VCÖ-Factsheet: Gesellschaft im Wandel verändert die Mobilität
Die gesellschaftlichen Entwicklungen und Trends verändern das Mobilitätsverhalten und damit auch die Anforderungen an das Mobilitätssystem. Die Angebote müssen vielfältiger, flexibler und auch individueller werden.
VCÖ-Factsheet 2015-12 als PDF (3,3 MiB)
Die Auswirkungen gesellschaftlicher Entwicklungen auf die Mobilität in Österreich sind vielfältig. Veränderungen am Arbeitsmarkt, sozioökonomische Spaltungen, Migration und der technologische Fortschritt bedingen einen Wandel der Mobilität – teilweise rasch und intensiv.
Die Zahl älterer Menschen nimmt österreichweit zu, das Bevölkerungswachstum beschränkt sich dagegen auf die Ballungsräume. Zu den wirtschaftlichen und demografischen Entwicklungen kommen zusätzlich soziokulturelle Veränderungen. Neue soziale Milieus und Lebensstile entstehen, insgesamt kommt es zu größerer gesellschaftlicher Vielfalt.
Bedarf an nachhaltiger Mobilität steigt
Die Urbanisierung macht eine effizientere Nutzung der knappen räumlichen Ressourcen notwendig. Öffentlicher Verkehr sowie Gehen und Radfahren sind nicht nur energieeffizienter, sie verbrauchen auch deutlich weniger Platz als der Kfz-Verkehr. Auch das Erreichen der Klimaziele ist nur durch mehr umweltfreundliche Mobilitätsangebote möglich. Entwicklungen wie die Digitalisierung verbessern die Fahrgastinformation und erleichtern die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel. Trends wie Sharing tragen dazu bei, dass vor allem Jüngere lieber Carsharing nutzen statt ein eigenes Auto zu besitzen.
Bis in die 1990er-Jahre übersiedelten Menschen aus der Stadt ins Umland. Heute erleben wir eine Re-Urbanisierung. Auf Österreichs sechs Großstadtregionen wird sich in Zukunft das Bevölkerungswachstum konzentrieren.
Urbanisierung ermöglicht mehr Menschen ein umweltfreundliches Mobilitätsverhalten
Dichte und kompakte Siedlungen in der Stadt bedeuten, dass die Menschen weniger Kilometer zurücklegen müssen, um ihre Alltagsziele zu erreichen. In den Städten ist es leichter, diese Ziele mit öffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuß oder mit dem Rad zu erreichen. Schon heute wird in den größeren Städten die Mehrheit der Alltagswege ohne Auto zurückgelegt. In Wien, Graz, Innsbruck, Linz und Klagenfurt geht der Pkw-Motorisierungsgrad bereits zurück.
Großer Handlungsbedarf herrscht beim Pendelverkehr aus dem Umland in die Städte. Allein in Wien überqueren stadteinwärts täglich mehr als 500.000 Personen die Stadtgrenze, davon fast acht von zehn im Auto. Um nachhaltige Verkehrs- und Siedlungsstrukturen zu schaffen, braucht es stärkere Kooperationen zwischen Stadt und Umland.
Flexible Arbeitswelt braucht verbessertes Mobilitätsangebot
Statt der 8 bis 17 Uhr Arbeitszeiten ist flexible Zeiteinteilung schon weit verbreitet. Immer mehr Beschäftigte arbeiten zu Tagesrandzeiten oder am Wochenende, die Zahl der Teilzeitbeschäftigten nimmt zu. Die Zersplitterung der Arbeitszeit erhöht den persönlichen Verkehrsaufwand. Häufig sind mehrmals pro Tag mehrere Arbeitswege zurückzulegen. Das öffentliche Verkehrsangebot ist diesen Änderungen anzupassen, es braucht auch am Abend und am Wochenende häufigere Verbindungen.
