VCÖ-Factsheet: Mobilität als Dienstleistung erspart teuren Autobesitz
Mobilität ohne Autobesitz. Was heute noch eine Ausnahme ist, wird in Zukunft die Regel sein. Nicht Pkw sondern Mobilitätsangebote als Dienstleistung werden gekauft. Das Konzept „Mobility as a Service“ wird in Skandinavien bereits erfolgreich umgesetzt.
Die privaten Pkw sind im Schnitt nur eine Stunde am Tag im Einsatz, 23 Stunden pro Tag sind sie „Stehzeuge“. Die mehr als eine Million Zweit- und Drittautos in Österreich sind im Schnitt überhaupt nur eine halbe Stunde täglich in Betrieb. Gleichzeitig sind nie mehr als zehn Prozent der Autos unterwegs. Das Potenzial für Sharing-Angebote ist groß. Der große Platzbedarf der Pkw sorgt vor allem in Städten für Probleme. Werden die 715.000 Pkw mit Wiener Kennzeichen nebeneinander gestellt, benötigen sie eine Fläche von rund elf Quadratkilometern, was der gemeinsamen Fläche der Wiener Bezirke vier bis neun entspricht.
„Mobility as a Service“: Nutzen statt besitzen
Im digitalen Zeitalter bedeutet individuelle Mobilität, aus einer Vielzahl verschiedener Möglichkeiten von Transportmitteln flexibel wählen zu können, ohne vom Besitz eines Autos abhängig zu sein. Das Konzept von „Mobility as a Service“ (MaaS) bezeichnet eine digitale Plattform (App), die Nutzerinnen und Nutzer einfachen Zugang zu vorhandenen Mobilitätsangeboten wie etwa Sharing-Services gibt. Zusätzliche Funktionen umfassen Echtzeit-Verkehrsinformationen, Online-Ticketing oder Reiseplanung. Wichtig ist, die rechtlich-regulatorischen Rahmenbedingungen für „Mobility as a Service“ zu schaffen.
MaaS-Konzepte folgen dem Leitprinzip „Nutzen statt Besitzen“. Anstelle des Transportmittels steht die Dienstleistung Mobilität im Zentrum des Angebots. Das Geburtsland von „Mobility as a Service“ ist Finnland, wo im Jahr 2015 in Helsinki mit „Whim“ das erste MaaS-Angebot entstand. Das Suchen, Buchen und Bezahlen intermodaler Wegketten soll bequem möglich sein, wobei sowohl Einzelfahrten gebucht, als auch bestehende Zeitkarten gespeichert und automatisch kombiniert werden können. In Österreich ist dies etwa über die Apps „wegfinder“, „AnachB“ oder „WienMobil“ möglich.
Mobilitätspaket statt Autobesitz wirkt
Eine weitere Variante von „Mobility as a Service“ sind Abo-Modelle, bei denen meist zwischen unterschiedlichen Mobilitätspaketen gewählt werden kann, ähnlich wie bei Mobilfunk-Tarifen. Für gebuchte Routen werden Credits je nach benutztem Transportmittel vom jeweiligen Paket abgezogen. Ein Beispiel ist das multimodale Mobilitätsangebot von UbiGo in Stockholm. Das Angebot inkludiert die unbegrenzte Nutzung des Öffentlichen Verkehrs sowie Pakete für Carsharing, Mietautos, Taxi und Bikesharing. Bestellung und Abrechnung erfolgen via Smartphone-App. Der Account kann innerhalb eines Haushalts geteilt werden. In der Testphase in Göteborg halbierte sich die Autonutzung der Teilnehmenden. Gleichzeitig stieg die Zufriedenheit mit ihrer Mobilität von 19 auf 51 Prozent.
Individuell und vielfältig mobil sein
Digitalisierung unterstützt die zunehmende Entkopplung individueller Mobilität vom privaten Besitz eines Fahrzeugs. Das bereits heute öffentlich zugängliche Mobilitätsangebot wird durch die Bereitstellung von Fahrzeugen im Rahmen der Sharing Economy ergänzt. In Städten soll „Mobility as a Service“ den Zugang – von der Information über Buchungund Bezahlung – zu bestehenden Mobilitätsangeboten so einfach wie möglich machen. In den Regionen ist es wichtig, Angebote für die letzte Meile zu schaffen. Nachfrageorientierte Angebote, wie Gemeindebusse, Anrufsammeltaxis oder Sharingdienste sind zu integrieren.
