VCÖ-Factsheet: Vorrang für Busse und Straßenbahnen in Städten

Städte brauchen den Öffentlichen Verkehr, um den Mobilitätsanforderungen in den wachsenden urbanen Räumen gerecht werden zu können. Attraktiv sind öffentliche Verkehrsmittel, wenn sie die Fahrgäste schnell und ohne Stau ans Ziel bringen.

VCÖ-Factsheet 2019-05 als PDF

Die hohe Effizienz des Öffentlichen Verkehrs ist essenziell für das Funktionieren des gesamten urbanen Verkehrs. Der Öffentliche Verkehr wird dann viel genutzt, wenn dieser zuverlässig und hinsichtlich der Fahrzeit attraktiv ist. Fehlende Busspuren führen dazu, dass auch der Bus im Stau steht und die Fahrgäste viel Zeit verlieren. Falsch parkende Autos sorgen vor allem bei Straßenbahnen für Behinderungen, allein in Wien rund 2.300 Mal im Jahr. Maßnahmen für durchgängige Bevorrangung an Kreuzungen, eigene Fahrspuren und das Vermeiden von Blockaden durch Falschparken verkürzt Fahrzeiten und kann bei mehr Umläufen die Kapazitäten erhöhen.

Das knappe Gut „Platz“ effizient nutzen

Der Platz in den Städten ist knapp, Straßen können nicht erweitert werden. Die öffentlichen Verkehrsmittel transportieren Menschen sehr platzsparend, während das Auto jenes Verkehrsmittel mit dem höchsten Flächenverbrauch ist. Besonders für die Kapazität von Kreuzungen ist entscheidend, den effizienten Öffentlichen Verkehr zu priorisieren. Vorrang für Straßenbahnen und Busse an Kreuzungen und eigene Fahrspuren garantieren nicht nur ein schnelles, ungehindertes Vorankommen, sondern verbessert dank weniger Bremsvorgänge auch den Fahrkomfort und reduziert den Energieverbrauch. Die Kapazitäten von Straßen sind begrenzt und können in Städten kaum mehr erweitert werden. Denn der Platz in Städten ist knapp und vielfältige Nutzungsmöglichkeiten – vom Verkehr über Wohnen und Wirtschaft bis zur Erholung – konkurrieren um dieses wertvolle Gut. Eine Straßenbahn mit 35 Meter Länge benötigt stehend eine Fläche von rund 85 Quadratmetern und transportiert bei 80 Prozent Auslastung etwa 170 Personen. Damit ersetzt eine einzige Straßenbahnfahrt im Frühverkehr 148 Pkw mit einem durchschnittlichen Besetzungsgrad von 1,15 Personen. Stehend beanspruchen diese Autos eine Fläche von mindestens 1.200 Quadratmetern. Im Fließverkehr sind Straßenbahnen 12- bis 15-mal so flächeneffizient wie Pkw. Wichtig ist auch die Zeit zu berücksichtigen, die Pkw ungenutzt geparkt sind. Dieser so genannte Flächenstundenbedarf ist pro Person bei Pkw im Schnitt rund einhundert Mal höher als bei einer Straßenbahn.

Leistungsfähigkeit hängt von Kreuzungen ab 

Die Kapazität einer städtischen Straße hängt davon ab, wie viele Personen in einer bestimmten Zeit ihre Kreuzungen passieren können. Der Öffentliche Verkehr ist der effizienteste Verkehrsträger im Kreuzungsbereich. Besonders eklatant ist der Unterschied in der Personenanzahl, die in einer bestimmten Zeit eine Kreuzung passieren können, zwischen dem Auto und dem Öffentlichen Verkehr. Das Verhältnis beträgt 1 zu 10 bis 1 zu 20. So können zum Beispiel 150 Personen in einem Bus oder einer Straßenbahn die Kreuzung in 15 bis 25 Sekunden inklusive Anfahren überqueren. Mit Pkw benötigt dieselbe Personenzahl bei einem durchschnittlichen Besetzungsgrad von 1,2 Personen pro Pkw etwa 250 Sekunden, also mehr als vier Minuten. 

