VCÖ-Factsheet: Wie Städte die Mobilitätswende voranbringen

Die Dekarbonisierung des Verkehrs in den Städten ist deutlich vor dem Jahr 2050 notwendig und erreichbar. Europaweit setzen Städte auf die Umnutzung von Parkplätzen und Fahrbahnen, die Förderung von Gehen und Radfahren sowie auf den Öffentlichen Verkehr.

VCÖ-Factsheet 2019-07 als PDF

Städte müssen vor dem Jahr 2050 klimaneutral werden, damit die Klimaziele österreichweit eingehalten werden können. Für die Mobilitätswende sind die Ausgangsbedingungen in Städten gut und zahlreiche Beispiele zeigen, dass klimaverträgliche Mobilität nicht nur die Verkehrssituation in Städten verbessert, sondern auch Lebensqualität und Gesundheit. Faktoren, wie die hohe Bevölkerungsdichte, die Verfügbarkeit unterschiedlicher Transportmittel sowie das Potenzial für kurze Wege bieten gute Ausgangsbedingungen für innovative und effiziente Verkehrslösungen. Neue Sharingangebote oder Taxi- Dienste ermöglichen flexible, individuelle Mobilität.

Verkehr vermeiden, verlagern, verbessern

Die Planung von Verkehr und Stadtentwicklung haben sich an den Zielen der Mobilitätswende zu orientieren, nicht an der Fortschreibung von Trends. Der Grundsatz „Verkehr vermeiden, dann Verkehr verlagern, dann Verkehr verbessern“ kann in urbanen Mobilitätsstrategien durch die Umsetzung einer Stadt der kurzen Wege, der Förderung von aktiver Mobilität, öffentlich zugängliche Mobilitätsangebote, Multimodalität und Sharing sowie Elektrifizierung von Fahrzeugen verfolgt werden. Für das Funktionieren der Stadt ist Mobilität über ihre Grenzen hinaus zu organisieren. In Städten treffen unterschiedliche Nutzungsansprüche im beschränkt verfügbaren öffentlichen Raum aufeinander, etwa Wohnen, Arbeiten, lokale Wirtschaft und Tourismus. Der starke Fokus auf den Pkw in der städtischen Entwicklung im 20. Jahrhundert hatte direkte und indirekte Effekte auf Lebensqualität, Gesundheit sowie Barriere- und Bewegungsfreiheit der Bevölkerung. Die Umgestaltung von ausschließlich dem Kfz-Verkehr zur Verfügung stehenden Flächen in multifunktional nutzbaren, allgemein zugänglichen öffentlichen Raum und zu Grünflächen ist eine zentrale Voraussetzung sowohl für eine klimaverträgliche urbane Mobilität und hohe Lebensqualität als auch für die Verringerung von Verkehrsproblemen der wachsenden Ballungsräume.

Dominante Rolle des Autos hinterfragen

Die Bedeutung des Autos nimmt in den Städten bereits ab. In Wien kamen im Jahr 2018 auf 1.000 Einwohnende 374 Pkw, im Jahr 2005 waren es noch 403 Pkw. In Zürich und Berlin sind bereits mehr als 50 Prozent der Haushalte autofrei. In Wien sind 42 Prozent der Haushalte autofrei, in Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck jeder dritte Haushalt. Obwohl die Wiener Bevölkerung nur 29 Prozent ihrer Alltagswege mit dem Pkw zurücklegen, macht der Anteil der Kfz-Fahrbahnen an der gesamten Verkehrsfläche 67 Prozent aus. In Graz wird 92 Prozent der Fläche für den ruhenden Verkehr von abgestellten Autos in Anspruch genommen, lediglich acht Prozent entfallen auf Haltestellen des Öffentlichen Verkehrs, Bereiche für Gehende und Radabstellmöglichkeiten.

Städte wollen rasch klimaneutral werden

Zahlreiche europäische Städte übernehmen mit einem sogenannten „Climate Action Plan“ Verantwortung. Kopenhagen hat es sich beispielsweise zum Ziel gemacht, durch Förderung von erneuerbarer Energie schon bis zum Jahr 2025 die erste klimaneutrale Stadt in Europa zu werden. Barcelona hat sich Klimagerechtigkeit als ein strategisches Ziel gesetzt. Oslo will mit Hilfe eines Klimabudgets auf Gemeindeebene bis zum Jahr 2030 die Treibhausgas- Emissionen um 95 Prozent senken.

