Tempo 30 für mehr Lebensqualität umsetzen

Eine Temporeduktion im Ortsgebiet hat vielfachen Nutzen für Gesundheit, Lebensqualität und Umwelt. Besonders für Kinder und die wachsende Zahl älterer Menschen verbessert sich das Verkehrsklima. Die höhere Sicherheit attraktiviert Gehen und Radfahren und schafft Platz für die notwendige Verkehrswende in Städten und Gemeinden.

VCÖ-Factsheet "Tempo 30 für mehr Lebensqualität umsetzen" als PDF

Tempo 30 statt 50 erhöht die Lebensqualität im Ort und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, auch Einzelhandel und Nahversorgung profitieren von Verkehrsberuhigung. Das niedrigere Tempo des Kfz-Verkehrs erhöht sowohl die objektive als auch subjektive Sicherheit beim Radfahren, wodurch mehr Menschen mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fahren. Tempo 30 statt Tempo 50 bringt zudem einen gleichmäßigeren Verkehrsfluss und weniger Beschleunigungsphasen und wird vom menschlichen Ohr wie eine Halbierung der Verkehrsmenge wahrgenommen.

Tempo 30 bringt mehr Verkehrssicherheit

Bei Tempo 30 statt 50 im Ortsgebiet sinkt das Risiko tödlicher Verletzungen für Gehende bei Unfällen von Kfz um bis zu 75 Prozent.1 Im 3-Jahres-Zeitraum 2019 bis 2021 passierte in Österreich jeder vierte tödliche Verkehrsunfall im Ortsgebiet.2 Österreichs „Verkehrssicherheitsstrategie 2021-2030“ hat das Ziel, bis zum Jahr 2030 die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten um mindestens 50 Prozent im Vergleich zum Durchschnitt der Jahre 2017 bis 2019 zu reduzieren.3 Dieses Ziel ist nur mit zusätzlichen Maßnahmen erreichbar.4,5

Ein Pkw, der bei Tempo 30 einen Anhalteweg, also Reaktionsweg plus Bremsweg, von elf Metern hat, hat bei Tempo 40 einen 17 Meter langen und bei Tempo 50 sogar einen doppelt so langen Anhalteweg. Nach elf Metern hat der Pkw mit Tempo 50 fast die volle Geschwindigkeit, während er mit Tempo 30 bereits steht.6 Das Risiko für Gehende bei einer Kollision mit einem Pkw getötet zu werden, ist bei Tempo 50 etwa doppelt so hoch wie bei Tempo 40 und bis zu fünfmal höher als bei Tempo 30.7

Helsinki hat bereits in den 1980er Jahren Maßnahmen zur Temporeduktion umgesetzt. Im Jahr 2019 wurde erstmals die „Vision Zero“ erreicht - keine gehende oder radfahrende Person wurde im Straßenverkehr getötet.

Verkehrsunfälle verursachen hohe Kosten

Alleine die Kosten durch von Verkehrsunfällen verursachten Arbeitsausfälle und medizinische Behandlungen belaufen sich in Österreich auf etwa 320 Millionen Euro pro Jahr.8 Werden alle Unfallkosten, also etwa auch Materialschäden, menschliches Leid, Kranken- und Versicherungskosten berücksichtigt, verursachen Verkehrsunfälle in Österreich Kosten von rund sechs Milliarden Euro pro Jahr.9

Verkehrsberuhigung senkt Risiko nachweislich

In Graz, wo mit Ausnahme der Hauptverkehrsstraßen seit dem Jahr 1992 flächendeckend Tempo 30 gilt, ging die Zahl der bei Verkehrsunfällen Verletzten im Durchschnitt der drei Jahre vor beziehungsweise nach Umsetzung um 20 Prozent zurück.10 In der schottischen Stadt Edinburgh ging in den ersten zwei Jahren nach Einführung der 20mph-Zone (32 km/h) im Jahr 2016 die Anzahl der Unfälle um 40 Prozent und die der Verkehrstoten um 33 Prozent zurück.11 In London konnte die Anzahl der Unfälle um 25 Prozent reduziert werden. Die Anzahl der Unfälle mit Gehenden ging sogar um 63 Prozent zurück.12

Mehr Sicherheit für Gehen und Radfahren

Bei Tempo 30 statt Tempo 50 sinkt das Risiko tödlicher Verletzungen bei Zusammenstößen für Gehende um 75 Prozent.13 Zudem verbessert Tempo 30 die Bedingungen zum Radfahren und Gehen.14