Öffentlichen Verkehrsmitteln freie Fahrt geben 

Für die Straßenbahnen in Dresden wurde erhoben, dass 28 Prozent der Fahrzeit Verzögerungen infolge von Ampeln oder Störungen sind. Anders formuliert: Die Fahrzeiten der Straßenbahnen könnten bei optimalem Verkehrsfluss durch eigene Gleiskörper und Bevorrangung bei Ampeln um ein Viertel verkürzt werden. 

Um 100 Personen in Pkw mit dem durchschnittlichen Besetzungsgrad im Frühverkehr zu transportieren sind 87 Pkw notwendig, die viel Platz benötigen.
Für freie Fahrt sind Falschparker- Hotspots konsequenter als bisher etwa durch Gehsteigverbreiterungen oder Radständer zu entschärfen.
Die Kapazität einer städtischen Straße hängt davon ab, wie viele Personen in einer bestimmten Zeit ihre Kreuzungen passieren können.

Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des Öffentlichen Verkehrs sind zentrale Qualitätsmerkmale. In Städten ist die Bevorrangung gegenüber dem Kfz- Verkehr wesentlich, um zuverlässig die Fahrpläne einhalten zu können. Diese kann klassisch durch getrennte Fahrstreifen erfolgen, oder durch Vorrangschaltungen an Ampelanlagen, sodass der Öffentliche Verkehr als Pulkführer auf entsprechenden Streckenabschnitten voran fährt. Die Positionierung der Haltestellen vor Kreuzungen legt die Stehzeit an der Ampel mit dem Fahrgastwechsel zusammen und führt zu Fahrzeitverkürzungen. Die Straßenbahnen in Zürich verkehren dank Maßnahmen im Sinne des Grundsatzes „Halt nur in der Haltestelle“ in über 90 Prozent der Fälle pünktlich. Da die Buslinien öfters im Stau sehen und dadurch Fahrpläne öfters nicht eingehalten werden, führt Zürich mehr Busspuren ein. Gleichzeitig werden in Zürich die Kapazitäten für den Autoverkehr nicht mehr erhöht, die Anzahl an Parkplätzen im Straßenraum wird sukzessive reduziert. 

Mehr Kapazität mit gleicher Fahrzeuganzahl 

Gelingt es durch kürzere Fahrzeit einer Straßenbahnlinie oder Buslinie eine zusätzliche Fahrt pro Stunde zu schaffen, können bei gleich bleibendem Fahrzeug- und Personaleinsatz mehr Fahrgäste transportiert werden. In Stuttgart konnte durch Ampelsteuerung und Busspuren die Gesamtfahrzeit der Innenstadtbuslinie 42 um zehn Prozent reduziert werden. Dadurch wurde ein Fahrzeug im Umlauf weniger benötigt und Kosten von 250.000 Euro pro Jahr eingespart. Umgekehrt sollen Maßnahmen zur Beruhigung des Autoverkehrs, wie Tempo 30, nicht dazu führen, dass für öffentliche Verkehrsmittel Fahrzeitverlängerungen entstehen und mehr Fahrzeuge gebraucht werden. Es ist zu vermeiden, dass Autos, die sich nicht an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten, Busse und Straßenbahnen überholen. Von zum Beispiel Tempo-30-Begrenzungen können Busse und Straßenbahnen auf eigenen Fahrspuren beziehungsweise Schienenstraßen ausgenommen werden.

Bauliche Maßnahmen schaffen Attraktivität

Die vollständige räumliche Trennung zwischen Öffentlichem Verkehr und Kfz-Verkehr durch eigenen Gleiskörper oder eine Busspur reduziert am effektivsten die Anzahl externer Störquellen. Wirksam sind auch Kap-Haltestellen für die Straßenbahn, also vorgezogene Gehsteige für kürzeres, sicheres und schnelleres Ein- und Aussteigen, sowie Fahrbahnhaltestellen für den Bus. Der Autoverkehr kann so nicht vorfahren und die öffentlichen Verkehrsmittel verschaffen sich bis zur nächsten Haltestelle freie Fahrt. 

