Mobilitätsgespräch 2021: Entwurf einer klimaverträglichen Gesellschaft

Das EU-weite Ziel liegt vor: Bis zum Jahr 2030 zumindest 55 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen als im Jahr 1990 und bis zum Jahr 2050 sogar vollkommen klimaneutral sein. Jedoch ist es mit nur der Zielsetzung allein nicht getan. Es braucht eine Vision, wie eine klimaverträgliche Gesellschaft ausschauen kann und dann viele Schritte und Kooperation und Innovation in unterschiedlichen Bereichen.

Einige dieser unterschiedlichen Bereiche kamen am Freitag den 9. Juli 2021 auf Einladung von ÖBB und VCÖ zum Mobilitätsgespräch 2021 zusammen. Vor Ort im ÖBB Konferenzzentrum skizzierte Professorin Sigrid Stagl in einer inspirierenden Key-Note, wie eine klimaverträgliche Gesellschaft aussehen könnte und auf was dafür fokussiert werden muss. Danach wurde unter der Moderation von Karin Bauer in einer hochkarätigen Gesprächsrunde mit Bundesministerin Gewessler aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutiert, welche Schritte gesetzt werden und werden müssen – und welche Rolle die Mobilität dabei spielen kann. Knapp 170 Menschen verfolgten die Diskussion per Livestream.

Sigrid Stagl, Professorin und Mitgründerin des Instituts für Ecological Economics an der WU-Wien machte gleich zu Beginn der Veranstaltung in ihrem Keynote-Vortrag deutlich, dass weder individuelle Verhaltensänderungen noch der Fokus auf Green Tech alleine die erforderlichen Veränderungen stemmen können. Stattdessen sei es für eine Gesellschaft, in der die Bedürfnisse aller Menschen erfüllt sind und die trotzdem innerhalb des Erdklimabudgets lebt, ein System nötig, das Wohlstand nicht über Wohlbefinden stellt. Das schafft momentan kein Staat der Welt. Um dorthin zu kommen, so Stagl, brauche es eine umfassende Transformation unseres Wirtschaftssystems, eine Orientierung an universeller Grundversorgung und den Willen, auch Faktoren wie Ungleichheit, Überproduktion oder Gewinnstreben, die dieser Gesellschaftsutopie im Weg stehen, zu bekämpfen.

„Die Ziele müssen sich verändern. Es lässt sich in den gegebenen Strukturen schon viel machen, aber wir müssen die richtigen Ziele anvisieren.“ – Prof.a Dr.in Sigrid Stagl

In der Gesprächsrunde auf eine ökosoziale Steuerreform angesprochen meinte Stagl, dass es sich dabei um ein ganz normales, seit Jahrzehnten diskutiertes ökonomisches Instrument handle, das korrigierend in die Übernutzung der eingreife. Es sei dabei aber notwendig, begleitende Maßnahmen zu setzen, die auf alle wirken, um die Vergrößerung sozialer Ungleichheiten zu vermeiden, so die Ökonomin.

Im Gespräch betonte Bundesministerin Leonore Gewessler ausdrücklich, dass Österreich in puncto Klimaschutz eine große Aufholjagd vor sich habe, die „mit Maximum Speed im Hochgeschwindigkeitszug“ passieren müsse und dass gerade die Mobilität dabei als Stellschraube fungieren könne. Dabei liegt ein besonderer Fokus auf Investitionen für Infrastruktur für klimaverträgliche Mobilität und das Mobilitätsangebot. Das Herzensprojekt der Ministerin, das Klimaticket, kam natürlich auch zur Sprache und sie bekräftigte ihr Versprechen: Das Klimaticket kommt noch 2021. Sechs Bundesländer seien bereits auf den Zug aufgesprungen. Im Gespräch zeigte sie sich für eine klimaverträgliche Mobilität und Gesellschaft in Österreich – trotz der Aufholjagd – optimistisch. Mit dem sozialen Wohnbau, so Gewessler, entstand vor hundert Jahren in Österreich ein globales Vorzeigeprojekt zur Bekämpfung von Wohnungsarmut. Das gelte es jetzt für die Mobilität ebenfalls zu schaffen. Zum Thema Steuersystem machte die Ministerin deutlich, dass eine Reform des Steuersystems mit einer CO2-Bepreisung zwar nur eine von sehr vielen notwendigen Maßnahmen ist, allerdings auch die Maßnahme die nicht fehlen darf.

