VCÖ-Factsheet: Ausbau der Infrastruktur auf Klimakurs bringen

Das Angebot bestimmt die Nachfrage – das gilt insbesondere für den Ausbau der Infrastruktur im Verkehr. Was heute an Straßen und Schienen gebaut wird, ist Teil des Verkehrssystems der kommenden Generation und muss kompatibel mit der Erreichung der Klimaziele sein.

Österreich hat beim Klimaschutz Nachholbedarf. Der CO2-Ausstoß liegt mit mehr als neun Tonnen pro Kopf über dem Durchschnitt der EU-Staaten und ist doppelt so hoch wie im globalen Durchschnitt. Rund 30 Prozent der Treibhausgas-Emissionen Österreichs verursacht der Verkehrssektor. Im aktuellen Regierungsprogramm hat sich Österreich das Ziel gesetzt, ab dem Jahr 2040 ein CO2 neutrales Verkehrssystem etabliert zu haben.

Infrastruktur beeinflusst das Mobilitätsverhalten

Infrastruktur wird Jahrzehnte lang genutzt. Was heute geplant und gebaut wird, prägt damit maßgeblich das Verkehrssystem der nächsten Generation. Das Angebot an Wegen, Straßen und Schienen hat einen großen Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl, da neben Kosten und Komfort des Verkehrsmittels auch die Gesamtreisezeit eine zentrale Rolle spielt. Wird etwa eine Verbindung zwischen zwei Orten durch eine zusätzliche Autostraße attraktiver, nimmt der Autoverkehr zu. Der Zuwachs entsteht entweder durch Verlagerung von anderen Verkehrsmitteln, anderen Routen oder auch insgesamt als zusätzlicher induzierter Verkehr, wenn aufgrund der Attraktivität der neuen Verbindung zusätzliche Fahrten stattfinden.

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Zwischen dem Ausbaugrad des Autobahnnetzes und dem Anteil der mit dem Pkw zurückgelegten Weg, besteht eine Korrelation.

Mehr Verkehr durch mehr Straßen

Österreich wird von mehr als 125.000 Kilometer Straße durchschnitten. Insgesamt nimmt der Straßenverkehr eine Fläche von knapp 2.000 Quadratkilometer in Anspruch, um über ein Viertel mehr als noch im Jahr 1990. Das sind 96 Prozent der gesamten Verkehrsfläche von 2.079 Quadratkilometer.

Straßenausbau ist eine verfehlte Strategie, um Verkehrsprobleme zu lösen. Autobahnen neu zu bauen oder auszubauen lindert die Überlastung von Straßen kurzfristig, führt langfristig jedoch aufgrund der attraktiveren Bedingungen zu einer Zunahme des Verkehrs. Durchschnittlich entsteht laut einer Metastudie von mehr als 100 Projekten rund 25 Prozent zusätzlicher, nicht vorhergesehener Straßenverkehr. Durch diesen induzierten Verkehr schwindet mit der Zeit der Geschwindigkeitsvorteil einer neuen oder ausgebauten Straße. In der Praxis gut zu beobachten ist dies bei Autobahnen, die relativ bald nach Fertigstellung zusätzlicher Fahrspuren wieder überlastet sind. Im Zeitraum 2016 bis 2020 ist das Autobahnnetz in Deutschland um etwa 200 Kilometer gewachsen, Staus sind aber nicht etwa zurückgegangen, stattdessen haben sich die Staustunden in diesem Zeitraum beinahe verdoppelt. In Österreich wurde das Netz an Autobahnen und Schnellstraßen seit den 1980er-Jahren massiv ausgebaut, im selben Zeitraum hat der Auto-Anteil bei der Verkehrsmittelwahl stark zugenommen.

Bei geringeren Geschwindigkeiten lässt sich der Straßenquerschnitt reduzieren. Die Kapazität der Straße leidet darunter nicht.