In der spanischen Stadt Bilbao hat sich die Zahl der Radfahrenden seit der Einführung von Tempo 30 im Jahr 2018 auf allen Straßen mehr als verfünffacht. Auch in der französischen Stadt Lille wurde im Jahr 2019 Tempo 30 eingeführt. Seit der Einführung ist der Radverkehr um 55 Prozent gestiegen.15

Temporeduktion vermindert Investitionskosten

In Tempo 30-Zonen können Radfahrende in der Regel im Mischverkehr mitfahren. Bei einem durchschnittlichen Kostensatz von 600.000 Euro je Kilometer baulich getrenntem Radweg, summieren sich die Investitionskosten für ein Radwegenetz entlang der Gemeindestraßen mit Tempo 50 in Österreich auf mehrere Milliarden Euro.16

Tempo 30 statt 50: Einer um ein paar Sekunden pro Kilometer längeren Fahrzeit steht ein deutlich geringeres Risiko für Fußgängerinnen und Fußgänger gegenüber, im Straßenverkehr schwer oder gar tödlich verletzt zu werden.

Verkehrslärm schadet der Gesundheit

Ein Drittel der Bevölkerung in Österreich fühlt sich durch Lärm belastet, 40 Prozent davon durch Kfz-Verkehr.17 Aus Sicht der öffentlichen Gesundheitsvorsorge ist Verkehrslärm nach Feinstaub der zweitgrößte quantifizierbare Umweltfaktor.

Messungen zeigen, dass sich der Dauerschallpegel bei Tempo 30 statt 50 um durchschnittlich drei Dezibel reduziert – was das menschliche
Ohr wie eine Halbierung der Verkehrsmenge wahrnimmt.18

Untersuchungen in der Praxis zeigen dazu eine Abnahme der Luftschadstoffbelastung nach Einführung von Tempo 30, wobei vor allem ein gleichmäßigerer Verkehrsfluss eine Rolle spielt.19

Verkehrsberuhigung schafft Lebensqualität

Tempo 30 verbessert die lokale Lebens- und Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums. Ein guter Indikator dafür sind Kinder. Kinder in verkehrsberuhigten Tempo 30-Zonen spielen im Schnitt mehr als doppelt so lange ohne elterliche Aufsicht im Wohnumfeld draußen, als in einer Straße mit Durchzugsverkehr und Tempo 50.20

Durch die Einführung von Tempo 30 statt Tempo 50 kann im Ortsgebiet eine Flächenreduktion pro Fahrstreifen um 8 bis 41 Prozent erfolgen und diese zur Umgestaltung genutzt werden ohne die Straßenkapazität einzuschränken.21

Zeitfaktor wird meist überschätzt

Mit Tempo 30 statt 50 dauert es theoretisch 48 Sekunden länger, einen Kilometer zurückzulegen. In der Praxis ist der Unterschied deutlich geringer, da die gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeiten im Ortsgebiet zwischen 20 und 30 Kilometer pro Stunde liegen.22

In Graz reduzierte sich die durchschnittliche Kfz-Geschwindigkeit durch die Einführung von Tempo 30 lediglich um 0,5 km/h. Die Akzeptanz der Regelung stieg von 44 Prozent kurz vor der Umsetzung auf 77 Prozent zwei Jahre später.23

Seit dem Jahr 2021 gilt in Brüssel auf 85 Prozent der Straßen Tempo 30. Ausnahmen gibt es etwa für Straßenbahnen. Die durchschnittliche Geschwindigkeit in den bereits vor der Einführung bestandenen Tempo-30-Straßen sank um neun Prozent von 29,1 auf 26,6 Kilometer pro Stunde.24

Öffentlicher Verkehr wird nicht eingeschränkt

Die Umsetzung von Tempo 30 ist gut mit dem Öffentlichen Verkehr vereinbar. Die Fahrzeit kann sich zwar um etwa 15 Sekunden pro Kilometer erhöhen, durch einen gleichmäßigeren Verkehrsfluss ergeben sich jedoch auch Vorteile bei Planbarkeit und Verkehrssicherheit. Durch begleitende Maßnahmen wie Bevorrangungen, eigene Spuren oder vorgezogene Haltestellen kann die Fahrzeit des Öffentlichen Verkehrs sogar reduziert werden.25