Mit Gewinn an Platz mehr Nutzen schaffen

In Oslo wurde im Jahr 2015 beschlossen, die Innenstadt autofrei zu gestalten. Im Jahr 2018 wurde die Fläche von mehr als 700 abgestellten Pkw in Radwege, Grünflächen und Platz für Gehende umgewandelt. Die Anzahl der Gehenden im Stadtzentrum hat um zehn Prozent zugenommen. In Rotterdams Innenstadt sollen bis zum Jahr 2020 insgesamt 3.000 Pkw-Abstellplätze im öffentlichen Raum in Geh- und Radwege, Aufenthaltsflächen, Radabstellanlagen und Grünflächen umgewandelt werden. Mit Ende des Jahres 2018 war bereits die Fläche von 1.200 abgestellten Pkw zur multifunktionalen Nutzung umgebaut. Die Parkgebühren entlang der Straßen wurden im Jahr 2019 auf vier Euro pro Stunde angehoben, in Tiefgaragen auf zwei Euro pro Stunde reduziert. Amsterdam will bis zum Jahr 2025 die Zahl der Parkplätze im Wohnumfeld insgesamt um 11.200 reduzieren, Brüssel will die Zahl der Pkw-Stellplätze um 65.000 bis zum Jahr 2030 verringern. Die Stadt Bern plant die Hälfte der 17.000 öffentlichen innerstädtischen Pkw-Abstellplätze in multifunktional nutzbare Flächen umzuwandeln.

Der weitaus größte Teil des öffentlichen Raums wird derzeit den Pkw zur Verfügung gestellt, sollte aber multifunktional genutzt werden.
Die städtische Bevölkerung kann deutlich klimaverträglicher mobil sein als die Bevölkerung in den Regionen.
Im Zuge der Umgestaltung einer Hauptverkehrsroute in Kopenhagen zwischen dem Stadtteil Nørrebro und dem Zentrum queren trotz Reduktion um zwei Kfz-Spuren rund 20 Prozent mehr Menschen die Brücke.

Städte vom Kfz-Durchfahrtsverkehr befreien

Sloweniens Hauptstadt Ljubljana hat die Innenstadt tiefgreifend transformiert, unter anderem wurde ein Teil der Kfz-Hauptverkehrsachse Slovenska Cesta zur Flaniermeile für Gehen und Radfahren. In Paris wurde neben vielen anderen Maßnahmen am rechten Seine-Ufer eine Schnellstraße mit mehr als 40.000 Kfz pro Tag zu einer Promenade für Gehen und Radfahren umgestaltet. Dänemarks drittgrößte Stadt Odense hat im Jahr 2018 begonnen, die Fläche der vierspurigen, bis dahin für den Kfz-Verkehr reservierten Hauptdurchfahrtsstraße zu einem neuen Stadtentwicklungsgebiet umzugestalten, mit Platz für neue Gebäude sowie Gehen und Radfahren. Utrecht hat bereits im Jahr 2015 eine vierspurige Straße zu einem Schiffskanal und einem Park umgewandelt. In Groningen in den Niederlanden sind zwar alle Haushalte per Auto zu erreichen, Kfz dürfen aber seit dem Jahr 1977 das Stadtzentrum nicht durchfahren. Dies führte zu einem Radverkehrsanteil von 61 Prozent in der Kernstadt und 33 Prozent insgesamt.

