Wenn Wohnen mobil macht
Wie das Wohnumfeld gestaltet wird, hat großen Einfluss darauf, ob es Menschen einfach gemacht wird, klimaverträglich und energiesparend mobil zu sein. Beispielgebende Lösungen dazu werden beim VCÖ-Mobilitätspreis immer wieder ausgezeichnet. Gleich ob Krummnussbaum oder Wien – die Beispiele machen Schule und regen zur Nachahmung an.
Von Bernhard Hachleitner
Der VCÖ-Mobilitätspreis war der Hebel, mit dem wir unsere Bahnstation wieder zurückbekommen haben“, erzählt Bernhard Kerndler, Bürgermeister der niederösterreichischen Gemeinde Krummnußbaum. Kurz vor der Verleihung des Preises im August 2015 war die Bahnstation wegen zu geringer Frequenz aufgelassen worden. Dabei ging es beim Projekt um die Entwicklung eines Ortszentrums rund um die Bahnstation. Kerndler kam mit dem bei der Verleihung anwesenden Manager der ÖBB-Infrastruktur ins Gespräch und schilderte ihm die Situation. „Ich habe ihm gesagt, ich würde den Preis am liebsten zurückgeben. Er versprach, die Situation noch einmal zu analysieren und hat es tatsächlich innerhalb von zwei Monaten geschafft, die Station wiedereröffnen zu lassen“, erzählt Kerndler. Im Juli 2021 erfolgte der Spatenstich für das neue Dorfzentrum: 28 barrierefreie Wohnungen, Gemeindeamt, Nahversorger samt Kaffeehaus, Frisiersalon und ein Veranstaltungsraum entstehen in unmittelbarer Nähe von Kirche, Feuerwehr, einem Gasthaus – und der Bahnstation. „Es hat mehrere Entwürfe und lange Verhandlungen gebraucht, bis ein für das Land darstellbares Projekt vorhanden war“, so Kerndler. Die gesetzlichen Vorgaben und Rahmenbedingungen sind schwierig. „Es geht dabei fast nur um Finanzielles. Es müsste auch in die Waagschale geworfen werden, dass Menschen ohne Auto wieder am Sozialleben teilnehmen können, dass mehr zu Fuß gegangen und mit dem Rad gefahren wird.“ Der VCÖ-Mobilitätspreis war als Bestätigung von außen bei diesen Verhandlungen hilfreich. Und er hat – zusammen mit anderen Preisen – Interesse an Krummnußbaum geweckt, das in der Folge sein Projekt in fast allen Bundesländern präsentiert hat. Die 1.500-Menschen-Gemeinde wurde auch eingeladen ihr Vorhaben bei der österreichischen Raumordnungskonferenz vorzustellen. Amtskolleginnen und Amtskollegen rufen bei Kerndler an und fragen um Tipps und Erfahrungen aus Krummnußbaum: „Ausdauer ist ganz wichtig, nicht nur bei der Frage der Finanzierung. Es geht darum zu überzeugen, die Bevölkerung, die Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer und alle anderen Involvierten. Allein schafft das eine Gemeindeverwaltung nicht. Die Bevölkerungsbeteiligung mit Fachleuten an der Seite war unverzichtbar.“
Siedlungen berechnen
Emrich Consulting, eine Firma mit viel Erfahrung im Bereich Raumplanung und Mediation, unterstützte Krummnußbaum bei der Umsetzung. Für die Entwicklung des „Energieausweises für Siedlungen“ hatte diese Firma im Jahr 2010 selbst den VCÖ-Mobilitätspreis erhalten. Ausgangspunkt war die Überlegung, dass ein Nullenergiehaus auf der grünen Wiese, das nur mit dem Auto erreichbar ist, nicht wirklich energiesparend sein kann. In der Rechnung fehlen der Energieaufwand und die Kosten für Mobilität, das gebaute Umfeld, die Erschließung und Grundstücksgrößen. „Wir haben ein Tool entwickelt, das diese Faktoren miteinbezieht und mit dem komplexe Sachverhalte verständlich dargestellt werden können“, erläutert Hans Emrich. Damit kann eine Gemeinde den besten Standort einer neuen Siedlung berechnen. Auftraggeber für den Energieausweis ist das Land Niederösterreich. „Der VCÖ-Mobilitätspreis stärkt auch die mutigen Entscheidungsverantwortlichen in der Verwaltung. Das hilft beim Einfädeln neuer Projekte“, weiß Hans Emrich. Ein Beispiel ist der Niederösterreichische InfrastrukturKostenKalkulator (NIKK). Um allgemein mehr Projekte dieser Art entstehen zu lassen, wäre es wichtig, „Plattformen für informellen Austausch zwischen Personen aus unterschiedlichen Bereichen zu schaffen, von denen ausgehend die Umsetzung erfolgt.“ So wie die Idee zum Energieausweis im informellen Rahmen – im Kaffeehaus – entstanden ist. Emrich: „Wir haben mit Hofrat Siegfried Kautz vom Land Niederösterreich auf einen Termin gewartet und dabei die ersten Überlegungen für den Energieausweis entwickelt.“
Garage finanziert Innovation
Aus der Kaffeehausstadt Wien kommt ein im Jahr 2014 mit dem VCÖ-Mobilitätspreis ausgezeichnetes Projekt: Der „Mobilitätsfonds aspern“. Er fördert nachhaltige Projekte wie Carsharing, einen Radverleih, sichere Abstellanlagen für Fahrräder und berät die Bewohnerinnen und Bewohner schon in der Einzugsphase in Hinblick auf Mobilität. Finanziert wird der Fonds durch die Abgaben aus Garagenerrichtung und Garagenbetrieb. „Der VCÖ-Mobilitätspreis war einerseits eine Bestärkung nach innen, dafür dass wir das gewagt haben“, sagt Lukas Lang von der Wien 3420 Aspern Development AG. Anderseits hatte der Preis auch Außenwirkung. „Die Stadt Wien hat für das Sonnwendviertel einen Mobilitätsfonds mit ganz ähnlicher Zielsetzung eingerichtet. Wir haben dabei unsere Erfahrungen weitergegeben. Interesse gab es auch aus Deutschland, etwa von der Lincoln-Siedlung in Darmstadt“, so Lang. Um es für Nachahmende in Österreich leichter zu machen, sollte die Stellplatzverordnung geändert werden. „Unsere Instrumente hängen stark mit Sammelgaragen zusammen. Diese einzurichten ist zwar möglich, doch der Modus ist sehr kompliziert. Eine Vereinfachung wäre hilfreich.“ Sein Wort in der Gesetzgebung Ohr.