Temporeduktion für Gemeinden erleichtern

Zahlreiche Städte und Gemeinden in Europa und Österreich haben Tempo 30 in unterschiedlichen Formen schon umgesetzt. Erfahrungen zeigen, dass sich durch Tempo 30 die Verkehrssicherheit erhöht und die Lebensqualität, etwa durch weniger Lärm und mehr Platz für bewegungsaktive Mobilität, verbessert. In Österreich gibt es bereits viele erfolgreiche Beispiele in größeren und kleineren Städten - flächendeckend wie in Graz, in einem Stadtteil wie in Leoben oder in einzelnen Straßenzügen etwa in Wohngebieten. Auch in kleineren Gemeinden wird Tempo 30 bereits umgesetzt, beispielsweise von Natters bis Grinzens sowie im Ortsgebiet von Kronstorf.26,27

Aktuelle StVO-Regelung behindert Gemeinden

Tempo 30 ist ein wichtiger Baustein für eine Verkehrsplanung, die gesunde Mobilität forciert. In Österreich ist Tempo 30 im Ortsgebiet derzeit die zu begründende Ausnahme. Die aktuellen Rahmenbedingungen behindern Städte und Gemeinden Tempo 30 als verkehrlich, sozial, ökologisch und stadtplanerisch angemessene Höchstgeschwindigkeit - auch auf Straßenzügen im Hauptverkehrsnetz sowie auf Landesstraßen innerorts - umzusetzen.   Mit einer Änderung der Rahmenbedingungen wird die Ausnahme zur Regel. Die Vorteile von Verkehrsberuhigung und Tempo 30 im Ortsgebiet sind überzeugend.

VCÖ-Empfehlungen

Temporeduktion bringt Verkehrssicherheit und Lebensqualität und ist grundlegend für eine Verkehrswende in Städten und Gemeinden

  • Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit auf Haupt- und Nebenstraßen ist ein wichtiger Bestandteil für die notwendige Verkehrswende.

  • Tempo 30 statt 50 im Ortsgebiet senkt das Todesrisiko bei Verkehrsunfällen um rund 75 Prozent. Daher muss Tempo 30 zum Standard, Tempo 50 zur Ausnahme werden.

  • Die Straßenverkehrsordnung (StVO) ist dahingehend anzupassen, dass Städte und Gemeinden ohne Einschränkungen und Hindernisse Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit umsetzen können.

  • Insbesondere im Ortszentrum, in Wohngebieten sowie vor Schulen und Bildungseinrichtungen ist Tempo 30 einzuführen.

  • Optische Gestaltung des Straßenraums sowie bauliche Maßnahmen, etwa Aufpflasterungen, Mittelinseln und vorgezogene Gehsteige an Schutzwegen, sind wirksame Mittel zur Tempo-Reduktion und für höhere Verkehrssicherheit.

  • Tempolimits wirken nur, wenn sie auch eingehalten werden. Daher bedarf es auch weiterer Möglichkeiten der punktuellen Geschwindigkeitsmessung in Gemeinden und Städten.

Lina Mosshammer, VCÖ ‑ Mobilität mit Zukunft

„Tempo 30 statt Tempo 50 vermeidet viel menschliches Leid. Zudem verbessert es die Bedingungen zum Gehen und Radfahren und macht das Verkehrssystem kindgerechter.“

VCÖ-Factsheet "Tempo 30 für mehr Lebensqualität umsetzen" als PDF


Die inhaltliche und redaktionelle Erstellung des VCÖ-Factsheets erfolgt durch den VCÖ. Der Inhalt muss nicht mit der Meinung der unterstützenden Institutionen übereinstimmen. Dieses Factsheet entstand mit finanzieller Unterstützung von Land Tirol und Land Steiermark.


