im Gang. Werden im nächsten Jahr die Bauarbeiten abgeschlossen, löst das aber nur einen Teil der Verkehrsprobleme. „Die nachhaltige Mobilitätsstrategie der Stadt Konstanz ist wie ein Kleeblatt: Vier Blätter mit einem Stiel“, zeichnet der Verkehrsplaner ein einprägsames Bild des Maßnahmenpakets. Zur Bewirtschaftung des Parkraums sieht die Klimaschutzstrategie der Stadt beispielsweise vor, die Parkgebühren bis ins Jahr 2035 auf das Sechsfache zu erhöhen und Langzeitparkende in Parkhäuser zu lotsen. Um Staus vor diesen zu verhindern und generell für einen geregelten Straßenverkehr zu sorgen, soll ab dem Jahr 2026/27 ein digitales Verkehrsmanagement zum Einsatz kommen.

Der Öffentliche Verkehr ist ein weiteres Blatt: „Schon jetzt haben wir pro Tag 500 Busse am Bahnhof, wir fahren im 15-Minuten-Takt bis in zwölf Kilometer entfernte Vororte der Stadt”, schildert Fischer, „aber es gibt noch Potenzial für Verbesserung.“ So sei der neue Fernbusbahnhof noch nicht ideal angeschlossen. Der Ausbau könnte über eine Nahverkehrsabgabe durch die Kommunen und Landkreise, wie sie das Land Baden-Württemberg überlegt, finanziert werden, denn: „Allein mit Parkgebühren lässt sich der Öffentliche Nahverkehr nicht finanzieren“, kennt Fischer die Herausforderung. Zusätzlich setzt die Stadt Konstanz auf den Ausbau alternativer Angebote wie Carsharing oder Mietfahrräder: „Wir haben derzeit 60 Carsharing-Autos auf 87.000 Einwohnende, das ist viel zu wenig. Wir brauchen eines pro 100 Einwohnende. Das ist mein visionäres Ziel. Das Wesentliche ist, zu erreichen, dass die Menschen nicht den Gedanken haben: ‚Wo ist der Autoschlüssel, sondern welche Möglichkeiten habe ich, um bequem ans Ziel zu kommen?‘ Dafür lässt sich viel tun. Wenn ich Angebote zur Verfügung stelle, dann krieg ich die Verkehrswende hin”, ist Stephan Fischer überzeugt.

Er fordert von der Politik, die öffentliche Hand müsse Kommunen die Möglichkeiten geben, attraktive Angebote für den Öffentlichen Verkehr und für Carsharing zu machen. Erst dann, so der Verkehrsplaner, würde Klimaschutz wirklich ernstgenommen.

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