Aktive Mobilität als Zubringer zum Öffentlichen Verkehr

Der Großteil der Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln startet oder endet mit aktiver Mobilität. Ein attraktives Umfeld für Gehen, Roller- oder Radfahren erhöht die akzeptierte Wegelänge wesentlich. Damit das Potenzial des Öffentlichen Verkehrs besser ausgeschöpft wird, sollen alle Haltestellen und Bahnhöfe sicher und barrierefrei erreichbar sein.

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Auf 23 Prozent soll der Anteil des Öffentlichen Verkehrs an den zurückgelegten Wegen in Österreich bis zum Jahr 2040 steigen, von 16 Prozent bei der aktuellsten Erhebung im Jahr 2018.1 Dafür braucht es mehr Angebot und eine attraktive Infrastruktur, um Haltestellen und Bahnhöfe bequem und sicher aktiv mobil erreichen zu können. Mit einer geh- und radfahrfreundlichen Verkehrsplanung lässt sich das Einzugsgebiet des Öffentlichen Verkehrs durch aktive Mobilität potenziell verdreifachen.2 Das Potenzial der Kombination von aktiver Mobilität und Öffentlichem Verkehr ist groß.

Großteil kommt aktiv mobil zu Bus oder Bahn

Aktive Mobilität wie Gehen, Roller- oder Radfahren ist nicht nur gesund für den Körper und die Psyche, sondern auch die energiesparendste sowie kostengünstigste Form der Fortbewegung. Über 40 Prozent der Bahnfahrgäste legen den Weg zum Bahnhof aktiv mobil zurück. Der Anteil an aktiver Mobilität in der gesamten Wegekette ist noch höher, da viele Menschen den Öffentlichen Verkehr nutzen, um zum Bahnhof zu gelangen, und dabei ebenfalls häufig gehen oder Rad fahren.3 In Wien kommen 98 Prozent der Fahrgäste aktiv mobil zur Haltestelle.4

Grafik zeigt dass längere Fußwege zur Haltestelle akzeptiert werden, wenn das Umfeld verkehrsberuhigt ist
Ein attraktives, verkehrsberuhigtes Umfeld erhöht die Bereitschaft der Fahrgäste, längere Distanzen zu Fuß zu gehen. Das Einzugsgebiet von Haltestellen wird durch Verkehrsberuhigung stark vergrößert.

Der Weg zur Haltestelle ist entscheidend

Für die Attraktivität des Öffentlichen Verkehrs in Städten hat Gehen eine große Bedeutung, und das nicht nur, weil fast alle Kundinnen und Kunden die Reise zu Fuß starten oder beenden. Oft wird die Hälfte der gesamten Reisedauer mit Fußwegen, Umstiegswegen oder Wartezeiten verbracht. Die Erfahrungen, die in dieser Zeit gemacht werden, bleiben stärker in Erinnerung als die Zeit im Öffentlichen Verkehr selbst. In einer Studie berichten 70 Prozent der Befragten eher über Erfahrungen und Ereignisse am Weg zum Öffentlichen Verkehr, während des Wartens oder Umsteigens, als über die Zeit im Öffentlichen Verkehr selbst.5 Der Weg zu Haltestellen und Bahnhöfen ist daher für die Attraktivität des Öffentlichen Verkehrs wesentlich.

Fußläufigkeit erhöht Nutzung von Bahn und Bus

Der überwiegende Teil der Bevölkerung in Österreich hat eine Haltestelle ins nächstgelegene regionale Zentrum in fußläufiger Distanz. Für ein Drittel der Bevölkerung liegt eine Haltestelle unter 300 Metern entfernt, 30 Prozent haben einen weiteren Weg als 500 Meter. Knapp jede oder jeder Zehnte erreicht keine Haltestelle mit Verbindung ins nächstgelegene Zentrum unter 1.250 Metern. Wien, Vorarlberg und Salzburg sind am besten erschlossen. Steiermark, Kärnten und Oberösterreich hingegen am schlechtesten. Die mittlere Fußweglänge zur nächsten Haltestelle in den Bundesländern liegt zwischen 450 und 550 Metern, in Wien bei 360 Metern.6 Personen, die weniger als fünf Minuten zu Fuß von der Haltestelle entfernt wohnen, nutzen den Öffentlichen Verkehr um elf Prozentpunkte öfter für ihre Wege im Vergleich zu Personen, die länger als 15 Minuten zur nächsten Haltestelle zu Fuß brauchen.7 Die Zugangszeit hat daher neben dem Verkehrsangebot einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit der Nutzung des Öffentlichen Verkehrs.8