Besserer Öffentlicher Verkehr reduziert Staus

Der Ausbau des Straßennetzes wirkt der Überlastung von Straßen also nicht nachhaltig entgegen. Durch den Ausbau des Öffentlichen Verkehrs kann dies hingegen gelingen. Das sogenannte Downs-Thomson-Paradoxon besagt, dass die durchschnittliche Geschwindigkeit des Pkw-Verkehrs zur Hauptverkehrszeit mit der Zeit, mit der dieselbe Strecke im Öffentlichen Verkehr zurückgelegt werden kann, zusammenhängt. Die Effekte, die zu induziertem Verkehr führen und für die Überlastung von Straßen verantwortlich sind, lassen sich für Veränderungen zu einem nachhaltigeren Verkehrssystem nutzen. Die Stärkung von Infrastrukturen für Gehen, Radfahren und Öffentlichem Verkehr führt dazu, dass sich immer mehr Menschen für diese Mobilitätsformen entscheiden. In der Schweiz nahm das Angebot von Bahn, Straßenbahn und Linienbussen gemessen in Kilometer pro Jahr in den Jahren 2000 bis 2018 um fast 40 Prozent zu. Im selben Zeitraum sind die Fahrten, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden, um das Eineinhalbfache gestiegen und es hat sich die Anzahl an Generalabonnements auf fast eine halbe Million verdoppelt. Die Anzahl der Halbpreis-Abos stieg um mehr als 40 Prozent auf rund 2,7 Millionen.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung findet, dass das Autobahnnetz in Österreich lange genug ist, einige wünschen sich sogar einen Rückbau.

Mangelhafter Planungsprozess im Straßenbau

Autobahnen und Schnellstraßen unterliegen im Gegensatz zu Landesstraßen der Bundeskompetenz und erfordern in Österreich seit dem Jahr 1993 eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) für konkrete Projektvorhaben und seit dem Jahr 2005 vorab zusätzlich eine „Strategische Prüfung im Verkehrsbereich“ (SP-V) als Voraussetzung für die Aufnahme in das Bundesstraßengesetz (BStG). Im Zentrum stehen dabei drei Fragen: 1) Ist eine Straßennetzveränderung auf Bundesebene überhaupt notwendig? 2) Welcher Verkehrsträger beziehungsweise welche Alternative ist am ehesten geeignet, die definierten Ziele zu erreichen? 3) Welche Auswirkungen – vor allem auf die Umwelt – lässt ein Ausbau erwarten? Eine Schwierigkeit an der SP-V ist, dass sie nicht rückwirkend zur Anwendung kommt, womit alle Autobahnen und Schnellstraßen, die vor dem Jahr 2005 bereits im BStG waren, dieser Prüfung gesetzlich nicht unterliegen.

Im Jahr 2018 übte der Rechnungshof Kritik an der Praxis der SP-V. Im Prüfzeitraum des Berichts in den Jahren 2005 bis 2016, fanden acht solcher Verfahren statt. In allen Fällen wurde der Vorschlag der Projektwerbenden in das BStG aufgenommen, obwohl dargestellte Alternativen teilweise besser bewertet wurden. Es gab nachdrücklich negative Stellungnahmen der Umweltanwaltschaften und Fachabteilungen des Infrastrukturministeriums, die Abweichungen von der vorgegebenen Methodik bemängelten. Der Rechnungshof kritisierte, dass das Infrastrukturministerium als verantwortliche Behörde in mehreren Verfahren solche Abweichungen geduldet und Ermessensspielräume zugestanden hatte, die das Ergebnis stark beeinflussten. Dies betraf etwa die Abschätzung der erwarteten Verkehrsmengen, die Auswahl der betrachteten Alternativen oder die Kosteneinschätzung. So lag bei einzelnen geprüften SP-V das prognostizierte Verkehrsaufkommen abschnittsweise unter der vom Infrastrukturministerium definierten Mindestverkehrsnachfrage für hochrangige Straßen. Auch fehlte fallweise die vorgegebene hochrangige Bedeutung der Netzveränderung. Laut Rechnungshof finanzierte der Bund hochrangige Straßen, obwohl die Grundlagen dafür nicht vorhanden waren. Ebenso kritisiert wurde, dass bei der Streichung von zwei angestrebten Netzveränderungen aus dem BStG Abschlagszahlungen in der Höhe von 269 Millionen Euro an die betroffenen Bundesländer geleistet wurden. Damit war die Finanzierung von niederrangigen Straßen trotzdem durch den Bund erfolgt.

Auf Basis der festgestellten Mängel empfahl der Rechnungshof dem Infrastrukturministerium, verstärkt unter dem Blickwinkel einer verkehrsträgerübergreifenden Planung der hochrangigen Verkehrsnetze für Straßen, Eisenbahn und Wasserstraßen zu agieren. Ebenfalls empfohlen wurde, eine unabhängige Bewertung von Wirtschaftlichkeit, ökologischen und sozialen Aspekten sicherzustellen und den Umgang mit Einwendungen und Öffentlichkeitsbeteiligung transparent zu gestalten.

