Viele Wege führen zu leistbarer Mobilität für alle

Mobilitätsgarantie in Baden-Württemberg: 15-Minuten-Takt in Ballungsräumen und 30-Minuten-Takt im ländlichen Raum, ergänzt durch flexible On-Demand-Angebote.

Das Ziel von Österreichs Bundesregierung heißt „Umweltfreundliche, leistbare Mobilität für alle”. Wie Mobilitätsbedürfnisse ohne eigenen Pkw zu erfüllen sind, wird hierzulande wie auch bei den deutschen Nachbarn in Theorie und Praxis erforscht.

Von Doris Neubauer

Etwa 20 Prozent aller Menschen in Österreich sind außerhalb von Schultagen nicht an den Öffentlichen Nahverkehr angebunden, wenn täglich vier Abfahrten pro Richtung oder maximal 1,25 Kilometer Entfernung zu einem Angebot im Öffentlichen Verkehr zugrunde gelegt wird. „Wir sprechen von 1,78 Millionen Menschen“, präzisiert Takeru Shibayama vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien. An Schultagen sind es 15,4 Prozent. Besonders am Land gibt es viel zu tun, um die im Regierungsprogramm festgelegte „umweltfreundliche, leistbare Mobilität für alle in Stadt und Land“ zu erreichen. Was es braucht, um die Mobilitätsbedürfnisse ohne eigenen Pkw zu erfüllen sowie Klimaneutralität im Personenverkehr bis zum Jahr 2040 zu erreichen, hat ein Forschungsteam unter Shibayamas Koordination im Projekt Flademo untersucht.

Flächendeckend Mobilitätsservice garantieren

Allein das Angebot im Öffentlichen Verkehr zu verbessern reicht nicht. „Wir sprechen im Projekt Flademo von flächendeckender Mobilitätsservice-Garantie. ‚Service‘ weist darauf hin, dass dabei neue Mobilitätsdienstleistungen sowie digital gestützte Dienste eine große Rolle spielen“, erklärt Walter Wasner vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, das Flademo im Programm „Mobilität der Zukunft“ finanziert hat. Sharing-Lösungen und Mikro-ÖV sind genauso wichtig wie Gehen und Radfahren. Um die Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse voranzutreiben, sind viele Fragen zu klären. „Wie definieren wir ,Garantie’, und wie muss diese ausgestaltet werden, um die Klimaziele zu erreichen? Was heißt das für die öffentliche Hand und wie kann die Finanzierung aussehen? Wie lässt sich eine flächendeckende Mobilitätsservice-Garantie rechtlich abbilden?“, nennt Wasner einige.

Szenarien für das Jahr 2040

Die Analysen des interdisziplinären Forschungsteams liefern erste Antworten und leiten fünf Szenarien ab, wie flächendeckende Mobilitätsservice-Garantie im Jahr 2040 aussehen könnte - vom Ausbau der bewegungsaktiven Mobilität über kostenlose Angebote im Öffentlichen Verkehr kombiniert mit Maßnahmen, die den Pkw-Verkehr eindämmen. „Während diese genannten Szenarien die Klimaziele bis zum Jahr 2040 erreichen, weil die Pkw-Fahrleistung sinkt, bringt das ebenfalls untersuchte Carpooling einen Rebound- Effekt“, erklärt Shibayama. „Hier geht in den ersten Jahren die Pkw-Fahrleistung nach unten, durch die attraktive Pkw-Nutzung steigt sie danach aber stark an.“ Werde nur auf bewegungsaktive Mobilität gesetzt, seien wiederum die Mobilitätsbedürfnisse von Älteren, Behinderten oder Kindern nicht abzudecken. „Um sozialpolitische Ziele und Klimaziele zu erfüllen, ist die Kombination aus verbesserter aktiver Mobilität, gutem Öffentlichen Verkehr und Maßnahmen gegen die Pkw-Nutzung am besten“, meint der Wissenschaftler. Allerdings brauche es noch Detailanalysen sowie konkrete Maßnahmen. „Wir müssen rascher ins Tun kommen und Praxiserfahrungen aufbauen“, unterstreicht auch Walter Wasner vom BMK, „nicht nur in einem kleinen Testfeld, sondern großflächig.“

Fahrgastzahlen verdoppeln, Autonutzung reduzieren

Nachdem der ÖPNV-Report 2020 des deutschen Bundeslandes Baden-Württemberg den Status quo des Öffentlichen Personenverkehrs aufgezeigt hatte, erarbeitete eine Kommission von Fachleuten die Grundlage für die ÖPNV-Strategie 2030. Um die Fahrgastzahlen zu verdoppeln und den Autoverkehr in Stadt wie Land um ein Fünftel zu senken, setzt das Bundesland insbesondere auf Mobilitätsgarantie und Mobilitätspass. „Wir haben gesehen, dass unsere Vergleichsregionen Schweiz und Vorarlberg ein dichteres Angebot fahren als Baden-Württemberg. Es zeigte sich ein Zusammenhang zwischen Angebotsdichte und Marktanteil des Öffentlichen Verkehrs“, fasst Michael Öhmann vom Ministerium für Verkehr in Baden-Württemberg zusammen, „deshalb war klar, dass wir eine flächendeckende Mobilitätsgarantie schaffen müssen.“ Zwischen fünf und 24 Uhr sollen Ortschaften in denen mindestens 100 Menschen wohnen, in Ballungsräumen im 15-Minuten-Takt und im ländlichen Raum im 30-Minuten-Takt Anschluss haben. Bis zum Jahr 2026 soll dieser Ausbau in einer ersten Stufe innerhalb der Hauptverkehrszeit realisiert sein. In Zeiten und Räumen mit schwacher Nachfrage ergänzen flexible On-Demand-Angebote. Die Finanzierung der Mobilitätsgarantie und die in der ÖPNV-Strategie vorgesehene Verbesserung des Öffentlichen Verkehrs wird nur mit zusätzlichen Mitteln des Bundes, des Landes und der Kommunen gelingen. Öhmann: „Die Kommunen brauchen neue Finanzierungsinstrumente.“ Ein solches ist der Mobilitätspass. Mehrere Varianten - eine Straßennutzungsgebühr, eine Nahverkehrsabgabe für alle dort Wohnenden, die einen Pkw halten, eine Abgabe für Arbeitgebende - stehen den Kommunen zur Wahl. „Alle Varianten haben den Charme, dass die Höhe des Beitrags als Mobilitätsguthaben zum Kauf von Zeitkarten für den Öffentlichen Verkehr zur Verfügung steht“, so Öhmann. Eine wichtige Funktion des Passes sei, mehr Menschen zum Umstieg vom Auto auf den Öffentlichen Verkehr zu bewegen. Mit den zweckgebundenen Einnahmen aus dem Mobilitätspass können die Kommunen den Öffentlichen Verkehr deutlich verbessern. Die rechtlichen Grundlagen dafür werden aktuell ausgearbeitet. Im Herbst 2022 soll das Gesetzgebungsverfahren starten. „Wir arbeiten an einem Umsetzungsleitfaden und stehen den Kommunen beratend und unterstützend zur Seite“, erklärt Michael Öhmann.

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