VCÖ-Factsheet: Mobilität in Regionen auf Klimakurs bringen

Fast die Hälfte der Bevölkerung Österreichs lebt in peripheren Bezirken. Der Autoanteil an der Mobilität ist hoch, ebenso der dadurch verursachte CO2-Ausstoß. Das klimaverträgliche Mobilitätsangebot in den ländlichen Regionen ist massiv zu verbessern.

VCÖ-Factsheet 2019-02 als PDF

Regionale Zentren haben als Arbeits-, Schul- und Einkaufsstandorte wichtige Funktionen für die umliegenden Gemeinden. Mit dem Auto sind die regionalen Zentren österreichweit rasch erreichbar, die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln weist hingegen große regionale Unterschiede auf. Während im Bezirk Dornbirn 94 Prozent und im Bezirk Korneuburg 93 Prozent der Bevölkerung das regionale Zentrum innerhalb einer halben Stunde mit Bahn oder Bus erreichen können, sind es im Bezirk Rohrbach nur 27 Prozent. In etlichen Regionen ist das öffentliche Verkehrsangebot an schulfreien Tagen besonders mangelhaft.

Zersiedelung kommt Gemeinden sehr teuer 

Je geringer die Siedlungsdichte, umso höher der Autoanteil. Der hohe Pkw-Motorisierungsgrad verschlechtert die Klimabilanz und erhöht die Mobilitätskosten für die Haushalte. Zudem sind die Erschließungskosten für Gemeinden bei Streusiedlungen um ein Vielfaches höher als für Mehrfamilienhäuser im Ortskern. Gemeinden können durch die Schaffung kompakter Siedlungsstrukturen und die Stärkung der Ortskerne dazu beitragen, dass die Bevölkerung kostengünstiger und umweltverträglich mobil sein kann. Zudem ist die Infrastruktur für das Gehen und den Radverkehr auszubauen.

In den peripheren Bezirken Österreichs wird deutlich mehr Auto gefahren als im Österreich-Schnitt. Im Schnitt legt ein Bewohner eines peripheren Bezirks 11.580 Kilometer pro Jahr mit dem Auto zurück, um rund 2.000 Kilometer mehr als im Österreich-Schnitt. Dadurch verursacht die Mobilität der peripheren Bezirke auch deutlich mehr klimaschädliches CO2. Da 46 Prozent der Bevölkerung Österreichs in diesen Regionen wohnen, spielen die ländlichen Regionen eine zentrale Rolle, um den Verkehrsbereich auf Klimakurs zu bringen. Der Pkw-Motorisierungsgrad ist in den peripheren Bezirken seit dem Jahr 2005 um ein Fünftel gestiegen, auf 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner kommen bereits 638 Pkw. Zum Vergleich: In den Großstädten außerhalb Wiens nahm die Zahl der Autos pro 1.000 Personen um nur drei Prozent zu, in Wien gab es einen Rückgang um sieben Prozent.

Siedlungskerne und Nahversorgung stärken

Der Anteil der Autofahrten nimmt zu, je höher der Anteil der außerhalb der Siedlungskerne wohnenden Personen ist. So ist in Oberösterreich der Anteil von Öffentlichem Verkehr, Gehen und Radfahren in Gemeinden mit Siedlungskern mit 27 Prozent der an Werktagen zurückgelegten Wege um sechs Prozentpunkte höher als in Orten ohne Siedlungskern. 

Haushalte in weniger dicht besiedelten Regionen besitzen im Durchschnitt mehr Pkw. Die Stärkung der Ortskerne ist ein wichtiger Faktor, um klimaverträglicheren Verkehr zu ermöglichen.
In vielen Bezirken Österreichs ist das Angebot des Öffentlichen Verkehrs stark davon abhängig, ob Schultag ist oder nicht.
Die durchschnittliche Reisezeit mit dem Öffentlichen Verkehr ins nächstgelegene regionale Zentrum liegt in Österreich bei rund 20 Minuten. Die Differenz zum Pkw variiert je Bundesland.

Damit die Klimabilanz der Mobilität in den ländlichen Regionen verbessert wird, ist es wichtig, dass Arbeitsplätze, Versorgungseinrichtungen sowie Wohngebiete in der Nähe von Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs errichtet werden. Personen, die in Österreich vom Wohnort aus innerhalb von fünf Minuten zu Fuß eine Haltestelle erreichen, legen 19 Prozent ihrer werktäglichen Wege mit dem Öffentlichen Verkehr zurück. Liegt die nächste Haltestelle mehr als 15 Minuten zu Fuß entfernt, sinkt der Anteil des Öffentlichen Verkehrs auf acht Prozent. An Wohnorten, die innerhalb von fünf Geh-Minuten an Haltestellen liegen, ist auch der Anteil des Gehens und Radfahrens rund doppelt so hoch wie an Wohnorten, die mehr als 15 Minuten zu Fuß von Haltestellen liegen. Während außerhalb Wiens für 97 Prozent der Bevölkerung in Österreich regionale Zentren innerhalb von 30 Minuten mit dem Auto erreichbar sind, ist das mit dem Öffentlichen Verkehr an schulfreien Werktagen am Vormittag nur für 65 Prozent der Bevölkerung möglich. Eine bessere Anbindung der regionalen Zentren an ihr Einzugsgebiet ist eine wesentliche Voraussetzung für mehr Nutzung des Öffentlichen Verkehrs.