Behinderung wegen Falschparken vermeiden 

Rund 2.300 Mal wurden im Jahr 2018 in Wien Busse und Straßenbahnen von falsch geparkten Fahrzeugen blockiert. Das bedeutet, dass die Öffis rund sechs Mal täglich durch Falschparken behindert wurden, wobei dies dank laufender Entschärfung von Hotspots bereits eine Verbesserung im Vergleich zu den Vorjahren darstellt. Ein einziger Falschparker kann dazu führen, dass Tausende Fahrgäste Verspätungen erleiden. Eine solche Behinderung dauert im Durchschnitt 14 Minuten. Es kann aber bis zu 40 Minuten dauern, bis Busse oder Straßenbahnen weiterfahren können und noch deutlich länger bis auf der gesamten Linie die Intervalle wieder hergestellt sind. In Wien entfallen rund zwei Drittel der Behinderungen auf Straßenbahnen. Im Jahr 2017 wurde in der Kreuzgasse in Wien- Währing anstelle von rund 25 Parkplätzen der Gehsteig verbreitert. In diesem Abschnitt wurden die Straßenbahnlinien 9 und 42 zuvor im Jahr 2016 insgesamt 51-mal durch Falschparker blockiert, im Jahr 2018 hingegen nur noch fünfmal. In Graz wird vor allem die Linie 3 von Gleis-Parkenden blockiert. Insgesamt wurden in Graz im Jahr 2018 Straßenbahnen 32 mal durch Falschparken blockiert, in Linz 36 und in Innsbruck 13 mal.

Grüne Welle für Bus und Straßenbahn 

In Wien wurden im Herbst 2018 die ersten Beschleunigungsmaßnahmen für die Buslinie 15A am Wienerberg wirksam. Zusätzliche Busspuren und Verbesserungen hinsichtlich Haltestellen machen den 15A zuverlässiger und schneller. Auch in anderen Städten wie Linz, Graz oder Innsbruck werden Maßnahmen zur Bevorrangung der öffentlichen Verkehrsmittel wichtiger. Die Stadt Graz startete im Jahr 2015 die „Pünktlichkeitsoffensive ÖV” mit einem Projektbudget von 1,1 Millionen Euro. Die Grazer Straßenbahnen haben bei fast allen Ampeln eine Vorrangschaltung, weiterer Bedarf besteht bei Buslinien, insbesondere für jene aus dem Umland. Wichtig für Fahrgäste ist zudem, dass Fußgängerampeln, die zu Haltestellen führen, kurze Rotphasen haben, damit Bus oder Straßenbahn rechtzeitig und sicher erreicht werden können. Durch konsequentes Grün an Ampeln und eigene Fahrspuren kann der städtische Öffentliche Verkehr schneller vorankommen und seine Kapazität steigern, was seine Attraktivität weiter erhöht. In München wurden in den Jahren 2003 bis 2018 insgesamt 25 Buslinien beschleunigt und durchschnittlich rund zehn Prozent kürzere Planfahrzeiten erreicht. 68 Prozent aller von Buslinien befahrenen Ampeln sind derzeit in München beschleunigt. Verflechtungen mit dem Autoverkehr sowie fehlender Vorrang für die Straßenbahn an Ampeln sind die Ursache für die meisten Verspätungen und damit verlängerte Fahrzeiten. Verkehren Busse und Straßenbahnen ungehindert auf eigenen Fahrspuren, erhöht das die Zuverlässigkeit des Öffentlichen Verkehrs und seine Durchschnittsgeschwindigkeit. Bereits kleine bauliche Maßnahmen helfen, die Flüssigkeit des Öffentlichen Verkehrs zu verbessern, etwa die Beseitigung von Engstellen und Sichthindernissen oder Haltestellenkaps anstelle von Busbuchten.  

Den Öffis in der Stadt freie Fahrt garantieren 

Häufiges Anhalten bewirkt beim Fahrgast neben einer Verringerung des Fahrkomforts immer auch das Gefühl eines langsamen Fortkommens. Eine kurze Grünphase von sieben bis zwölf Sekunden zum richtigen Zeitpunkt genügt, damit Busse und Straßenbahnen in Fahrt eine Kreuzung queren können. Vor allem für Straßenbahnen sind falsch geparkte Kfz eine häufige Verspätungsquelle. Parkplätze, durch die Straßenbahnen vermehrt blockiert werden, sind aufzulösen. Wenn die Formel gilt „Der Öffentliche Verkehr steht nicht im Stau“, kann dieser mit Verlässlichkeit und angemessenen Reisezeiten punkten.