Für die Bevölkerung in Österreich ist klar, dass der Ausbau von Radwegen und Schieneninfra struktur Klimainvestitionen sind – Straßenausbau hingegen nicht.

Infrastrukturplanung an Klimaziele anpassen

Der Blick auf den Straßenausbau muss sich in Zeiten der Klimakrise ändern. Straßen oder einzelne Teile einer Straße können auch anders genutzt werden. Überdimensionierte Fahrspuren können zugunsten von Radwegen oder Busspuren verschmälert werden. Da bei niedrigerem Tempo die Breite des Fahrstreifens reduziert werden kann, kann Redimensionierung auch im Zuge einer Temporeduktion erfolgen. In Kärnten wurde etwa eine überdimensionierte Landesstraße, die B83 bei Arnoldstein, von 9 auf 7,5 Meter verschmälert. Auch in Niederösterreich auf der B11 zwischen Gaaden und Heiligenkreuz oder in Obsteig in Tirol auf der B189 wurde der Querschnitt der Landesstraßen reduziert. Auf allen drei Straßen wurde ein Sicherheitsstreifen abgefräst und begrünt. Der verbleibende Asphaltstreifen ist nun jeweils ein Radweg.

Bevölkerung sieht weiteren Straßenbau kritisch

Die heute geplante und gebaute Verkehrsinfrastruktur ist das Vermächtnis der Erwachsenengeneration an ihre Kinder und Enkelkinder. Drei Viertel der Bevölkerung Österreichs sehen den Ausbau von Autobahnen und Schnellstraßen im Widerspruch zur Erreichung der Klimaziele. Zwei Drittel sprechen sich für einen Ausbau-Stopp aus, wobei sieben Prozent gar für einen Rückbau plädieren. Viele der heute im Bundestraßengesetz vorgesehenen Projekte werden seit Jahrzehnten diskutiert, Alternativen über den Straßenbau hinaus wurden meist nicht geprüft – schon gar nicht mit Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele. Der Auftrag an die Politik ist somit deutlich. Straßenbauprojekte sind angesichts der drastisch veränderten Ausgangslage neu zu bewerten, ein Weiter-wie-bisher ist tabu.

Quelle: VCÖ, „Infrastrukturen für die Verkehrswende“ Schriftenreihe „Mobilität mit Zukunft“, Wien 2021

VCÖ-Empfehlungen

Klimakrise erfordert neuen Zugang zu Infrastrukturpolitik

  • Der Bau neuer Straßen reduziert Verkehrsüberlastung und Staus nur vorübergehend. Mittelfristig wird die vermeintliche Lösung zur Ursache von noch mehr Verkehr – ein klassisches Eigentor.
  • Eine verbesserte Infrastruktur zieht an. Das gilt nicht nur für Autobahnen, sondern auch für den Öffentlichen Verkehr und Radwege. Wer Staus nachhaltig vermeiden will, muss Mobilitätsangebote unabhängig vom Auto schaffen und sukzessive ausbauen.
  • Gemäß österreichischem Bundesstraßengesetz ist der Bau von Autobahnen und Schnellstraßen vorgesehen, die vor Jahrzehnten diskutiert und geplant wurden. Angesichts der veränderten Ausgangslage und mit Hinblick auf die Erreichung der Klimaziele, sind diese Projekte heute neu zu bewerten.

Bevölkerung sieht weiteren Ausbau von Autobahnen und Schnellstraßen kritisch

  • Die große Mehrheit der Bevölkerung in Österreich sieht den Ausbau von Autobahnen und Schnellstraßen im Widerspruch zur Erreichung der Klimaziele. Ein Weiter-wie-bisher im Straßenbau ist damit keine Option.
  • Heute errichtete Verkehrsinfrastruktur ist ein Vermächtnis an die kommenden Generationen. Was heute gebaut wird, muss zur Erreichung der Klimaziele im Jahr 2040 einen Beitrag leisten.

Michael Schwendinger, VCÖ ‑ Mobilität mit Zukunft

„Verkehr ist keine Naturgewalt. Er verlagert sich dorthin, wo das Angebot verbessert wird. Das gilt für den Bau von Straßen, aber auch für den Öffentlichen Verkehr und Radwege. Da Infrastrukturen für Jahrzehnte genutzt werden, müssen heute die Weichen für ein klimaverträgliches Verkehrssystem der Zukunft gestellt werden.“


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