Zusatznutzen dank neuer Mobilitätslösungen
Von Doris Neubauer
Der Wandel in Richtung nachhaltiger Mobilität ist in vollem Gang. Projekte rund um den Globus machen das Potenzial einer Transformation deutlich – für Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft.
Schlechte Luft, gefährliche Straßen – noch in den 1970er-Jahren war Amsterdam keine Ausnahme. Nach dem tödlichen Verkehrsunfall eines Kindes wurde die „Stop Kindermoord“-Bewegung gestartet. Eine breit angelegte und professionell durchgeführte Kampagne für mehr Verkehrssicherheit begann. Der erste Erfolg waren Verkehrsberuhigungen in Wohngebieten, in weiterer Folge wurde das Radwegnetz ausgebaut, mittlerweile hat es eine Länge von 32.000 Kilometern. Ein wichtiger Faktor bei dieser Entwicklung war das veränderte Bewusstsein, dass speziell Kinder und generell nichtmotorisierte Menschen vor Autos zu schützen sind, und dazu auch entsprechende Verkehrsinfrastruktur notwendig ist. Zusätzlich setzen die Niederlande heute auf Elektro-Fahrzeuge, um die innerstädtischen CO2-Emissionen bis zum Jahr 2025 um 45 Prozent gegenüber dem Jahr 2012 zu reduzieren. Innerstädtische Abgasgrenzen, Verbotszonen für emissionsstarke Fahrzeuge und Förderungen für Elektro-Fahrzeuge – durch Zuckerbrot und Peitsche sollen im Jahr 2040 ausschließlich E-Mobile und Fahrräder unterwegs sein. Nicht nur der Umwelt zuliebe: Forschende der Universität Utrecht berechneten, dass Radfahren die Resistenz gegen Krankheiten sowie die Lebenserwartung erhöht und gleichzeitig das Risiko für Herz-Kreislauf-Leiden sowie Diabetes senkt. Das hat auch Kostensenkungen im Gesundheitssystem zur Folge.
SBB – ein Unternehmen transformiert sich selbst
„Dank dem Leuchtturm-Projekt ,Bahn 2000‘ ist die Bahn in der Schweiz heute unumstritten“, ist Benedikt Weibel, langjähriger (1993–2006) Vorsitzender der Geschäftsleitung der Schweizerischen Bundesbahnen SBB, überzeugt, „das war bei meinem Antritt nicht so.“ Damals steckte das Unternehmen in einer heftigen Krise und musste Einschnitte vornehmen, wie Reduktion des Personalstandes und von Löhnen, um dann im Jahr 1998 vom Parlament – einstimmig – entschuldet zu werden. „Zum Glück hatten wir das Zukunftsprojekt ,Bahn 2000‘“, so Weibel. Sechs Milliarden Franken – damals etwa vier Milliarden Euro – wurden bis zum Jahr 2004 in die Infrastruktur der Schweizer Bahn gesteckt, um die Zugverbindungen zu beschleunigen, das Netz zu verdichten und die Gesamtwartezeit beim Umsteigen auf maximal 30 Minuten zu reduzieren. In Kooperation mit etwa 100 anderen Verkehrsunternehmen wurde eine „perfekte Transportkette“ geschaffen. „Das hat der Bahn bis heute ihr hohes Ansehen gesichert“, ist Weibel überzeugt. Der Bahn-Personenverkehr nehme jährlich um fünf Prozent zu.