Rechtlich-regulatorischen Rahmen schaffen
Durch „Mobility as a Service“ kommt es zu verstärkten Kooperationen zwischen öffentlichen und privaten Mobilitätsangeboten. Dafür ist ein rechtlichregulatorischer Rahmen nötig, etwa für die Bereitstellung von Daten, die Digitalisierung der Infrastrukturen oder Regelungen für die Nutzung des öffentlichen Raums durch private Unternehmen. Durch integriertes Mobilitätsmanagement und die Verknüpfung mit Echtzeitdaten kann das Potenzial von Mobilitätsdienstleistungen besser ausgeschöpft werden. Die Öffentliche Hand hat einen Rahmen zu schaffen, der sicherstellt, dass die Angebote die demokratisch beschlossenen Zielsetzungen für Umwelt und Verkehr unterstützen. Die Bedeutung von „MaaS“ spiegelt sich in Österreich auch im aktuellen Regierungsprogramm wider. Die Bundesregierung möchte eine „Shared Mobility Strategy“ erstellen und multimodale digitale Mobilitätsplattformen als frei zugänglichen „öffentlichen Raum“ absichern, der für alle unter fairen Bedingungen offen sein soll.
Bereitschaft für Sharing-Mobility steigt
Nur ein Zehntel der Autofahrenden in Österreich hat bereits stationsbasiertes oder free-floating Carsharing genutzt, wie eine vom VCÖ beauftragte repräsentative Umfrage des Instituts Integral zeigt. Aber die Unterschiede je nach Altersgruppe sind groß. Während nur zwei Prozent der über 60-Jährigen Carsharing-Erfahrung haben, sind es bei den unter 30-Jährigen bereits 23 Prozent. 42 Prozent der unter 30-Jährigen gehen davon aus, dass sie in den kommenden zwölf Monaten Carsharing nutzen werden. Ein Carsharing-Angebot an Bahnhöfen wäre nur für sieben Prozent der über 60-Jährigen Fahrgäste nützlich, aber für 21 Prozent der unter 30-Jährigen. Bereits 20 Prozent der 20- bis 29-jährigen Autofahrenden rechnen damit, dass sie im Jahr 2025 kein eigenes Auto mehr haben werden.
Fast alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen nutzen Mobilität-Apps
Neben dem veränderten Zugang zu Mobilität bringen junge Menschen eine weitere wichtige Voraussetzung für „Mobility as a Service“ mit. Fast alle verwenden bereits Mobilität-Apps. 56 Prozent der Bevölkerung haben bereits Routen oder Fahrpläne mittels App gesucht, bei den unter 30-Jährigen sind es mit 85 Prozent deutlich mehr. Tickets für den Öffentlichen Verkehr haben via App 28 Prozent gekauft, bei den unter 30-Jährigen sind es mit 55 Prozent doppelt so viele. Auch bei der Buchung von Fahrzeugen (Carsharing, Leihräder oder E-Scooter) via App ist der Anteil der unter 30-Jährigen mit 23 Prozent doppelt so hoch wie der Durchschnitt.
Mobilitätsverhalten ist veränderbar
95 Prozent unserer Alltagswege sind Routinewege. Routinierte Verhaltensmuster sind ohne signifikante Umbrüche oder starke Anreize nur schwer zu verändern. Wird bei häufigen Wegen, etwa zur Arbeit, das Auto verwendet, dann überträgt sich dieses Verhalten auch auf andere Alltagswege. Die Forschung spricht von der „Gewohnheitsverallgemeinerung“. Aber das gilt auch umgekehrt. Wer sich daran gewöhnt mit Öffentlichem Verkehr oder Fahrrad zur Arbeit zu fahren, nutzt diese auch für andere Alltagswege häufiger. Betriebliches Mobilitätsmanagement ist sehr wirksam, um Mobilitätsroutinen aufzubrechen. Positive Anreize („Pull-Faktoren“) haben eine deutlich stärkere Wirkung, wenn sie Hand in Hand gehen mit Maßnahmen, wie Reduktion des Parkplatzangebots oder höheren Preisen für das Autofahren („Push-Faktoren“). Untersuchungen zeigen, dass bei Wechsel von Wohnort oder Arbeitsort die Bereitschaft, das Mobilitätsverhalten zu verändern, am größten ist.