Bahn und Bus nachfragegesteuert ergänzen

Die Modernisierung von Regionalbahnen ist entscheidend, um Regionen wirtschaftlich attraktiv zu halten. Taktfahrpläne sorgen für regelmäßige Abfahrten zu leicht merkbaren Zeiten und ermöglichen die bessere Verknüpfung verschiedener Linien. Bei den 19 Regionalbahnen in Österreich ist die Zahl der Fahrgäste zwischen den Jahren 2012 und 2017 um 3,9 Millionen auf 36,5 Millionen Fahrgäste gestiegen. Das zeigt, dass es bei einem attraktiven Angebot auch eine hohe Nachfrage gibt. Während der regionale Schienenverkehr das Rückgrat klimaverträglicher Mobilität ist, sind für die Flächenbedienung Buslinien sowie als zeitliche oder lokale Ergänzung zum Linienverkehr nachfragegesteuerte Angebote wie Rufbusse und Sammeltaxis notwendig. In Österreich gibt es zahlreiche unterschiedliche und erfolgreiche Beispiele für Mikro-ÖV-Systeme.

Individuelle Mobilität ohne Autobesitz sichern

Ergänzende Mobilitätsdienstleistungen rund um Haltestellen, wie Carsharing oder Radleihsysteme, vergrößern Einzugsgebiet und Flexibilität für Nutzende. Öffentlich zugängliche Verkehrsmittel sichern individuelle Mobilität ohne Fahrzeugbesitz. Laut Mindest-Bedienstandards in der Schweiz müssen dort zum Beispiel in und aus allen Orten, in denen mindestens 300 Personen wohnen, arbeiten oder eine Ausbildung absolvieren, zwölf Mal am Tag Busse geführt werden. Für Österreich wurden derartige Standards zwar im Jahr 2014 definiert, bisher aber noch nicht flächendeckend umgesetzt. Der Bregenzerwald ist ein Beispiel für einen attraktiven Regionalbusverkehr. Immerhin 14 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner haben eine Jahreskarte für den Landbus, Tendenz steigend.

E-Fahrzeuge für ländliche Regionen ideal 

Wenn der Einsatz von Pkw nötig ist, sind die Voraussetzungen für eine Elektrifizierung in den Regionen allgemein gut. Neun von zehn Bezirken mit den höchsten E-Pkw-Anteilen in Österreich liegen im ländlichen Raum. In den peripheren Bezirken sind 92 Prozent der Wohngebäude Ein- oder Zweifamilienhäuser, private Ladeinfrastruktur kann in der Garage oder im Carport installiert werden. Selbst in den peripheren Bezirken sind 94 Prozent der Pkw-Wege kürzer als 50 Kilometer und somit ohne Probleme mit den Reichweiten von E-Pkw erreichbar. Außerdem können in Österreich rund 170 Quadratkilometer allein an Dachfläche zur solaren Stromgewinnung genutzt werden. Das realistische technische Potenzial für Photovoltaik an Gebäuden liegt beim bis zu Zehnfachen des Strombedarfs für die durchschnittlich 13.800 Jahres-Kilometer pro Pkw in peripheren Bezirken. Da Pkw in den Regionen im Jahresdurchschnitt weiter gefahren werden, amortisieren sich höhere Anschaffungskosten und Investitionen in dezentrale Stromerzeugung durch die im Vergleich zu Pkw mit Verbrennungsmotoren niedrigeren Betriebskosten von E-Pkw schneller als in der Stadt. Viele Zweit und Dritt-Pkw können durch E-Fahrzeuge oder E-Carsharing ersetzt werden. Beispielsweise betreibt der E-Carsharing-Verein „fahrvergnügen.at“ an rund 20 Standorten in Gemeinden und Städten Niederösterreichs mehr als 40 E-Pkw. 

Großes Potenzial für Gehen und Radfahren 

53 Prozent aller Wege in Österreich sind Binnenwege innerhalb der Gemeinde oder Stadt, ein großes Potenzial für bewegungsaktive Mobilität. Fußwegdistanzen zu Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs werden in Gebieten mit Geschäften kürzer empfunden, als in reinen Wohngebieten. Die Förderung des Radfahrens bedarf einer Angebotsstrategie. Neu geschaffenes Angebot ruft eine Nachfrage und Nutzung hervor, die es vorher nicht gegeben hat. Mit einem Radverkehrsanteil von fast sieben Prozent wird in Österreich jährlich ein gesellschaftlicher Nutzen von rund 1,2 Milliarden Euro erzielt. Kann der Radverkehrsanteil wie von der Bundesregierung geplant bis zum Jahr 2025 auf 13 Prozent erhöht werden, entspräche dies einem Nutzen von rund 2,3 Milliarden Euro.