Radnutzung steigert Erreichbarkeit

Zu Fuß legt ein gesunder Mensch einen Kilometer in 12 bis 15 Minuten zurück. Damit braucht es zu Fuß im Durchschnitt sieben Minuten in den Bundesländern und rund fünf Minuten in Wien, um die nächste Haltestelle zu erreichen. Längere Distanzen haben großes Potenzial, mit dem Rad zurück-  gelegt zu werden. Dadurch kann die Erreichbarkeit des Öffentlichen Verkehrs erhöht werden. In 15 Minuten können mit einem Fahrrad im Schnitt 3,8 Kilometer, mit einem Elektrofahrrad sogar 5,4 Kilometer zurückgelegt werden.9

Attraktives Umfeld vergrößert Einzugsgebiet

Die Entfernungen, die Menschen bereit sind zu gehen oder mit dem Rad zu fahren, hängen von individuellen und externen Faktoren ab. Zu den individuellen Faktoren zählen Gesundheit, Fitness, Reisezweck, Transportmöglichkeiten und die persönliche Einstellung. Zu den externen Faktoren zählen die Attraktivität des Umfelds, die Verfügbarkeit und Qualität der Infrastruktur für aktive Mobilität, aber auch Einkaufsmöglichkeiten entlang des Weges oder die Steigung des Geländes. Bis auf die Steigung lassen sich diese Faktoren durch die Verkehrsplanung sehr gut beeinflussen. Eine Berücksichtigung der externen Faktoren hat für den Öffentlichen Verkehr eine große Bedeutung. Denn die Qualität der Infrastruktur kann die akzeptierte Gehweglänge um bis zu 70 Prozent verlängern. Mit einem attraktiven, verkehrsberuhigten Umfeld lässt sich das Einzugsgebiet, und damit auch die Zielgruppe des Öffentlichen Verkehrs, um bis zu das Dreifache vergrößern.10

Illustration eines Weges zu einer Haltestelle
Die Wege zum Öffentlichen Verkehr, die Umstiegswege und die Wege zum Ziel sind attraktiv und sicher zu gestalten.

Verkehrsberuhigung begünstigt Radfahren

Ein attraktives Umfeld verlängert nicht nur die akzeptierten Fußwege. Auch längere Radfahrten können durch eine attraktive Infrastruktur begünstigt werden. Dazu zählen Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung, wie Tempo 30, sowie das Bereitstellen von guten Radwegen oder Fahrradstraßen. Mit diesen Maßnahmen kann die Dauer der akzeptierten Radfahrten um bis zu elf Minuten verlängert werden.11 In dieser Zeit können etwa drei bis vier Kilometer mit dem (E)-Fahrrad zurückgelegt werden.12 Neben der besseren Erreichbarkeit von weiter entfernten Haltestellen kann eine gute Radinfrastruktur auch die Anzahl der Umstiege reduzieren, indem erste Streckenabschnitte mit dem Rad zurückgelegt werden und damit die Gesamtreisezeit verkürzen. Eine Voraussetzung sind ausreichend und sichere Abstellanlagen oder Radboxen an den Haltestellen.13

Mehr Bahngäste kommen aktiv mobil

Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl der Bahnfahrgäste in den Niederlanden um mehr als 80 Prozent gestiegen. Auffallend ist, dass sich die Anzahl der mit dem Rad Anreisenden verdreifacht hat, während sich die Anzahl der mit dem Pkw Anreisenden reduziert hat. Begünstigt wird das durch moderne, witterungsgeschützte und kostenlose Radabstellanlagen, kombiniert mit Servicedienstleistungen für die Radwartung. In den Niederlanden gibt es an 32 Bahnhöfen Fahrradservicegeschäfte. Ergänzend gibt es ein nationales Radverleihsystem OV-Fiets, welches in das Ticketing des Öffentlichen Verkehrs integriert ist und dadurch eine einfache, unkomplizierte Nutzung ermöglicht.14

