VCÖ: In Niederösterreich gibt es pro Kopf 239 Quadratmeter versiegelte Verkehrsfläche - Parkplätze verstärkt entsiegeln

VCÖ: Zahlreiche Positiv-Beispiele für Entsiegelung in Niederösterreich

Foto (c) Stadtgemeinde Tulln

VCÖ (Wien, 23. September 2024) - Nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe in Niederösterreich ist die Hilfe für die betroffenen Menschen und Regionen das Allerwichtigste. Künftig braucht es den gleichen Schulterschluss für den Schutz der Böden und für die verstärkte Entsiegelung, stellt die Mobilitätsorganisation VCÖ fest. Der Verkehr ist für fast die Hälfte von Niederösterreichs versiegelten Flächen verantwortlich. Mit Asphalt versiegelte Böden können kein Wasser aufnehmen, der Niederschlag fließt ab und das Kanalsystem wird bei Starkregen zusätzlich belastet. Das Entsiegelungspotenzial ist im Verkehrsbereich, insbesondere bei Groß-Parkplätzen, groß. Der VCÖ weist darauf hin, dass es in Niederösterreich bereits zahlreiche vorbildliche Entsiegelungsprojekte gibt sowie mit dem blau-gelben Bodenbonus auch eine Förderung des Landes für Städte und Gemeinden.

"Die große Hilfsbereitschaft bei der Hochwasserkatastrophe ist vorbildlich. Jetzt steht die Hilfe für die betroffenen Menschen im Vordergrund. Diese Zusammenarbeit, diesen Schulterschluss braucht es auch künftig beim Schutz der Böden vor Versiegelung und bei der verstärkten Entsiegelung, damit Böden wieder Wasser aufnehmen können", stellt VCÖ-Experte Michael Schwendinger fest. Mit der Erderhitzung nehmen Häufigkeit und Intensität von extremen Wetterereignissen zu.

Insgesamt sind in Niederösterreich laut Umweltbundesamt rund 850 Quadratkilometer an Fläche versiegelt, allein 48 Prozent davon sind Verkehrsflächen. Pro Einwohnerin bzw. Einwohner sind 239 Quadratmeter Fläche alleine für den Verkehr versiegelt, das ist mehr als viermal so viel wie pro Person als Wohnnutzfläche zur Verfügung steht, verdeutlicht der VCÖ.

Der Schutz der gesunden Böden vor Versiegelung ist sehr wichtig, ebenso ist das Potenzial für Entsiegelung zu nutzen. Etwa bei größeren Parkplätzen, wie beispielsweise bei Unternehmen, Freizeiteinrichtungen, Ausflugszielen, Supermärkten, Fachmarktzentren oder Einkaufszentren. Allein die 49 Shopping Center in Niederösterreich haben rund 55.100 Pkw-Abstellplätze. Parkplätze und Zufahrtsstraßen beanspruchen eine Fläche von 102 Hektar, was der Fläche von rund 170 Fußballfeldern entspricht.

Während bei asphaltierten Parkplätzen bei Regen kein einziger Liter Wasser im Boden versickern kann, sind es bei Rasengittersteinen pro Hektar durchschnittlich rund 825 Liter Wasser pro Sekunde. Zudem sind bei Groß-Parkplätzen Bäume im Schwammstadt-Prinzip zu pflanzen. Dabei wird den Bäumen ein großer Wurzelraum gegeben, wo viel Wasser gespeichert werden kann. Der VCÖ weist auf einen Zusatznutzen für die Autofahrerinnen und Autofahrer hin: Werden ausreichend Bäume vorgeschrieben, gibt es an heißen Tagen mehr schattige Parkplätze.

In Niederösterreich gibt es bereits zahlreiche Beispiele für eine gelungene Entsiegelung, stellt der VCÖ fest. Beispielsweise der Nibelungenplatz in Tulln, der früher ein Parkplatz für mehr als 200 Pkw war und jetzt Großteils begrünt ist und in einen Park umgewandelt wurde. Während vorher 80 Prozent der Fläche versiegelt waren, sind es jetzt nur noch sieben Prozent. Hochgerechnet hat sich die Wasserspeicher-Kapazität des Platzes dadurch mehr als vervierfacht. In Wiener Neudorf wiederum wurde eine Kfz-Fahrbahn der B17 umgewidmet und Großteils begrünt. In Lanzenkirchen wurde das Ortszentrum klimafit umgestaltet, begrünt, Bäume wurden im Schwammstadt-Prinzip gepflanzt, weist der VCÖ auf vorbildliche Projekte in Niederösterreich hin. Das Land Niederösterreich fördert Entsiegelung mit dem "blau gelben Bodenbonus".

