Vorrang für Busse und Straßenbahnen in Städten

Vorrang bei den Ampeln, eigene Busspuren, freie Gleiskörper und das Streichen von Pkw-Stellplätzen: Maßnahmen wie diese machen Bus, Straßenbahn und andere öffentliche Verkehrsmittel schneller, zuverlässiger und damit attraktiver.
Von Doris Neubauer
Als in den frühen Morgenstunden des 11. September 2024 ein großer Teil der Dresdner Carolabrücke in die Elbe stürzte, schien das Verkehrschaos vorprogrammiert. Eine wichtige Verkehrsader der sächsischen Landeshauptstadt war blockiert. Der Kfz-Verkehr verlagerte sich notgedrungen auf andere innerstädtische Elbquerungen wie die Marienbrücke: Doch dort fahren zwei Straßenbahnlinien, die durch die Auto-Massen behindert wurden. „Ausgerechnet im Adventsverkehr mussten wir uns entscheiden, den Kfz-Verkehr zu beschneiden, um den Gleisbereich freizuhalten“, beschreibt Frank Fiedler vom Dresdner Amt für Stadtplanung und Mobilität die Situation. Fünf Wochen lang fiel eine der beiden Fahrspuren stadteinwärts für Autos weg, die Straßenbahn hatte ihren eigenen Gleiskörper. Es hat funktioniert: „Wir hatten im Öffentlichen Verkehr die höchsten Fahrgastzahlen aller Zeiten, der Advent lief super: Trotz eingestürzter Brücke waren die Adventsmärkte so gut besucht wie nie“, freut sich Fiedler. Im Frühjahr wird über eine dauerhafte Umsetzung entschieden.
Das Gleiche gilt für die Einführung einer Umweltspur im Dresdner Stadtteil Altcotta. Der Umbau einer Kfz- zu einer Bus- und Radspur ergab bei einem Verkehrsversuch zwar eine leichte Reisezeitverzögerung von 53 bis 76 Sekunden für den Pkw-Verkehr, bei den Linien 70 und 80 kam es allerdings zu einer Beschleunigung in der Rushhour und einer Stabilisierung der Fahrzeiten.
Dresden beschleunigt den ÖV
An der Verbesserung der Schnelligkeit und Zuverlässigkeit der öffentlichen Verkehrsmittel arbeitet Fiedlers Team in Dresden laufend – auch aus ökonomischen Gründen. „Wir fahren in Dresden im Zehn-Minuten-Takt“, erklärt er. „Wenn es uns gelingt, den bisherigen Umlauf von elf Straßenbahnfahrzeugen auf zehn zu verringern, sparen wir mehr als 100.000 Euro im Jahr. Manche Linien sind knapp davor. Wenn wir bei ihnen zwei Minuten rausholen können, sparen wir einen Zug ein“, betont Fiedler. Im Großen sei das aber nicht einfach, denn es gäbe zwar auch in einer historisch gewachsenen Stadt ein „gewisses Skalierungspotenzial und etwa 15 bis 20 Stellen, wo das gelingen kann.“ Die Beschleunigung komme dennoch an ihre Grenzen. „Selbst wenn wir es überall hinbekämen, dass es keine Verzögerung an den Ampelanlagen gibt, ist der Bereich um 25 Stundenkilometer die höchstmögliche mittlere Reisegeschwindigkeit“, hat der Experte berechnen lassen. Aber „wenn mehr Leute mitfahren, verlängert das die Fahrgast-Wechselzeiten. Und wenn sich für die Bahn ein Rückstau im Kfz-Verkehr auf die nächste Kreuzung bildet, über die die Bahn muss, ist auch dem Öffentlichen Verkehr nicht geholfen.“ Für ihn steht deshalb fest: „Wenn wir die Verkehrsmenge im Kfz-Bereich nicht reduzieren, sind wir am Ende der Fahnenstange angekommen.“
Weniger Verkehr in Basel
Im Schweizer Kanton Basel-Stadt ist genau das per Gesetz vorgegeben: Um bis zum Jahr 2037 klimaneutral zu werden, soll der Autoverkehr um ein Drittel reduziert werden. Vor allem beim Pendelverkehr aus dem und ins Umland der Grenzregion gibt es Luft nach oben. Angesichts des gut ausgebauten Tram- und Busnetzes, des seit Jahren stark anwachsenden Radverkehrs und des stetigen Rückgangs des Pkw-Verkehrs auf den Stadtstraßen ist das Verbesserungspotenzial innerhalb des Kantons Basel-Stadt geringer. Trotzdem wird am öffentlichen Nahverkehr geschraubt, sagt Alain Groff, Leiter Mobilität des Bau- und Verkehrsdepartements des Kantons Basel-Stadt, denn „die Trams sind im Vergleich zu Straßenbahnen in Deutschland eher langsam unterwegs.“ Durchschnittlich 16 Kilometer pro Stunde legen sie zurück, so der Experte, Busse sind mit rund 18 Kilometer pro Stunde etwas schneller.