Ära der Privat-Pkw geht zu Ende
Anstatt zu sinken, sind in Österreich im Jahr 2019 die CO2-Emissionen des Verkehrs zum fünften Mal infolge gestiegen. Fast zwei Drittel der Emissionen verursacht der Personenverkehr. Österreich kann seine im Jahr 2018 beschlossenen Klimaziele nur erreichen, wenn weniger Auto gefahren wird. „Mobility as a Service“ kann mithelfen, das Mobilitätsverhalten zu ändern. Eine wichtige Voraussetzung, damit „Mobility as a Service“ von der Bevölkerung gut angenommen wird, ist ein dichtes öffentliches Verkehrsnetz mit häufigen Verbindungen sowie die Verfügbarkeit von On-Demand-Angeboten. Ländliche Regionen brauchen mehr flexible Mobilitätsangebote wie Anrufsammeltaxis. Diese nachfragebasierten Angebote sind in das Angebot der Verkehrsverbünde zu integrieren, wie das beispielsweise beim IST-mobil im Bezirk Korneuburg der Fall ist oder bei den Anrufsammeltaxis Defreggental und Pustertal im Verkehrsverbund Tirol.
Netz an Mobilitätsstationen errichten
Multimodale Mobilitätshubs bündeln unterschiedliche Angebote an einem Ort und erleichtern den Wechsel zwischen Verkehrsmitteln. An Mobilitätsstationen, wie es sie beispielsweise bereits in Wien, Graz und Linz gibt, werden Carsharing und Bikesharing, Ladestationen für E-Fahrzeuge, Informationsangebote sowie Schnittstellen zum Öffentlichen Verkehr räumlich und digital verbunden. Mit „Mobility as a Service“ wird die individuelle Freiheit der Verkehrsmittelwahl erhöht, ohne ein Fahrzeug besitzen zu müssen. Der Bedarf an die Angebote ist vielseitig und in der Region ein anderer als in der Stadt und im Stadt-Umland. Wichtig ist, dass es österreichweit einheitliche Schnittstellen und Standards gibt, die eine Gesamtintegration der verschiedenen Angebote ermöglichen.
Quellen: Integral / VCÖ: Repräsentative Umfrage: Wie multimodal mobil ist Österreich, Wien 2019; ITS Austria, MaaS made in Austria, Wien 2019; VCÖ-Bericht, Mobility as a Service. Status Quo und Erfolgsfaktoren, Wien 2020.
VCÖ-Empfehlungen
Rahmenbedingungen für Mobilitätsdienste verbessern
- Sicheren Rechtsrahmen für neue Mobilitätsangebote schaffen.
- Durch gesetzliche Vorgaben die Sharing-Angebote so steuern, dass sie die politischen Zielsetzungen im Bereich Umwelt und Verkehr unterstützen.
- Öffentlichen Verkehr und Sharing-Angebote koordiniert ausbauen, bei Bahnhöfen E-Carsharing und Mobilitätsstationen umsetzen.
- Mit multimodalen Mobilitätsdienstleistungen die Zugänglichkeit der vorhandenen Angebote erhöhen und zu individuellen Paketen bündeln.
- Gemeinwohlorientierte Mobilitätsdienstleistungen absichern durch Privilegierung und Klarstellung im Gelegenheitsverkehrsgesetz oder der Gewerbeordnung.
- Stationsbasiertes Carsharing durch Schaffung einer geeigneten Rechtsgrundlage in der Straßenverkehrsordnung fördern.
Öffentlich zugängliche Mobilitätsangebote vernetzen
- Sharing-Angebote mit dem Öffentlichen Verkehr zu einem Gesamtsystem öffentlich zugänglicher Mobilitätsangebote vernetzen.
- Radleihsysteme in größeren Städten einrichten, bestehende ausbauen.
- Öffentlichen Linienverkehr mit Sharing, Sammeltaxi oder Ortsbus ergänzen.
- Mikro-ÖV langfristig finanzieren und in den Verkehrsverbund integrieren.
Michael Schwendinger, VCÖ ‑ Mobilität mit Zukunft
„Nutzen statt besitzen ist das Prinzip der zukünftigen Mobilität. Die Ära des Pkw im Privatbesitz wird abgelöst von Mobilitätsdienstleistungen, die individuelle Mobilität ermöglichen, ohne vom Besitz eines Fahrzeugs abhängig zu sein. Das Rückgrat von „Mobility as a Service“ ist der Öffentliche Verkehr.“
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