Mehr Patchwork-Familien und Ein-Personen-Haushalte
Eine wachsende Gruppe sind multilokal wohnende Kinder und Jugendliche. In Österreich gab es im Jahr 2013 rund 63.500 Stief- oder Patchwork-Familien. Insgesamt nimmt in allen Bundesländern die Zahl der Nebenwohnsitze zu, wodurch sich die Anzahl zurückgelegter Kilometer erhöht.
Steigend ist auch die Zahl der Ein-Personen-Haushalte. Neben der wachsenden Anzahl älterer Menschen, ist auch die spätere Familiengründung junger Menschen die Ursache dafür. Diese besitzen besonders selten einen eigenen Pkw. In Städten ab 50.000 Personen liegt der Anteil der Ein-Personen-Haushalte bereits bei 47 Prozent.
Digitalisierung und Online-Shopping
84 Prozent der 16- bis 74-jährigen Bevölkerung nutzen das Internet, davon sind 72 Prozent auch per Smartphone online. Das Internet ist bereits die wichtigste Informationsquelle zum Öffentlichen Verkehr. Die Digitalisierung bietet auch neue Möglichkeiten für das Ticketing und für Mobilitätskarten, die nicht nur für den Öffentlichen Verkehr, sondern auch für Carsharing oder Leihräder gelten.
74 Prozent der Internetnutzenden suchen online Informationen über Waren oder Dienstleistungen, 58 Prozent aller Personen von 16 bis 74 Jahren kaufen online ein. Das hat zu einer stark steigenden Nutzung von Lieferdiensten geführt.
Die Gruppe der Älteren wird vielfältiger
Die Zahl der älteren Menschen wird in den kommenden Jahren stark zunehmen. Gleichzeitig wird die Gruppe der Seniorinnen und Senioren heterogener. Die Bedürfnisse und Anforderungen an seniorengerechte Mobilitätsangebote sind sehr verschieden. Schon heute sind viele ältere Menschen mit neuen technologischen Entwicklungen vertraut, in Zukunft werden es noch mehr sein. Gleichzeitig braucht es auch entsprechende Angebote für jene, die kein Internet und keine mobilen Dienste nutzen. Im Öffentlichen Verkehr betrifft das beispielsweise die Fahrgastinformation und das Ticketing.
Multimodale Mobilität und Sharing sind wichtige Zukunftstrends
Immer mehr junge Menschen wollen ohne Auto-besitz mobil sein, insbesondere im urbanen Raum. Neue Technologien erleichtern das Planen von Wegen, das Vergleichen von Verkehrsmitteln und die flexible, spontane Kombination von Öffentlichem Verkehr, Fahrrad, Gehen und Carsharing. Im Idealfall kombinieren Apps und Dienstleistungen verschiedene Angebote, wie Auskunftsservices, die auf der Verkehrsauskunft Österreich (VAO) beruhen, oder das Projekt Smile, das neben öffentlichen Verkehrsmitteln auch Sharing-Angebote integriert. Laut Prognosen für Deutschland wird der Carsharing-Markt bis zum Jahr 2020 um 30 Prozent jährlich wachsen.
Flexibilisierung nimmt zu
Die jüngeren Generationen nutzen Smartphones und Tablets nicht nur häufiger als ältere, sie strukturieren auch ihren Alltag über deren Nutzung. „Always online“ verändert den Tagesrhythmus, die sozialen Kontakte und auch die Mobilität – Verabredungen und Ziele können in der Freizeit spontan geändert, Verkehrsmittel flexibel ausgewählt werden. Der zunehmende Bedarf an Flexibilität drückt sich auch im Boom des Radfahrens insbesondere in den Städten aus. Die Zahl der Elektro-Fahrräder – in Österreich gibt es bereits mehr als 200.000 – und der Lastenfahrräder wird weiter zunehmen. Im Großraum Kopenhagen besitzt bereits jede vierte Familie mit Kind ein Lastenfahrrad.