Aktive Mobilität spart Platz und Kosten

Ein ebenerdiger Fahrradabstellplatz beansprucht etwa 1,6 Quadratmeter Fläche. Von einem Pkw wird fast acht Mal mehr Abstellfläche in Anspruch genommen. Die benötigte Fläche für das Ein- und Ausparken ist dabei noch nicht berücksichtigt. Auf Bahnhöfen in Österreich gibt es im Jahr 2024 etwa 47.000 Bike&Ride-Stellplätze. Mit 68.000 Park&Ride-Stellplätzen werden dem Pkw-Verkehr an Bahnhöfen mehr Plätze und mehr als elf Mal so viel Fläche zur Verfügung gestellt.15,16 Diese Fläche ist in der Errichtung und Wartung teuer. Gehen benötigt wiederum nochmal deutlich weniger Fläche als Radfahren.

Infrastruktur für aktive Mobilität mitplanen

Damit das Potenzial des Öffentlichen Verkehrs besser ausgeschöpft wird, ist die Multimodalität einer Wegekette in der Verkehrsplanung verstärkt zu berücksichtigen. Von einer attraktiven und sicheren Infrastruktur für Gehen und Radfahren profitieren alle Altersgruppen und auch die Umwelt. Die Gestaltung des Zugangs zu Haltestellen ist überwiegende Kompetenz der Gemeinden und Städte. Der attraktive Zugang sollte jedoch auch im Interesse der Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünde sein, weshalb Kooperation und Koordinierung wichtig sind. Schließlich sind Haltestellen und Bahnhöfe eine Visitenkarte von Gemeinden, Städten und dem Öffentlichen Verkehr.

Mehr Radabstellanlagen an Haltestellen schaffen

In Vorarlberg spielt das Rad eine große Rolle als Zubringer zum Öffentlichen Verkehr. 77 Prozent der Menschen in Vorarlberg erreichen den nächsten Knotenpunkt des Öffentlichen Verkehrs mit dem Rad in maximal zehn Minuten. Der Verkehrsverbund Vorarlberg fördert die Kombination von Rad und Öffentlichem Verkehr. An allen Bahnhöfen und vielen Bushaltestellen gibt es Radabstellplätze. Zehn Bahnhöfe in Vorarlberg bieten zusätzlich die Möglichkeit, Räder für 1,80 Euro pro Tag in Fahrradboxen abzustellen. E-Bikes können kostenlos aufgeladen werden. Mit dem Klimaticket „VMobil“ kann auch eine Radbox im Vorhinein gebucht werden.17,18

Sichere Erreichbarkeit umsetzen

Bestehende Leitfäden zur Gestaltung von Bushaltestellen und Bahnhöfen schenken der Zugänglichkeit und Erreichbarkeit des Öffentlichen Verkehrs oft nicht ausreichend Beachtung. Für die Umsetzung einer attraktiven Infrastruktur für aktive Mobilität zum Öffentlichen Verkehr braucht es daher einen integralen Ansatz und das Engagement von lokalen Entscheidungsverantwortlichen. Im Rahmen des Mobilitätsmasterplans gibt es umfassende Förderungen für Gemeinden und Städte. Zahlreiche nationale und internationale Good-Practice Beispiele können bei der Umsetzung als Vorbild dienen.

VCÖ-Empfehlungen

Verkehrsplanung: Gesamte Wegekette berücksichtigen

  • Wege zum Öffentlichen Verkehr, beim Umstieg und zum Endziel als integralen Bestandteil der Wegekette im Öffentlichen Verkehr einplanen.

Gemeinden und Städte: Geh- und Radinfrastruktur aufwerten

  • Fuß- und Radverkehrsbeauftragte auf lokaler Ebene ernennen.
  • Mit Verkehrsberuhigung und getrennten Geh- und Radwegen attraktives Angebot für aktive Mobilität schaffen.
  • Bushaltestellen und Bahnhofsvorplätze als Visitenkarte der Gemeinde, beziehungsweise der Stadt, betrachten.
  • Jede Haltestelle mit sicheren Querungshilfen ausstatten, vor allem bei Haltestellen an Freilandstraßen.
  • Förderungen für Gehen und Radfahren in Anspruch nehmen.