„Zwischen Flug, Straße, Bahn braucht es ein System, das dem umweltfreundlichsten Verkehrsmittel den Vorteil verschafft. Die umweltfreundlichste muss immer auch die beste Wahl sein.“ – Bundesministerin Leonore Gewessler

ÖBB-Holding Aufsichtsrat-Vorsitzende Andrea Reithmayer legte besonderen Fokus auf die Notwendigkeit, sich schon im Management dezidiert zum Klimaschutz zu bekennen und Projekte langfristig zu betrachten. Die ÖBB, so die Aufsichtsratsvorsitzende, hat diesen Ansatz schon lange praktiziert, sei es 100% Ökostrom, ein Bekenntnis, bei dem die ÖBB eine Vorreiterrolle einnahm, oder der derzeitige Ausbau des Nachtzugnetzes. Reithmayer sprach auch über die Wichtigkeit des multimodalen Ansatzes, um unkompliziert auch komplexe Wege zurücklegen zu können, wie insbesondere Frauen es häufig tun. Dabei ist die Digitalisierung eine wichtige Komponente, um Mikro-ÖV gut mit anderen Mobilitätsangeboten zu vernetzen. Momentan läuft gerade die Entwicklung und Testung von Prototypen für digitale Vernetzung. Von der Bundesregierung wünscht sich Reithmayer mehr Förderungen für den Ausbau von nachhaltiger Logistik auf der Schiene.

aws Geschäftsführerin Edeltraud Stiftinger sieht die Investitionslandschaft Österreichs auf einem grünen Weg. Unternehmen haben grüne Investitionen in einer Höhe von fast drei Milliarden Euro in Planung. Noch grüner ist die Situation bei Start-ups, wo laut Stiftinger zur Zeit der Hauptteil an großen Innovationen entsteht. Zwei Drittel aller neu gegründeten Start-ups bezeichnen sich selbst als grüne Unternehmen – ein deutlicher Unterschied zu früheren Zeiten. Stiftinger ist es ein großes Anliegen, zu erreichen, dass mehr Frauen sich trauen, Start-ups zu gründen – diese sind nämlich im Durchschnitt grüner und langlebiger als die von Männern. Auch unterstrich Stiftinger, dass es für Verhaltensänderung Innovation braucht – und zwar nicht nur in technischer, sondern auch in sozialer Hinsicht.

In Vertretung für Infineon CEO Sabine Herlitschka war Stefan Rohringer (Deputy CTO und Leiter des Development Centers von Infineon in Graz) der einzige Mann in der Runde. Überzeugt davon, dass grüne Technologien und Jobs die Zukunft sind, zeigte er sich zuversichtlich für den Jobmarkt. Grüne Innovationen, so Rohringer, schaffen netto Jobs. Wichtig ist ihm auch das Thema Zusammenarbeit, im Gespräch betonte er immer wieder die Notwendigkeit, gemeinsam an einem Strang zu ziehen sowohl in Europa als auch in Bezug auf die Beziehung zwischen Industrie und Öffentlicher Hand.

Henriette Spyra Director Science & Innovation vom Umweltbundesamt erklärte, dass Technologieneutralität dann notwendig ist, wenn es noch einen Freiraum braucht, um herauszufinden welche Technologie funktioniert, wie beispielsweise bei der Einführung der technologieneutralen CO2-Flottenziele. Die Antwort ist dann von der Industrie E-Fahrzeuge gewesen. Jetzt braucht es nicht mehr Technologieneutralität, sondern technologiefokussierte Förderung. Spyra wies auch auf die Notwendigkeit einer „Culture of Care“ sowie Verantwortungspartnerschaften zwischen Stakeholdern hin. Sogar große systembezogene Veränderungen wie klimaverträgliche Infrastrukturen beginnen bei einzelnen Personen, die dann in ihren jeweiligen Positionen mehr oder weniger klimaverträglich agieren. Es sei nicht das Ziel, uns um den Planeten zu kümmern und dabei unsere eigenen Bedürfnisse und die unserer Mitmenschen außer Acht zu lassen, so Spyra. Sie unterstreicht auch, dass die Bevölkerung unbedingt ins Boot holen muss. Das Bewusstsein der Menschen, dass etwas geschehen muss, sei sehr hoch und bei der Frage nach dem „wie“ müssten sie auf jeden Fall eingebunden werden.

Ein zentrales Thema des Gesprächs waren Innovationen im Klimabereich. Hier muss, da waren sich alle Anwesenden einig, noch sehr viel passieren. Dafür, das wurde mehrfach betont, braucht es Zusammenarbeit auf allen Ebenen: Industrie und Start-ups, Öffentliche Hand und Bevölkerung, Unternehmen und Bundesregierung. Denn einzelne Maßnahmen werden nicht ausreichen. Für den von Bundesministerin Gewessler so genannten „Marathon“ braucht es eine ganzheitliche Betrachtung – und somit alle an Bord.

Die Mobilitätsgespräche zu interessanten und zukunftsgerichteten Themen mit Relevanz für die Mobilität fanden heuer bereits zum vierten Mal statt und sind eine Kooperation von ÖBB-Diversity Management und VCÖ – Mobilität mit Zukunft.

Dokumente zum Download (PDF):

 

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