Zersiedelung stoppen, Ortskerne stärken

Für die Mobilitätswende ist der Verkehr in den Regionen ein entscheidender Faktor. Je größer die Zersiedelung in einem Gebiet und je geringer die Siedlungsdichte, desto länger sind die Wege zum Öffentlichen Verkehr und desto unattraktiver ist es, zu Fuß zu gehen oder mit dem Rad zu fahren. Der Motorisierungsgrad in Österreichs Bezirken mit einer Besiedlungsdichte von weniger als 250 Einwohnenden pro Quadratkilometer Dauersiedlungsraum liegt mit 658 Pkw pro 1.000 Einwohnenden um fast die Hälfte höher als in Bezirken mit mehr als 2.000 Einwohnenden pro Quadratkilometer. Der Neubau von Siedlungen „auf der grünen Wiese“ bedingt weite Wege und somit für Gemeinden viel höhere Erschließungs- und Erhaltungskosten als das Bauen im bereits besiedelten Gebiet.

Viel Verkehr ist durch Raumordnung vermeidbar 

Bei dispersen Siedlungen werden nur 37 Prozent der Erschließungskosten von den Nutzenden direkt bezahlt. Zusätzlich erhöhen sich die Erhaltungskosten für die Verkehrsinfrastruktur um den Faktor vier. Durch Vorgaben für Größe und Anordnung der Bauparzellen, Art und Dichte der Bebauung und Organisation der abgestellten Pkw kann die Nahmobilität gestärkt werden. Die Initiative „Interkommunale Betriebsansiedlung” in Oberösterreich etabliert regionale Zusammenarbeit bei der betrieblichen Standortentwicklung. Mit Februar 2019 gibt es 28 gemeindeübergreifende Kooperationsgemeinschaften, in denen 303 von 440 Gemeinden in Oberösterreich eingebunden sind. Die Kosten und Erträge werden anteilsmäßig aufgeteilt.


VCÖ-Empfehlungen

Gemeindeentwicklung „innen vor außen“ 

• Verdichtung in Zentrumsnähe mit hoher Qualität des öffentlichen Raums, Nutzung bestehender Baulandreserven und Gebäude, kommunale Energieraumplanung
• Neue Siedlungen nur in fußläufiger Distanz zum Ortszentrum, mit hoher Dichte, flächensparender Bauweise und Anbindung an Öffentlichen Verkehr und Radwegenetze  Öffentlichen Linienverkehr lückenlos mit Mikro-ÖV ergänzen, langfristig finanziert und in das Verbundangebot integriert

Gehen und Radfahren zur ersten Wahl machen 

• Auch in ländlichen Gebieten sind viele Alltagswege und Pkw-Strecken kurz. Qualitätsvolle, barrierefreie und sichere Infrastruktur für Gehen und Radfahren schaffen 

Öffentlichen Verkehr als Rückgrat der Mobilitätswende stärken 

• Hauptlinien des Öffentlichen Verkehrs mit dichtem Takt ergänzen. Nachfragegesteuerte, öffentlich zugängliche Verkehrsmittel wie Sammeltaxis und Sharing-Systeme ermöglichen eine lückenlose Mobilitätsgarantie
• Erreichbarkeit regionaler Zentren mit öffentlich zugänglichem Verkehr auch an schulfreien Tagen und an Tagesrandzeiten gewährleisten

Die Autos, die notwendig sind, gemeinsam nutzen und elektrifizieren 

Die Voraussetzungen für den Umstieg auf E-Pkw und E-Carsharing sind in Gemeinden und Regionen aufgrund der Distanzen, Lademöglichkeit im Eigenheim und hohen Anteil an Zweitautos sehr gut

VCÖ-Factsheet 2019-02 als PDF

Michael Schwendinger,
VCÖ-Mobilität mit Zukunft:

„Im digitalen Zeitalter bedeutet Freiheit in der Mobilität vor allem eine Vielzahl von Möglichkeiten flexibel auswählen und kombinieren zu können. Es wird Zeit, dass dies auch für Regionen gilt, indem die bewährten Mikro-ÖV-Systeme weiterentwickelt und in ein Gesamtangebot integriert werden.“


Der VCÖ-Einsatz für eine Mobilität mit Zukunft braucht die Unterstützung durch Spenden. Spenden für die VCÖ-Tätigkeit sind steuerlich absetzbar. 

Spenden-Konto:
Erste Bank. IBAN:
AT11 2011 1822 5341 2200
BIC: GIBAATWWXXX

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Stundentakt und Sharing

Gemeindeübergreifend wurde im Lieser- und Maltatal in Kärnten im Jahr 2018 ein neues Linienbussystem mit Stundentakt ins nächste regionale Zentrum Spittal an der Drau umgesetzt.

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Foto: Zwei Busse und vier Carsharing-Autos stehen nebeneinander

Innen- vor Außenentwicklung

Bereits im Jahr 2012 startete der partizipative Prozess „Krummnußbaum 2025“ zur Weiterentwicklung des örtlichen Entwicklungskonzepts.

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Foto: Rathaus Krummnußbaum