Die Förderung von Entsiegelungsprojekten sehen Fachleute als sehr wichtige Maßnahme, so ein Ergebnis einer Fachpersonenbefragung des VCÖ. Der VCÖ hat im Sommer mehr als 240 Fachleute von insgesamt rund 180 Organisationen und Instituten zum Entsiegelungspotenzial im Verkehrsbereich befragt. Das größte Potenzial sehen die Fachleute bei den Parkplätzen, einerseits durch eine Reduktion der Parkplatzflächen und andererseits durch ihre Entsiegelung. Das zweitgrößte Potenzial orten die Fachleute beim Rückbau überdimensionierter Straßen. Beispiele dafür sind die B11 Mödlinger Straße zwischen Gaaden und Heiligenkreuz oder die B83 Kärntner Straße bei Arnoldstein, wo ein eineinhalb Meter breiter Streifen entsiegelt und begrünt wurde.  

Im Ortsgebiet ermöglicht wiederum Tempo 30 statt 50 etwas schmälere Fahrbahnen und damit breitere Grünstreifen. "Auch wenn eine um 30 Centimeter schmälere Fahrbahn scheinbar wenig ist, auf einen Kilometer kann so eine zusätzliche versickerungsfähige Grünfläche von 300 Quadratmetern entstehen und damit auch eine zusätzliche Wasserspeicherkapazität geschaffen werden. Auch viele kleine Schritte bewirken in Summe viel", erklärt VCÖ-Experte Schwendinger.

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Zersiedelung schafft soziale Probleme in der Mobilität

Im Jahr 2025 werden über 920.000 Menschen in Österreich 75 Jahre oder älter sein – das sind um 120.000 Personen mehr als heute. Aktuell haben etwa 20 Prozent der Bevölkerung Österreichs keine Haltestelle des Öffentlichen Verkehrs mit Mindestbedienfrequenz in fußläufiger Entfernung („ÖV-Güteklasse“), weitere 14 Prozent haben lediglich eine Basiserschließung am Wohnort.
Zersiedelung erschwert es, die Nachfrage für öffentliche Verkehrsmittel zu bündeln und ein gutes Angebot zu organisieren. Und die größeren Entfernungen in zersiedelten Gebieten verschlechtern die Voraussetzung, Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen. Viele ältere Menschen, aber auch Kinder, Jugendliche und andere Personen ohne die Möglichkeit, jederzeit selbst einen Pkw zu lenken, werden so in ihrer Mobilität massiv eingeschränkt.

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Die dritte Piste ist eine verpasste Chance

Unser Alltag basiert darauf, dass wir systematisch auf die Ausbeutung von billiger Natur und billiger Arbeitskraft angewiesen sind. Das erzeugt Handlungsfähigkeit und materiellen Wohlstand, aber gleichzeitig Zerstörung und Dominanzverhältnisse. Dieses Ausgreifende, auf die billigen Ressourcen und billige Arbeitskraft andernorts Zugreifende kann durch den Begriff „Imperiale Lebensweise“ benannt werden. In den früh industrialisierten Staaten leben wir schon lange in dieser Form. Neu ist, dass diese Lebensweise immer deutlicher an ökologische Grenzen stößt.
Das zweite Neue ist, dass sich diese Lebensweise über den Aufstieg von Schwellenländern, wie China oder Brasilien, ganz dynamisch auch im globalen Süden in der Bevölkerung ausbreitet. Diese Staaten werden nun zu Akteuren, die an dieser Aufteilung der Welt teilhaben wollen. Denn sie haben selbst wohlhabende Mittelschichten und große Unternehmen. das erzeugt zunehmend Spannungen, etwa um Landbesitz in Osteuropa oder in Afrika.

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Ulrich Brand