Mit Rad und Öffentlichem Verkehr ins Zentrum

Auch in Houten in den Niederlanden dürfen Pkw nur über eine Ringstraße in die Innenstadt zufahren. In den letzten 40 Jahren gab es in Houten keinen tödlichen Verkehrsunfall. Leuven in Belgien hat ein ähnliches Modell im Jahr 2016 umgesetzt. Nach nur einem Jahr war der Radverkehrsanteil in der Innenstadt um ein Drittel gestiegen. In Gent ist seit dem Jahr 2017 die Zentrumsquerung nur mit Fahrrad und zu Fuß erlaubt. Nach der Umsetzung wurde die Regierungskoalition mit 59 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Das Fahrrad ist auf Strecken bis zu fünf Kilometer durchschnittlich das schnellste urbane Verkehrsmittel, für längere Wege ist der Öffentliche Verkehr dank seiner hohen Flächeneffizienz für Städte ideal. In Dänemark verbinden Radschnellwege, sogenannte „Cycle Superhighways“, im Pendelverkehr die umliegenden Gemeinden mit Kopenhagen und untereinander. Sie werden für einfaches Umsteigen strategisch in der Nähe von Bahnstationen platziert. 25 Prozent der Nutzenden hatten zuvor für diese Wege das Auto verwendet. Die spanische Stadt Sevilla konnte durch die Umsetzung eines einheitlichen Konzepts für ein flächendeckendes Radwegenetz den Radverkehrsanteil in nur fünf Jahren von 2006 bis 2011 von unter einem auf neun Prozent anheben. Der Öffentliche Verkehr ist mit seiner hohen Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig geringem Energieund Platzbedarf das ideale Verkehrsmittel für urbane Mobilität. Mit Abstand am meisten vom knappen Platz in Städten beansprucht je transportierter Person der Pkw-Verkehr. Während die Wiener U-Bahn in der Spitzenstunde in eine Richtung rund 14.800 Personen transportiert, liegt die Kapazität einer Autobahnspur bei rund 2.000 Kfz pro Stunde, das sind beim aktuellen Besetzungsgrad nur rund 2.300 Personen. Beim Einpendelverkehr in die Städte dominiert nach wie vor der Pkw, so etwa nach Wien mit immer noch 74 Prozent. Anders in der Schweiz, wo in Städten mit mehr als 100.000 Einwohnenden nur ein Viertel der Pendelnden mit dem Auto unterwegs ist, 53 Prozent mit dem Öffentlichen Verkehr, in Zürich sogar 65 Prozent.

Öffentlichen Verkehr auf der Schiene ausbauen

Der Wiener Zentralraum, St. Pölten, Linz, Wels, Salzburg sowie der Raum Graz, das Inntal und das Rheintal zählen zu den stärksten Wachstumsregionen in Österreich. Sowohl die Kernstädte als auch das Stadt-Umland nimmt an Bevölkerung zu. Dies führt zu mehr Pendelwegen in die Kernstädte, wo sich Arbeitsplätze konzentrieren. S-Bahnen bilden in allen Ballungsräumen das Rückgrat des Öffentlichen Verkehrs. Erfolgsfaktor für Stadt-Umland-Verbindungen ist Umsteigefreiheit bis in das Stadtzentrum. Zahlreiche kleinere Bahnen wie die Badner Bahn oder die Salzburger Lokalbahn ergänzen die „Vollbahnen“ in die Stadtzentren und sind weiter auszubauen.  


VCÖ-Empfehlungen

Klimaneutrale Mobilität in Städten erreichen

  • Die Planung von Verkehr und Stadtentwicklung an den Zielen von Dekarbonisierung und Mobilitätswende ausrichten anstatt an der Fortschreibung des Bestehenden
  • Kurze Wege ermöglichen sowie Gehen und Radfahren fördern, weitere Strecken auf den Öffentlichen Verkehr verlagern, im Kfz-Verkehr emissionsfreie und Sharing-Fahrzeuge einsetzen
  • Den Öffentlichen Verkehr um neue Mobilitätsangebote wie Sharing und nachfragegesteuerte Dienste ergänzen

Transformative Maßnahmen für Kfz-Verkehr in der Stadt setzen

  • Die Flächen, auf denen derzeit Autos im öffentlichen Raum abgestellt werden, für Nutzungen wie Gehen, Radfahren, Aufenthalt und Begrünung gewinnen. Dazu konkret festlegen, wie viele Kfz-Stellplätze jährlich umgebaut werden
  • Innerstädtische Kfz-Straßen rückbauen und für Boulevards, Parks oder Entwicklungsgebiete nutzen
  • Kfz-Durchfahrtsverkehr um Stadtzentren und Wohngebieten herumleiten: Erreichbarkeit mit Kfz erhalten, aber Durchfahrt nur zu Fuß, mit Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln gestatten
  • Zonen festlegen, in denen nur emissionsfreie Fahrzeuge und Lieferkonzepte gestattet sind

Michael Schwendinger,
VCÖ - Mobilität mit Zukunft:

„Um den berechtigten Anspruch der Bevölkerung der Städte nach hoher Lebensqualität sowie die Erreichung der Klimaziele mit der Erfüllung der notwendigen Mobilitäts- und Transportbedürfnisse in Balance zu halten, braucht es saubere und platzsparende Mobilität. Dass dies möglich ist, zeigen weltweit unzählige Beispiele.“


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