Unternehmen: Betriebliches Mobilitätsmanagement umsetzen

  • Zugänglichkeit zum Öffentlichen Verkehr bereits bei der Standortwahl berücksichtigen.
  • Firmengelände für aktive Mobilität ausrichten: Ausreichend Radabstellplätze möglichst nahe dem Eingang und Bike-Sharing anbieten.
  • Kooperation mit den Gemeinden, damit es eine sichere Geh- und Rad-Infrastruktur zum Betriebsstandort gibt.

Katharina Jaschinsky, VCÖ ‑ Mobilität mit Zukunft

„Jede Bushaltestelle sollte sowohl in den Städten als auch entlang von Freilandstraßen eine sichere Querungshilfe über die Straße haben, damit vor allem Kinder, ältere Menschen sowie andere mobilitätseingeschränkte Personen sicher und stressfrei zum Bus kommen.“

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Die inhaltliche und redaktionelle Erstellung des VCÖ-Factsheets erfolgt durch den VCÖ. Der Inhalt muss nicht mit der Meinung der unterstützenden Institutionen übereinstimmen. Dieses Factsheet wurde finanziert vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie sowie unterstützt von den Bundesländern Oberösterreich, Steiermark und Tirol.

Klimaaktiv mobil berät und unterstützt relevante Akteur:innen, Entscheidungsträger:innen und Investor:innen bei der Entwicklung und Umsetzung klimaschonender Maßnahmen im Verkehrsbereich. Info: klimaaktivmobil.at


Quellen

Quellen

1 Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: Mobilitätsmasterplan 2030 für Österreich. Wien: 2022. Weblink
2 Walk21: Integrating Walking + Public Transport. O.O.: 2024 Weblink
3 VCÖ - Mobilität mit Zukunft: Bahntest 2023, Wien 2023 Weblink
4 Auskunft von Kathrin Liener, Wiener Linien, Pressesprecherin, 26.04.2024  
5 Walk21: Integrating Walking + Public Transport. O.O.: 2024Weblink Weblink
6 Geschäftsstelle der Österreichischen Raumordnungskonferenz: ÖROK-Erreichbarkeitsanalyse 2018 (Datenbasis 2016): Analysen zum ÖV und MIV. Wien: 2018 Weblink
7 Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie: Österreich unterwegs 2013/2014: Ergebnisbericht zur österreichweiten Mobilitätserhebung "Österreich unterwegs 2013/2014". Wien: 2016 Weblink
8 Messinger I.: Vergleich subjektiver und ermittelter Zugangszeiten zu Haltestellen des öffentlichen Verkehrs. Wien, Universität für Bodenkultur, Masterarbeit, 2021 Weblink
9 VCÖ (2021): eigene Berechnung basierend auf Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: Faktencheck Radverkehr: Müthen über das Radfahren - Stand 10.02.2021 und Gesundheit Österreich GmbH: Aktive Mobilität - Stand 10.02.2021 Weblink
10 Walk21: Integrating Walking + Public Transport. O.O.: 2024 Weblink
11 Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V.: Attraktive Radinfrastruktur: Routenpräferenzen von Radfahrenden. Berlin: 2019  – Stand 19.10.2021 Weblink
12 Hardinghaus M., Cyganski R.: Attraktive Radinfrastruktur: Routenpräferenzen von Radfahrenden. Berlin: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), 2019 Weblink
13 Ahres G.-A. u.a.: Leitfaden zum Forschungsvorhaben im Rahmen der Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplanes: Interdepenzen zwischen Fahrrad- und ÖPNV-Nutzung. Weblink
14 Stubbe E.: Cycling + Public Transport. (VCÖ-Veranstaltung: Aktive Mobilität als Zubringer zum Öffentlichen Verkehr) - Vortrag, Wien, 16.05.2024 Weblink
15 Österreichisches Institut für Bautechnik: OIB-Richtlinie 4: Nutzungssicherheit und Barrierefreiheit. Wien: 2023 Weblink
16 ÖBB-Immobilienmanagement mbH: Zeitgemäßes Parken in Wien - Stand 10.06.2024 Weblink
17 Verkehrsverbund Vorarlberg GmbH: VMOBIL Radbox: Die sichere Garage direkt am Bahnhof - Stand 10.06.2024 Weblink
18 Verkehrsverbund Vorarlberg GmbH: Arbeitnehmer:innen: Vorarlberg radelt zur Arbeit - Stand 26.06.2024 Weblink

 

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