Mobilitätsangebote fit für Zukunft machen
Viele gesellschaftliche Entwicklungen und Trends können wesentlich dazu beitragen, dass die Mobilität energieeffizienter, gesünder und für die Bevölkerung kostengünstiger wird. So sollte die Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu häufigeren Bahn- und Busverbindungen auch am Abend und am Wochenende führen. Der Trend des Sharing erhöht die Bereitschaft zum Carsharing und zur Nutzung von Leihfahrrädern. Werden Bahnhöfe zu multimodalen Verkehrsknotenpunkten ausgebaut, steigt für mehr Menschen die Freiheit in der Verkehrsmittelwahl.
Verkehr in Österreich auf Klimakurs bringen
Der Klimawandel ist eine bestimmende Rahmen-bedingung für die zukünftige Mobilitätsentwicklung. Das Ziel, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu beschränken, ist nur erreichbar, wenn der Verkehrsbereich auf Klimakurs gebracht wird.
Der Verkehr ist Österreichs größtes Klimaschutzproblem. Seit dem Jahr 1990 sind die klimaschädlichen Emissionen des Verkehrs um rund 60 Prozent gestiegen, so stark wie in keinem anderen Sektor. Gemäß EU-Weißbuch haben die CO2-Emissionen des Verkehrs bis zum Jahr 2050 um 60 Prozent unter denen des Jahres 1990 zu liegen. Um die Klimaziele zu erreichen, müssen in Österreich die Emissionen des Verkehrs im Vergleich zu heute um 76 Prozent verringert werden. Die gesellschaftlichen Entwicklungen sind zu nutzen, um dieses Ziel zu erreichen.
VCÖ-Empfehlungen
Mobilitätsangebot an sich ändernde Bedürfnisse und Anforderungen anpassen
• Größere Flexibilität schaffen, indem Wege von Tür zu Tür ohne eigenes Auto ermöglicht werden. Vernetzung des Öffentlichen Verkehrs mit ergänzenden Diensten und bessere Abstimmung öffentlicher Verkehrsmittel untereinander. Fahrrad und E-Bike besser mit Öffentlichem Verkehr vernetzen, Leihradsysteme ausbauen.
• Urbanisierung und Digitalisierung für nachhaltige Mobilität nutzen: Dichtes Angebot an Öffentlichem Verkehr und rechtzeitig ausreichend Kapazitäten sicherstellen. Gemeinsame Raum- und Verkehrsplanung in den Stadtregionen einführen. Potenziale von E-Mobilität im Stadt-Umland-Verkehr und im Wirtschaftsverkehr nutzen.
• Mobilitätsgarantie für ländliche Regionen: Hohe Mindeststandards an Grundangebot des Linienverkehrs und Ergänzung durch flächendeckend flexible Bedienmodelle wie Gemeinde-busse oder Anruf-Sammeltaxis, Carsharing über Gemeinden und Privatpersonen forcieren.
• Angebot und Tarife an flexiblere Arbeitszeiten anpassen: Häufigere Verbindungen auch in den Abendstunden, Ausweitung der Betriebszeiten. Attraktive Tarife für Teilzeitbeschäftigte, Kombination mit Freizeitwegen und Zusatzangeboten, Ticketing vereinfachen.
• „Die Jungen“ und „die Älteren“ werden zunehmend heterogen mit sehr unterschiedlichen Lebensstilen und Mobilitätsbedürfnissen. Der Öffentliche Verkehr muss daher flexibler und individueller werden.
• Selbstständige Mobilität für ältere Menschen und Kinder sicherstellen: Reduziertes Tempo im Verkehr, gute Bedingungen zum Gehen und Radfahren, Mikro-ÖV, Lieferdienste.
Mag. Markus Gansterer, VCÖ-Verkehrspolitik:
>> Angesichts der tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen muss sich ein umweltfreundliches und sozial nachhaltiges Mobilitätssystem noch stärker an die Bedürfnisse der Menschen anpassen. <<
Die VCÖ-Publikation „Gesellschaftliche Entwicklungen verändern die Mobilität“ zeigt, welche neuen Anforderungen an das Mobilitätsangebot durch gesellschaftliche Veränderungen entstehen.
Die Publikation kann hier oder unter der Telefonnummer +43-(0)1-893 26 97 um 30 Euro bestellt werden.