VCÖ-Empfehlungen

Klare Priorität für jene Verkehrsmittel, die die größte Personenzahl effizient und klimaverträglich befördern

  • Das Ziel der Bevorrangung und freier Fahrt für den Öffentlichen Verkehr politisch festlegen und die Finanzierung sicherstellen
  • Die Umsetzung von Maßnahmen zur Bevorrangung gemeinsam mit Beteiligten und Anwohnenden planen
  • Kurze Rotphasen an Fußgängerampeln, die zu Haltestellen führen, damit Fahrgäste sicher Bus oder Straßenbahn erreichen können

Fahrzeiten verkürzen, Pünktlichkeit erhöhen, Störungen vermeiden

  • Ferngesteuertes Grün an Ampeln neben Straßenbahnen verstärkt auch für Busse umsetzen
  • Eigene Gleiskörper und Busspuren ohne Tempo-30-Beschränkungen forcieren. Dort, wo diese nicht möglich sind, Straßenbahnen und Busse als Pulkführer vor den Kfz fahren lassen
  • Störquellen wie Falschparker-Hotspots entlang von Straßenbahnlinien entfernen
  • Kaps und Fahrbahnhaltestellen für die Erhöhung der Verkehrssicherheit, schnelleres Ein- und Aussteigen und Barrierefreiheit einsetzen
  • Flächen bereitstellen, um Bushaltestellen vor Kreuzungen anstatt dahinter zu platzieren

Michael Schwendinger,
VCÖ - Mobilität mit Zukunft:

„Nur der Öffentliche Verkehr ist platzsparend und leistungsfähig genug, um die wachsenden urbanen Mobilitätsbedürfnisse erfüllen zu können. Kürzere Fahrzeiten und mehr Kapazitäten durch Bevorrangungsind kostengünstige Lösungen, um den Öffentlichen Verkehr auszubauen und noch attraktiver zu machen.“


Der VCÖ-Einsatz für eine Mobilität mit Zukunft braucht die Unterstützung durch Spenden. Spenden für die VCÖ-Tätigkeit sind steuerlich absetzbar. 

Spenden-Konto:
Erste Bank. IBAN:
AT11 2011 1822 5341 2200
BIC: GIBAATWWXXX

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Personenverkehr auf der Bahn ist fünf mal energieeffizienter als mit Pkw

Allein der Pkw-Verkehr der Privathaushalte im Bundesland Vorarlberg verbraucht beinahe so viel Energie wie alle Bahnen in Österreich im Personenverkehr. Mit diesem Energieaufwand wurden im Jahr 2016 in Vorarlberg 2,3 Milliarden Personenkilometer mit dem Auto zurückgelegt, dagegen mit der Bahn in ganz Österreich 12,6 Milliarden Personenkilometer.
An CO2-Ausstoß verursachte der Personenverkehr mit der Bahn im Jahr 2016 österreichweit rund 179.000 Tonnen, allein die Autofahrten der Vorarlberger Haushalte verursachten rund 400.000 Tonnen CO2. Selbst inklusive dem Energieaufwand für den Güterverkehr benötigt die Bahn in ganz Österreich nur etwa so viel Energie wie die Pkw der Haushalte im Bundesland Salzburg.

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Die dritte Piste ist eine verpasste Chance

Unser Alltag basiert darauf, dass wir systematisch auf die Ausbeutung von billiger Natur und billiger Arbeitskraft angewiesen sind. Das erzeugt Handlungsfähigkeit und materiellen Wohlstand, aber gleichzeitig Zerstörung und Dominanzverhältnisse. Dieses Ausgreifende, auf die billigen Ressourcen und billige Arbeitskraft andernorts Zugreifende kann durch den Begriff „Imperiale Lebensweise“ benannt werden. In den früh industrialisierten Staaten leben wir schon lange in dieser Form. Neu ist, dass diese Lebensweise immer deutlicher an ökologische Grenzen stößt.
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Ulrich Brand