Fünf Umsteiger von Auto auf Bahn und Rad
„Dass ich da nicht früher draufgekommen bin“
Das Bedürfnis nach mehr Bewegung, das sicher verwahrte Fahrrad am Zielbahnhof, ein beruflich angeregtes Neudenken der persönlichen Mobilität, ein auf den Schichtbeginn maßgeschneidertes Busangebot, ein optimierter Taktverkehr: Auslöser, mit Bahn und Bus zu fahren, können sehr unterschiedlich sein – und werden von angenehmen Nebeneffekten verstärkt.
Der Blick aus dem Fenster verspricht einen sonnigen Morgen. Astrid Huber schlüpft in ihre Inline Skates und tritt um 6.30 Uhr aus dem Haus. Zügig skatet sie los. Sie atmet kräftig durch, genießt die erfrischende Kühle vom Wasser herauf, als sie auf den Radweg entlang des Flusses einbiegt und Fahrt aufnimmt. Nach neun Kilometern hat die Kärntnerin den Bahnhof erreicht, steigt in den Zug und fährt weiter nach St. Michael ob Bleiburg zu ih rem Arbeitsplatz bei der Firma Mahle Filtersysteme Austria. „Über zehn Jahre bin ich mit dem Auto in die Arbeit gefahren. Das Unbehagen, zu wenig körperliche Bewegung zu machen, gab dann vor sechs Jahren den Anstoß, mir das Mehr an Bewegung auf dem Arbeitsweg zu holen. Jetzt gehe ich die 1,8 Kilometer zu unserem Bahnhof oder skate gleich bis zum nächsten. Die Bahnverbindung war damals mit Stundentakt schon recht gut.“ Die Gleitzeit in der Arbeit erleichterte den Umstieg zusätzlich. Ihr Auto hat sie damals verkauft und ist froh darüber: „Zweimal habe ich in den zehn Jahren als Autofahrerin wirklich gefährliche Situationen erlebt, wo ich fast ‚abgeschossen‘ wurde“, erinnert sie sich. Wenn sie heute einmal ein Auto braucht, regelt sie das im familiären Carsharing mit den beiden erwachsenen Söhnen.
Habe mich sofort um eine Fahrradbox beworben
Szenenwechsel. Salzburg Hauptbahnhof. Ein gediegen, lässig gekleideter Mittvierziger holt sein Fahrrad aus einer Fahrradbox. „Als vor zwei, drei Jahren die neue Fahrradstation Schallmoos am Salzburger Hauptbahnhof eröffnet wurde, habe ich mich sofort um eine Fahrradbox beworben. Ich wohne in Bayern drüben und fahre mit der Bahn 23 Minuten bis Salzburg, wo ich in der Innenstadt mein Männerkaufhaus betreibe“, erzählt Christof Nothaft. „Ich habe eine Monatskarte, der Zug fährt im Stundentakt die Berge entlang einer der landschaftlich schönsten Bahnstrecken überhaupt! Ich schaue raus oder lese Zeitung – das ist total entspannend. Früher bin ich teilweise mit dem Auto gefahren, teilweise hatte ich in Salzburg ein Fahrrad abgestellt. Als mir das zweite Rad, ein schönes Waffenrad, gestohlen wurde, hat es mir gereicht. Nein, eigentlich schon vorher, der Autoverkehrswahnsinn auf der Straße, die Aggressivität, die Parkplatzsuche.“ Er schließt die Fahrradbox, steigt auf sein Fahrrad und radelt los.