Der Schulweg prägt das Mobilitätsverhalten
Zusammenarbeit war auch der Schlüssel zum Erfolg des Projekts „Weiki-Mobil“ in Niederösterreich, das im Jahr 2017 mit dem VCÖ-Mobilitätspreis Niederösterreich ausgezeichnet wurde. Mehr als 300 Schülerinnen und Schüler und 135 Eltern der Volksschule Weikersdorf, Lehrkräfte, Anrainerinnen und Anrainer sowie die Stadt Baden taten sich zusammen, um den Pkw-Verkehr vor der Schule zu reduzieren und den Schulweg sicherer zu gestalten. Maßnahmen dafür wurden im Unterricht erarbeitet sowie in Aktionswochen erprobt. „Die Schülerinnen und Schüler sollten sich nicht nur theoretisch mit Verkehr und Sicherheit auseinandersetzen, sondern draußen weiterplanen“, so Gerfried Koch vom „Energiereferat Baden“, „der Testlauf war ausschlaggebend für die Gemeinde, um festzustellen, was umsetzbar ist.“ Einiges hat im Probelauf überzeugt. Umgesetzt wurden vier sogenannte Pedibus-Linien, in denen die Kinder gesammelt von engagierten Eltern zu Fuß in die Schule begleitet werden. „Kiss & Go“-Zonen ermöglichen ein gefahrloses Aussteigen von Kindern, die mit dem Auto gebracht werden, von wo sie das letzte Stück zu Fuß zur Schule gehen können. Das entspannt die Verkehrssituation in unmittelbarer Schulnähe. Vor der Schule wurden Sitzbänke sowie ein Autobus-Wartehäuschen aufgestellt. „Meiner Wahrnehmung nach ist der Autoverkehr vor der Schule weniger, entspannter und ungefährlicher geworden“, freut sich Koch, dass das Projekt weitergeht. Im Jahr 2018 entscheidet der Elternverein im Baubeirat auch über den Umbau der Straße vor der Schule mit.
Gelebte Partizipation ermöglicht Veränderung
In Wolfurt in Vorarlberg wurde unter Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, „um Bewusstseinsbildung zu betreiben und die Bevölkerung einzubeziehen“, im Jahr 2013 ein Verkehrskonzept für die Gemeindestraßen erarbeitet und umgesetzt. Daraus resultierten Tempo 30 auf Nebenstraßen, vier Fahrradstraßen und Begegnungszonen. Verbesserungen für Radfahrende und Gehende ziehen sich seither als roter Faden durch neue Straßenbauvorhaben. „Koexistenz statt Dominanz war wesentlich“, erklärt Alexander Kuhn vom Büro Verkehrsingenieure Besch und Partner. „Aufgrund der gewachsenen Dorfstrukturen mit überwiegend engen Straßenräumen, wo nicht allen am Verkehr Teilnehmenden der erforderliche Raum gegeben werden kann, war die Unterstützung eines guten Miteinanders das oberste Ziel.“ Flüssiger Verkehr, mehr Sicherheit sowie weniger Emissionen waren weitere Parameter. Evaluierungen und Beobachtungen zeigen den Erfolg: Der Autoverkehr in den Wohngebieten wurde langsamer, der Radverkehr hat auch ohne eigene Radstreifen Raum und die Begegnungszone hat die Querung der Landesstraße erleichtert, ohne den Durchzugsverkehr maßgeblich zu behindern. Der Wolfurter Weg ist Beispiel dafür, dass eine Transformation hin zu klimaverträglichem Verkehr von der Bevölkerung mitgetragen wird, wenn sie die Möglichkeit erhält, sich einzubringen und den Zusatznutzen neben der Mobilität zu erkennen. Das bestätigt auch Ulla Rasmussen vom VCÖ: „Im Rahmen eines vom Klima- und Energiefonds unterstützten Projekts haben wir mehr als 50 Befragungen zu erfolgreichen Mobilitätsprojekten durchgeführt. Als ganz zentral hat sich der Zusatznutzen von Mobilitätsprojekten gezeigt. Sind die Beteiligten, wie regionale Unternehmen, Gemeindepolitik oder Schulen, überzeugt, dass die Projekte alltagstauglich sind und dass sie davon profitieren, dann hat das Projekt nicht nur gute Chancen auf Verwirklichung, sondern auch auf einen nachhaltigen Erfolg. Zusatznutzen sind beispielsweise Imagegewinn oder Steigerung des Bekanntheitsgrades der Gemeinde, der Unternehmen oder der Tourismusregion, wirtschaftlicher Erfolg der lokalen Betriebe, weniger Krankheitstage der Beschäftigten, aufmerksamere und damit lernfähigere Schülerinnen und Schüler oder auch einfach das gute Gefühl, dass ,sich etwas tut im Ort‘.“