Wichtiger als die Fahrgeschwindigkeit im innerstädtischen Öffentlichen Verkehr sei aber die Stabilität des Angebots, „damit der Umstieg von der Tram auf den Bus verlässlich klappt“, meint Groff. Große Zeitverluste durch Wartezeiten an Kreuzungen oder im Stau würden diese Stabilität beeinträchtigen, denn so gingen schnell einmal „20 und mehr Sekunden verloren.“
Zur Beschleunigung des Öffentlichen Verkehrs trug in den vergangenen Jahren eine Maßnahme bei, die primär die Sicherheit der Radfahrenden erhöhen sollte: Damit diese sich nicht mehr zwischen Autos und Tramgleisen durchmogeln mussten, wurden hunderte Parkplätze entlang der Tramstrecken aufgehoben. Angenehmer Nebeneffekt ist, dass auch der Tramverkehr jetzt nicht mehr durch einparkende Fahrzeuge behindert oder durch „unsauber“ geparkte Autos blockiert wird. Zudem setzt Basel seit den 1980er-Jahren auf die Priorisierung der öffentlichen Verkehrsmittel an den allesamt verkehrsabhängig gesteuerten Lichtsignalanlagen. Maßnahmen, die für andere Städte als Vorbild dienen können.
Da in Basel in dieser Hinsicht kaum noch Optimierungen möglich sind, überlegt das Bau- und Verkehrsdepartement, die eine oder andere Linie um die Innenstadt herum zu führen. „Wir haben ein sehr, sehr dicht befahrenes Netz. Über den zentralen Abschnitt auf dem Marktplatz fahren sieben Linien – alle im 7,5-Minuten-Takt“, erklärt er, „da stehen sich die Trams oft gegenseitig im Weg.“ Stattdessen sollen mit kurzen Lückenschlüssen im Netz neue Direktverbindungen angeboten werden. „Konkrete Projekte befinden sich seit Jahren in der Pipeline“, weiß Groff, „da fehlt aber noch die politische Entscheidung, dass diese Streckenabschnitte gebaut werden. Das würde dem Öffentlichen Verkehr im Rückgrat des Netzes Luft zum Atmen bringen.“
Intelligentes C-ITS-System für Öffentlichen Verkehr in Graz
Die Luft zum Atmen können auch „Cooperative Intelligent Transport Systems“ (C-ITS) bringen, wie sie etwa in Graz bereits implementiert sind. Straßenbahnen und Busse kommunizieren dabei automatisiert nicht nur mit den Ampeln. So erfahren sie, wie lange es noch bis zur nächsten Grünphase dauert. Dann passen sie die Geschwindigkeit oder die Zeit an den Haltestellen entsprechend an. Die automatisierte Kommunikation ermöglicht es auch, dass die Straßenbahnen und Busse einander über Staus informieren. Bis zum Ende des Jahres 2025 soll das C-ITS in allen Bussen und Straßenbahnen der steirischen Landeshauptstadt eingesetzt werden. 90 der 316 Ampeln sind bereits mit dem System ausgestattet. In den Niederlanden ist ein ähnliches System seit sieben Jahren in Gebrauch – mit Erfolg: Studien zeigen, dass Fahrzeiten priorisierter Fahrzeuge wie Rettungswägen um zehn Prozent reduziert wurden. Auch die Tests in Graz stimmen positiv, heißt es seitens des Grazer Straßenamtes. Dass automatisiertes, vorausschauendes Fahren die Treibhausgas-Emissionen verringert, ist ein nennenswerter Nebeneffekt.