Zeit im Zug, Zeit zum „Runterkommen“
Im Railjet von Vöcklabruck nach Salzburg sitzt Franz Huemer. „Ich wohne in Seewalchen am Attersee. Seit 40 Jahren arbeite ich in Salzburg. Bis vor drei Jahren bin ich die 65 Kilometer mit dem Auto gefahren. Doch das Autofahren ist heute extrem stressig geworden und ich bin auf die Bahn umgestiegen. Die zehn Kilometer zwischen Seewalchen und Vöcklabruck fahre ich mit der Regionalbahn, bei Schönwetter mit einem klei- nen Motor-Roller, da bin ich schneller. Dort steige ich in den Railjet ein. So bin ich etwa 75 bis 100 Minuten unterwegs – mit dem Auto waren es 40 bis 50 Minuten – das ist für mich akzeptabel. Ich schätze die Zeit im Zug, die ist eigentlich schon Freizeit. Ich nütze sie, um mich über das Tagesgeschehen zu informieren, wenn nötig, erledige ich online private Bankgeschäfte oder Ähnliches. Abends ermöglicht mir die Zeit im Zug von meinem fordernden Beruf ‚runterzukommen‘.“ In der Fahrradstation am Hauptbahnhof Salzburg hat Franz Huemer ein altes Fahrrad stehen – für die eineinhalb Kilometer zur Arbeit reicht das. „Mein Auto, das Zweitauto der Familie, das ich nur für die Fahrt zur Arbeit benutzt habe, habe ich verkauft. Heute wundere ich mich, warum ich nicht früher draufgekommen bin.“ Zum Paradigmenwechsel in seiner persönlichen Mobilität habe sicher auch sein Beruf beigetragen. „Als Smart City-Koordinator der Stadt Salzburg habe ich mich viel mit umweltverträglicher Mobilität beschäftigt – und wollte nicht länger Wasser predigen und Wein trinken.“
Regionalbahn und Fernverkehrszug perfekt getaktet
Paudorf nahe Krems, viel Grün, Weingärten künden von der hier beginnenden Wachau. Ideal für eine junge Familie mit Kindern. „Wir sind vor etwa eineinhalb Jahren aus Wien hier raus gezogen“, erzählt Susanna Hauptmann, die in Wien bei Kapsch TrafficCom arbeitet. „Drei Jahre lang haben wir gesucht, bis wir was Passendes gefunden haben, nämlich ein Haus, von dem aus mein Mann und ich öffentlich nach Wien zur Arbeit fahren können. Meist starten wir morgens gemeinsam. Die vier Kilometer zum Bahnhof mit dem Auto, dann mit der Regionalbahn nach St. Pölten, dort in den Railjet nach Wien. Die fünf Minuten Umsteigezeit sind perfekt getaktet. In der Früh hat der Regionalzug Halbstundentakt, über den Tag dann Stundentakt – das passt gut. Die Fahrzeit mit dem Zug ist etwa gleich lang, wie sie mit dem Auto wäre. Im Zug aber kann ich mit meinem Mann – wir haben drei Kinder – die Organisation unserer Familie besprechen. Könnten wir nicht den Zug nutzen, müssten wir mit zwei Autos nach Wien fahren, da wir zu unterschiedlichen Zeiten heimfahren und deshalb eine Fahrgemeinschaft nicht möglich wäre.“ Eines ärgert sie: Wenn bei der Rückfahrt der Regionalzug in St. Pölten bei einer Verspätung des Railjets aus Wien nicht wartet und sie dann eine halbe oder ganze Stunde warten muss. „Oft müsste er ja nur ein paar Minuten mehr warten und das wäre für einen Regionalzug durchaus gerechtfertigt“, ist sie überzeugt, steigt doch der Großteil der Fahrgäste des Regionalzugs aus dem Railjet um und sei daher ähnlich betroffen.
Jetzt ist mir das Wetter egal
In Lunz am See im Voralpenland fährt keine Bahn mehr. Und Busverbindungen? „In der Freizeit fahre ich mit dem Pkw. Da sind die Bus-Fahrzeiten mit etwa Zweistunden-Takt zu umständlich“, winkt Gerhard Schmid ab. Und doch, für den Weg zur Arbeit hat ihn ein passendes Angebot umsteigen lassen. „Im Jahr 2010 habe ich bei der Firma Welser Profile Austria in Gresten zu arbeiten begonnen“, erinnert er sich. „Damals wurden Linienbus-Verbindungen zwischen Lunz und Gresten – ausgerichtet auf den Schichtbeginn der Firma Welser – eingeführt. Für mich war das perfekt. Ich habe mir das durchgerechnet: Mit dem Auto wäre mir allein der Treibstoff teurer gekommen als die Jahreskarte. Jetzt ist mir das Wetter egal. Ich setze mich für die halbe Stunde Fahrzeit in den warmen Bus. Liegt Schnee, legt der Busfahrer die Schneeketten an und nicht ich.´Zweimal ist uns ein Reh in den Bus gelaufen – beim eigenen Auto hätte der Wildschaden etwa so viel gekostet wie die Jahreskarte. Und mit der entspannenden Rückfahrt nach Schichtende, komme ich ausgeruht heim.“ Den sonst nötigen Zweitwagen in der Familie habe er so einsparen können. Die Auslöser für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel können also vielfältig und individuell sehr unterschiedlich sein. Ein attraktives öffentlich zugängliches Angebot ist allerdings in jedem Fall die gemeinsame Voraussetzung, ohne eigenes Auto mobil sein zu können.