Quellen

Quellen

1 Bundesministerium für Inneres: Verkehrsstatistik 2022. Wien: 2023. - Stand: 29.03.2023 Weblink
2 Statistik Austria: Straßenverkehrsunfälle. Wien: 2022 Weblink
3 BMK – Bundesministerium für Verkehr, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie: Österreichische Verkehrssicherheitsstrategie 2021-2030. Wien: 2021. - Stand: 21.03.2023 Weblink
4 bmvit – Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie: Österreichisches Verkehrssicherheitsprogramm 2011 – 2020. Wien: 2016 Weblink
5 Bundesministerium für Inneres: Verkehrsstatistik 2022. Wien: 2023. - Stand: 29.03.2023 Weblink
6 Dufek M.: Berechnung des Anhalteweg. - Stand: 03.03.2023 Weblink
7 Österreichische Forschungsgesellschaft Straße Schiene Verkehr: Ein neuer Ansatz für höchstzulässige Geschwindigfkeiten im Straßenverkehr in Österreich aus synergetischer, nachhaltiger Sicht. FSV- Schriftenreihe 025. Wien: 2022 Weblink
8 Österreichische Akademie der Wissenschaften: Was Verkehrsunfälle weltweit kosten. Wien:2019 – Stand: 4.6.2021 Weblink
9 BMK: Volkswirtschaftliche Unfallkosten. Version 2017. Wien: 2017. Weblink
10 Schützenhöfer A.: Das Grazer Modell. In: Tempo 30 – Lebensraum Straße. Wien: Kuratorium für Verkehrssicherheit, 1999. - Stand: 9.1.2023 Weblink
11 Edinburgh: 20mph in Edinburgh – our story so far. - Stand: 21.03.2023 Weblink
12 Transport for London: New data shows significant improvements in road safety in London since introduction of 20mph speed limits. London 2023. – Stand: 13.02.2023 Weblink
13 Österreichische Forschungsgesellschaft Straße Schiene Verkehr: Ein neuer Ansatz für höchstzulässige Geschwindigkeiten im Straßenverkehr in Österreich aus synergetischer, nachhaltiger Sicht. FSV- Schriftenreihe 025. Wien: 2022   Weblink
14 Umweltbundesamt: Fragen & Antworten zu Tempolimits. Wien:2023. - Stand: 21.03.2023 Weblink
15 Bologna 30: Città30 nel Mondo. E a Bologna, perché no? - Stand: 20.03.2023 Weblink
16 Planoptimo, Verracon: Grundlagenstudie Investitionsbedarf Radverkehr. 28.4.2022 Weblink
17 Statistik Austria: Umweltbedingungen, Umweltverhalten 2019. Ergebnisse des Mikrozensus. Wien: 2020 Weblink
18 Umweltbundesamt Deutschland: Wirkung von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen. Dessau-Roßlau: 2016 Weblink
19 Umweltbundesamt Deutschland: Wirkung von Tempo 30 an Hauptverkehrsstraßen. Dessau-Roßlau: 2016 Weblink
20 Höfflin P.: Die Qualitäten urbaner Räume und deren Bedeutung für die Entwicklung von Kindern. In: Forum Wohnen und Stadtentwicklung, Child in the City, 1/2019 Weblink
21 Berechnungen auf Basis: FSV - Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr: RVS 03.04.12 Querschnittgestaltung von Innerortsstraßen - Grundtext. Wien, 2001.  
22 Umweltbundesamt: Fragen & Antworten zu Tempolimits. Wien: 2023. - Stand: 29.03.2023 Weblink
23 Schützenhöfer A.: Das Grazer Modell. In: Tempo 30 – Lebensraum Straße. Wien: Kuratorium für Verkehrssicherheit, 1999. - Stand: 9.1.2023 Weblink
24 Ambiente e non solo: Stadt 30 km/h: Brüssel ab 1.1.2021.- Stand 11.04.2023
Brussels Mobility: Wiki30-Monitoring. -Stand 2.4.2021
Weblink

25

Häfliger R,Urech S., Metron Verkehrsplanung AG: Wie funktioniert der ÖV bei Tempo 30? Bern: VCS, 2023.  – Stand: 10.1.2023 Weblink
26 Eugent Europäische Gesellschaft. AT Trendsetter-Städte für 30 km/h in Österreich. Berlin. - Stand: 17.03.2023 Weblink
27 Gemeinde Axams: Tempo 30. Axams.   – Stand: 21.03.2023 Weblink

 

Zurück zur Übersicht

Wie Verkehr die Hitzebelastung in Städten verschärft

Die Abwärme des Kfz-Verkehrs begünstigt gemeinsam mit den versiegelten Straßen- und Parkplatzflächen die städtische Hitzebildung. Diese beeinträchtigt die Lebensqualität und stellt ein Gesundheitsrisiko dar. Angesichts steigender Temperaturen sind Maßnahmen notwendig.

Mehr dazu
Radgarage an einem Bahnhof, am Gleis fährt ein Zug durch

Wie beeinflusst der Kfz-Verkehr die städtische Hitzebelastung?

In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahl der Hitze-Tage mit Temperaturen über 30 Grad Celsius in Österreichs Städten mehr als verdoppelt. Hitze ist ein erhebliches Gesundheitsrisiko, insbesondere für vulnerable Bevölkerungsgruppen. Der Kfz-Verkehr trägt nicht nur indirekt durch den CO2-Ausstoß zur Hitzebelastung bei. Die Hitzebelastung wird durch die beim Fahren vom Motor erzeugte Abwärme, die Schadstoffemissionen und durch die für Straßen und Parkplätze mit Asphalt versiegelten Flächen verstärkt.

Mehr dazu
Foto: Spencer Imbrock, unsplash