VCÖ-Fachkonferenz: Aktuelles Verkehrssystem schränkt Mobilität vieler Menschen ein

Barrierefreiheit und „Design for All“ in der Verkehrsplanung umsetzen, Betroffene einbeziehen

VCÖ (Wien, 26. Jänner 2023) – Das Verkehrssystem muss für alle funktionieren. Derzeit ist das nicht der Fall. Wie Menschen mit Behinderung, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Betreuungspflichten in der Verkehrsplanung stärker berücksichtigt werden können, wurde heute bei der VCÖ-Fachkonferenz mit internationalen und nationalen Fachleuten diskutiert. Zentral ist die Einbeziehung von Betroffenen in die Planung. Die größten Problembereiche sind mangelnde Barrierefreiheit, zu schmale Gehsteige, zu hohes Tempo des Verkehrs und Fußgängerampeln, die für Menschen mit Mobilitätseinschränkung zu kurze Grünphasen haben.

„Die Vielfalt unserer Gesellschaft spiegelt sich im aktuellen Verkehrssystem nicht wider. Die Bedürfnisse von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, Kindern, Menschen mit Betreuungspflichten oder von älteren Menschen werden vielerorts zu wenig berücksichtigt. Dass in Gemeinden und Städten eine auf den Autoverkehr zentrierte Verkehrsplanung die Mobilität vieler Menschen einschränkt, ist vielen Verantwortlichen zu wenig bewusst“, stellt VCÖ-Expertin Lina Mosshammer fest.

So sind in Österreich mehr als 1,3 Millionen Menschen von dauerhaften körperlichen, psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen betroffen. 216.000 Menschen haben keine oder eine nur sehr eingeschränkte Sehfähigkeit, 157.000 Menschen können nicht oder nur sehr schlecht hören, 40.000 Menschen sind auf einen Rollstuhl angewiesen. 29 Prozent der Frauen und 24 Prozent der Männer ab 60 Jahren sind von dauerhaften Beeinträchtigungen betroffen.

„Ein barrierefreies Verkehrssystem ist die Grundvoraussetzung für eine inklusive Gesellschaft“, erinnert Jakob Ferner vom Verein BIZEPS - Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Und: „Menschen mit Behinderungen müssen möglichst früh in den Planungsprozess mit einbezogen werden. Vielfalt in der Verkehrsplanung kann nur durch Vielfalt der Beteiligten im Planungsprozess erreicht werden.“ Barrierefreiheit ist erreicht, wenn das Verkehrssystem für alle Menschen unserer Gesellschaft zugänglich ist. Barrierefreiheit ist essentiell für zehn Prozent, notwendig für 40 Prozent und komfortabel für 100 Prozent.

Planungsfehler behindern viele Menschen. Beispiele sind zu schmale Gehsteige oder für die Benutzung von Handbikes zu schmale Radwege. Zusätzlich werden zahlreiche Gehsteige auch von hineinragenden Fahrzeugen, Verkehrsschildern oder Wahlplakaten verschmälert. Während bei Bahnen und Linienbussen der Anteil barrierefreier Fahrzeuge in Österreich mittlerweile hoch ist, gibt es bei Mikro-ÖV-Angeboten, wie Gemeindebusse und Anrufsammeltaxis, sowie bei Bus-Haltestellen in den Regionen Aufholbedarf.

Die Mobilitätsforscherin Bente Knoll von BNK (Büro für nachhaltige Kompetenz) unterstreicht die Wichtigkeit, „schon in der Planung, die vielfältigen Mobilitätsmuster zu berücksichtigen. Vielfalt und Inklusion bereichern unsere Gesellschaft.“ Knoll wies auf zwei Bereiche hin, die zu wenig Beachtung erhalten: Die speziellen Anforderungen, die „Mobility of Care“ mit sich bringt, also Mobilität im Zusammenhang von Betreuung und Begleitwegen etwa mit kleinen Kindern oder pflegebedürftigen Personen. Nach wie vor sind Frauen am stärksten betroffen. Außerhalb der großen Städte sind dabei tagsüber mangelnde öffentliche Verkehrsverbindungen häufig ein Problem. Zudem muss die Verkehrsplanung stärker Rücksicht nehmen auf die wachsende Anzahl von Menschen mit Demenzerkrankung, betont die Mobilitätsforscherin. Für Menschen mit Demenz ist Verkehrsberuhigung mit niedrigerem Tempo sowie weniger Reizüberflutung im Straßenraum wichtig.

Katja Hausleitner vom Kinderbüro Graz wies darauf hin, dass Kinder in der Mobilitätsplanung häufig vergessen werden. „Die österreichische Bundesverfassung (Art. 4 BVG Kinderrechte) legt fest, dass Kinder in allen sie betreffenden Lebensbereichen beteiligt werden müssen. Das gilt auch für die Verkehrs- und Stadtplanung. Kinder sind auch in mehrjährigen Planungsprozessen mit entsprechenden Beteiligungsformaten von Beginn an miteinzubeziehen.“

Auch bei der Einbindung von Jugendlichen gibt es in Österreich Defizite, betonte Claudia Sempoch von tbw research, die das Projekt YouthCodes leitete. „Die Perspektiven junger Menschen stellen einen wichtigen Aspekt dar, um eine Mobilitätswende voranzutreiben, daher müssen wir mit ihnen und nicht für sie über verschiedene Probleme und Lösungsideen sprechen.“
“Wollen wir Vielfalt in der Verkehrsplanung berücksichtigen, werden wir nicht umhinkommen, heute bestehende Privilegien zu hinterfragen und schrittweise abzubauen”, erklärt Elke Schimmel vom Verein Lares aus der Schweiz.

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