Von Zwentendorf zur dritten Piste

Das VCÖ-Magazin sprach mit Politikwissenschafter Ulrich Brand über die Globalisierung unserer imperialen Lebensweise und die verpasste Chance „dritte Piste“.

Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Gemeinsam mit Markus Wissen verfasste er das analytische Buch „Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“ (oekom-Verlag München 2017)

VCÖ-Magazin: Ihr neues Buch heißt „Imperiale Lebensweise“.
Warum haben Sie gerade diesen Begriff gewählt und nicht etwa „schädliche“ oder „egoistische“ Lebensweise? 

Ulrich Brand: Es wurde bewusst ein Begriff gewählt, der dieses Ausgreifende, auf die billigen Ressourcen und billige Arbeitskraft andernorts Zugreifende benennt. Und da ist die Semantik des Imperialen am stärksten und am provokativsten. Unser Alltag basiert darauf, dass wir systematisch auf Ausbeutung von billiger Natur und billiger Arbeitskraft angewiesen sind. Das erzeugt Handlungsfähigkeit und materiellen Wohlstand, aber gleichzeitig Zerstörung und Dominanzverhältnisse. 

VCÖ-Magazin: In dieser Form leben wir in den früh industrialisierten Staaten schon lange. Was ist das Neue, um jetzt ein Buch darüber zu schreiben? 

Ulrich Brand: Neu ist, dass diese Lebensweise immer deutlicher an ökologische Grenzen stößt. Das zweite Neue ist, dass sich diese Lebensweise über den Aufstieg von Schwellenländern wie China oder Brasilien ganz dynamisch auch im globalen Süden in der Bevölkerung verallgemeinert. Diese Staaten werden nun zu Akteuren, weil sie selbst wohlhabende Mittelschichten und große Unternehmen haben, die an dieser Aufteilung der Welt teilhaben wollen. Es gibt zunehmend Spannungen, etwa um Landbesitz in Osteuropa oder in Afrika. Und im Globalisierungsprozess, gerade durch die Digitalisierung mit ihrem hohen Ressourcenverbrauch, vertieft sich diese Lebensweise auch im globalen Norden. Wir haben systematisch mehr Zugriff auf Ressourcen, auf High-Tech-Geräte, aber auch auf T-Shirts, Autos und anderes, das im globalen Süden durch billige Arbeitskräfte produziert wird.

VCÖ-Magazin: Grundsätzlich profitieren wir ja alle von dieser imperialen Lebensweise. 

Ulrich Brand: Es leben aber nicht alle gleich, es gibt auch innerhalb Österreichs große Unterschiede. Studien zeigen, die Größe des ökologischen Fußabdrucks ist nicht vom Bewusstsein abhängig, sondern vom Einkommen. Wer ein höheres Einkommen hat, kann vermehrt auf jene Produkte und Dienstleistungen zugreifen, die unter sozial und ökologisch problematischen Bedingungen entstehen. Wenn wir eine solidarische Mobilität wollen, also einen Umbau des Verkehrssystems oder auch einen Umbau des Ernährungssystems zu ökologischer Landwirtschaft oder einen Umbau der Städte hin zu solidarischen, ökologischen Städten, dann steht dem diese imperiale Lebensweise entgegen. Wir sind in unserem Buch aber nicht defätistisch oder zynisch. Es geht auch darum, die Umkämpftheit aufzuzeigen. Änderungen entstehen sehr stark über Konflikte, über das Aufzeigen von Alternativen. Stichwort: dritte Piste, Stichwort: Mariahilfer Straße. 

VCÖ-Magazin: Die Umwelt-Rhetorik verwenden alle – von der Politik bis zur Wirtschaft. Aber wird es ernst, wie bei der dritten Piste für den Flughafen Wien, dann ist Schluss mit lustig. 

Ulrich Brand: Der Flughafen Wien-Schwechat hatte im Jahr 2014 einePistenauslastung von 55 Prozent. Welche Chance für die Politik, im Februar 2017 nach dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil zur dritten Piste zu sagen: „Ihr habt Recht mit eurer Entscheidung, begründet mit dem Instabil-Werden des Klimas!“ Überlegen Sie sich, was sich in der Gesellschaft getan hätte! Was hat sich durch Zwentendorf und durch Hainburg getan? Vom Rand her gab es Kritik an einem Atomkraftwerk, an einem Wasserkraftwerk. Und über diese emblematischen, ikonischen Konflikte ist eine Selbstverständlichkeit in der Gesellschaft Österreichs verändert worden: Nein zur Atomkraft – das ist heute großer Konsens, und auch dass wir die Donau nicht weiter verbauen dürfen. Ich würde mir wünschen, dass wir in fünf Jahren sagen könnten, der Konflikt um die dritte Piste war auch so ein zentraler Konflikt – nicht nur wegen der dritten Piste, sondern als gesellschaftliche Selbstverständigung darüber, wie bewegen wir uns, was ist unsere Form der Mobilität. Warum ist es nötig, in Europa zu fliegen? Warum werden Nachtzüge eingeschränkt oder gar abgeschafft? Ich bin nicht naiv, ich weiß, dass viele Menschen fliegen wollen. Aber es gibt auch andere Wünsche und es ist geboten, den Flugverkehr deutlich einzuschränken. 

VCÖ-Magazin: Ist bewusster Konsum eine Lösung? 

Ulrich Brand: Verantwortungsvoller Konsum ist wichtig, das inkludiert auch bewussten Nicht-Konsum und nicht alles haben wollen. Und zwar nicht als Zwang oder wegen Armut, sondern als bewusste Entscheidung. Aber es reicht nicht, das Konsumverhalten zu ändern, es müssen die Produktionsweisen verändert werden. Heute ist die Absicherung der imperialen, nicht der ökologischen Lebensweise Kerngeschäft der Politik, Stichwort: dritte Piste, Stichwort: Freihandelsabkommen. Aber es sind auch politische Entscheidungen, ob es guten Öffentlichen Verkehr und Radwege gibt. Wer Mobilität sagt, denkt meist an freiwillige Mobilität, an Freiheitsgewinn. Doch wir haben auch viel erzwungene Mobilität. Etwa wenn die Mieten in Wien steigen und Menschen wegziehen müssen. Es braucht also Raumstruktur- und Siedlungspolitiken, Wohnungsbau und Mietpreisbindung, die Menschen eben nicht in erzwungene Mobilität drängen. Der Begriff der erzwungenen Alltagsmobilität müsste viel stärker diskutiert werden.

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