Wie Verkehrsberuhigung gestalterisch gelingt

Die Straße nicht vom Auto her denken: Die Argentinierstraße in Wien soll im Herbst 2023 umgestaltet werden. Bei einer Abstimmung im Bezirk sprachen sich 85 Prozent dafür aus.

Für das Funktionieren von Begegnungszonen, Wohnstraßen oder Fahrradstraßen ist die Straßengestaltung ein entscheidender Faktor. Oft reichen dazu einfache Mittel. Partizipation und Information erhöhen die Akzeptanz der Maßnahmen.

Von Christopher Wurmdobler

Geteilter öffentlicher Raum, in dem alle Verkehrsteilnehmenden gleichberechtigt mit- und nebeneinander Platz haben. Klingt vernünftig. Seit dem Jahr 1960 gibt es in Österreich Wohnstraßen, im Jahr 2013 wurde die Begegnungszone eingeführt. Ob und wie diese Konzepte funktionieren hängt laut einer vom Kuratorium für Verkehrssicherheit in Auftrag gegebenen Studie ganz entscheidend von der Gestaltung ab.

Mehr als 70 Begegnungszonen in Österreich listet der Verein walk-space.at auf seiner Homepage auf. Sie finden sich mittlerweile nicht nur in urbanen Ballungsgebieten, sondern auch in ländlichen Gemeinden. Leobersdorf zum Beispiel, in Wiens südlichem Speckgürtelrand gelegen, hat bereits vor der offiziellen Einführung eine erhalten. Als im Jahr 2005 eine Umfahrungsstraße geplant wurde, beschloss die Gemeinde, die Hauptstraße verkehrsberuhigt zu gestalten, auch um das Zentrum neu zu beleben: Man räumte die einstige Ortsdurchfahrt auf, schleifte die Gehsteige und brachte mit – vor allem künstlerischen – Interventionen alle auf der Straße zusammen. Parken außerhalb gekennzeichneter Bereiche wird mit Betonkugeln verhindert, LED-Leuchten im Boden zeigen, wo sich Gehende sicher fühlen können, wie ein Mittelstreifen zieht sich ein Schriftband aus Metall durch den Ort, auf dem Leobersdorfs Errungenschaften, Zahlen und Fakten zu lesen sind – zumindest wenn mitten auf der Straße gegangen wird. Leobersdorf hat eben schon sehr früh eine Begegnungszone ausprobiert.

Farben und Muster auf Asphalt

Im Jahr 2018 bekam auch das steirische Trofaiach eine Begegnungszone, auffällig gestaltet vom ortsansässigen Architekturbüro Stingl-Enge. „Trofaiach war ein Straßendorf, das sich entlang der Hauptstraße entwickelt hat“, erzählt Architektin Alexandra Stingl-Enge. „Unser Ansinnen war, das ein bisschen zu brechen und die Hauptstraße in Teilbereichen mehr zu einem Platz zu machen. Dadurch, dass es keine Gehsteige gibt und alles mit einem Muster überzogen ist, eine Art Teppich ausgerollt wurde, wirkt es auch viel größer.“ Wer hier zu Fuß unterwegs ist hat nicht das Gefühl, sich am Straßenrand bewegen zu müssen. Im weiß gehaltenen Striche-Muster gibt es dennoch Markierungen in Rot, die Autofahrenden ihren Platz zuweisen, eine dezent angedeutete Fahrbahn.

Seit dem Umbau stieg die Frequenz an Fußgängerinnen und Fußgängern. Was auch damit zusammenhängt, dass andere Punkte an der Hauptstraße anders belebt sind. Die Busfrequenz in die Bezirkshauptstadt wurde erhöht. Und die Stadt hat den Ortskern mit „Inhalten“ gefüllt, mit der Übersiedelung der Musikschule zum Beispiel. Schräg vis-a-vis ist ein Bauernladen, eine Buchhandlung, ein Sportgeschäft, es gibt auch neu ein weiteres Wirtshaus im Ortskern. „Die Gestaltung und das Befüllen mit Inhalten müssen Hand in Hand gehen“, so Stingl-Enge. „Einerseits ist es wichtig, interessante Funktionen hereinzubringen, gleichzeitig muss das von einer Planung begleitet werden.“ Auch bei der Möblierung wurde eine erstaunliche Lösung gefunden: Bänke und Blumentröge sind nicht fix, sondern werden regelmäßig von der Gemeinde umgestellt, um ein neues Bild in den Ortskern zu bringen.

Wohnstraßen zum Leben erwecken

Den 220 Wiener Wohnstraßen widmet sich die Stadt- und Kulturinitiative space and place; sie will öffentlichen Raum zum Leben erwecken. „Am Anfang stand die Frage, was dieses Wohnstraßen-Schild überhaupt aussagen soll“, erzählt Brigitte Vettori, Stadtforscherin und Initiatorin von space and place.  Die StVO erlaubt etwas schwammig, dass man Wohnstraßen „betreten“ und dort „spielen“ darf. Die Gestaltung der Wohnstraßen lädt aber selten dazu ein.

Wie es mit einfachen Mitteln funktionieren kann, zeigt die Initiative. Der Begriff „Wohnen“ wurde hier wörtlich genommen: In einer ersten Aktion hat die Initiative in einer Wohnstraße mit Tape den Grundriss einer Wohnung auf den Asphalt gebracht, mit Möbeln und sogar mit einer Badewanne im „Badezimmer“ bestückt. Anwohnerinnen und Anwohner trafen sich am liebsten in der „Küche“ und machten bei Kaffee und Kuchen beim Wohnstraßen-Test mit. Bei weiteren Versuchen wurden erneut Möbel aufgestellt, wurde Schach gespielt, leise musiziert – und es funktionierte. Alle sollen jeden Tag und ohne weitere Genehmigung die Wohnstraße spontan nutzen können, so der Gedanke dahinter. „Die Anwohnerinnen und Anwohner sollen durch die Aktionen sehen, was möglich ist“, sagt Vettori. Nachahmung sei erwünscht. Die Lockdowns während der Corona-Pandemie hätten noch einmal gezeigt, wie wertvoll der öffentliche Raum für Stadtmenschen sei. „Es braucht eine Kultur des Wohnstraßenlebens“, ist sich Vettori sicher. „Je bekannter wird, wie wir die Wohnstraße nutzen können, desto mehr Menschen werden diesen öffentlichen Raum selbstverständlich nutzen.“ Allen voran Radfahrende und Gehende. Weil Autos, die dort parken oder verbotenerweise durchfahren, gibt es ohnehin zu viele.

Nicht vom Auto her denken

Was passiert, wenn die künftige Nutzung bereits in der Planungsphase partizipativ angegangen wird, zeigt die künftige Argentinierstraße in
Wien. Die wichtige Fahrradroute zwischen Hauptbahnhof und Innenstadt soll nach einer Abstimmung im Bezirk (85,5 Prozent sprachen sich dafür aus) zur begrünten Fahrradstraße werden. Zürich plant ebenfalls halbe-halbe; zumindest theoretisch. Dort startete im Jahr 2022 an der ETH ein visionäres Verkehrsforschungsprojekt, das die Straße prinzipiell nicht mehr vom Auto her denkt, sondern aus Sicht von E-Bikes und anderen Mikromobilien. Die Hälfte der Zürcher Straßenfläche soll dafür zur Radfahrspur umgestaltet werden, so die Vision der ETH für die Stadt.

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VCÖ: In Österreichs Landeshauptstädten ist Verkehr für ein Drittel der versiegelten Flächen verantwortlich

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Foto: Sarah Duit