VCÖ-Factsheet: Mehr Platz für aktive und kindgerechte Mobilität
Fußläufig erreichbare Ziele, öffentlicher Raum mit hoher Aufenthaltsqualität und sichere, attraktive Geh- und Radwege sind maßgebend, ob Wege körperlich aktiv zurückgelegt werden. Gut vernetzte Schul- und Freizeitwege tragen zu mehr gesunder Bewegung von Kindern und Jugendlichen bei.
VCÖ-Factsheet 2021-02 als PDF
VCOE-Factsheet More space for active and child-friendly mobility PDF
Bewegungsmangel ist ein großes Gesundheitsrisiko und steht in direktem Zusammenhang mit vielen Krankheiten. Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Typ 2-Diabetes treten bei Menschen mit Bewegungsmangel deutlich häufiger auf. Auch ein erhöhtes Risiko von Schlafstörungen und psychischen Erkrankungen wird diesbezüglich angenommen. Als Mindestmaß an Bewegung empfiehlt die WHO 150 Minuten moderate bis intensive körperliche Aktivität für Erwachsene pro Woche, Kindern und Jugendlichen ist mit 60 Minuten täglich deutlich mehr Bewegung empfohlen.
Kindgerechtes Verkehrssystem umsetzen
Aktive Alltagsmobilität ist ein wichtiger Faktor, um das empfohlene Ausmaß an Bewegung zu erreichen. Doch die dafür bereitgestellte Fläche ist oftmals ungenügend, wie auch die Erfahrungen in der Covid-19-Pandemie gezeigt haben. Die 6- bis 14-Jährigen in Österreich legen rund ein Drittel ihrer Alltagswege zu Fuß und mit dem Fahrrad zurück, ein weiteres Drittel mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ein Drittel im Auto sitzend. Bei den 15- bis 19-Jährigen erhöht sich der Autoanteil auf 40 Prozent, die zu Fuß und mit dem Fahrrad zurückgelegten Wege sinken auf 17 Prozent.
Kinder und Jugendliche machen im Alltag zu wenig Bewegung
Ein Bericht der WHO zeigt, dass 81 Prozent der Jugendlichen in Europa das empfohlene Mindestmaß von einer Stunde Bewegung pro Tag nicht erreichen. In Österreich erfüllen nur 17 Prozent der 11- bis 17-Jährigen diese Empfehlung. Ausreichend Bewegung hat positive Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, den Bewegungsapparat, die muskuläre Fitness, eine gesunde Entwicklung des Körpergewichts, die Verbesserung der schulischen Leistungsfähigkeit sowie auf die psychische Gesundheit.
Aktive Alltagsmobilität als Gesundheitsfaktor
In Österreich erfüllen Mädchen und Buben die Bewegungsempfehlungen mit zunehmendem Alter immer weniger. Mit 3,5 Tagen pro Woche erreichen Mädchen seltener die empfohlene Stunde Bewegung pro Tag, als Burschen mit 4,5 Tagen pro Woche. Zudem sind 21 bis 30 Prozent der Schulkinder in Österreich übergewichtig oder adipös. Kinderfettleibigkeit zählt zu den großen globalen gesellschaftlichen Gesundheitsherausforderungen. Seit dem Jahr 1980 hat sich weltweit die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Schulalter mit Fettleibigkeit von elf Millionen auf 124 Millionen mehr als verzehnfacht. Neben erhöhten Krankheitsrisiken hat Kinderfettleibigkeit auch Auswirkungen auf die Entwicklung der motorischen, kognitiven und sozialen Fähigkeiten. Aktive Alltagsmobilität birgt großes Potenzial für ausreichend gesunde Bewegung für Kinder und Jugendliche.
Infrastruktur beeinflusst Mobilitätsverhalten
Die WHO betont, dass aktives Spiel und Erholung wichtige Indikatoren für eine gesunde Entwicklung von Kindern und Jugendlichen sind. Besonders die Gestaltung der Schulwege und Schulumgebungen sowie direkt im Unterricht implementierte Mobilitätsprogramme werden als wichtige Maßnahmen gesehen. Neben dem Schulumfeld sind bewegungsfördernde Maßnahmen im Alltag, etwa im Wohnumfeld oder bei Freizeitorten, zu verbessern. Vor allem Spiel- und Streifräume sind ein wichtiger Motivationsfaktor für selbstständige aktive Mobilität von Kindern und Jugendlichen. Gehen Streifräume verloren und kommt es zu einer Verinselung kindlicher Alltagsräume, kann dies zu einer geringeren Teilnahme von Kindern am öffentlichen Leben, zu reduziertem sozialen Austausch sowie zu höherer Abhängigkeit von Hol- und Bringdiensten führen. Sinkende Bewegungsaktivität und weniger selbstbestimmte aktive Mobilität reduzieren auch Lernerfahrungen im Straßenverkehr und erhöhen somit Unsicherheiten und Unfallgefährdung. In den Jahren 2018 bis 2020 wurden etwa im niederländischen Tilburg Maßnahmen für ein sicheres Schulumfeld getestet. Ein Schulumgebungsscan wurde als Methode entwickelt, um Kinder in die Gestaltung der Schulumgebung miteinzubeziehen. Auch in zahlreichen Städten in Österreich wurden temporäre Schulstraßen installiert und bespielt. In Wien haben Schulstraßen nachweislich einen positiven Effekt auf das Mobilitätsverhalten von Kindern und Jugendlichen und bewirken eine Steigerung aktiver Mobilität auf dem Schulweg.
Kindgerechte Wegenetze verbessern Bedingungen für alle Bevölkerungsgruppen
Ein für Kinder und Jugendliche gut ausgebautes Wegenetz ist ein Indikator für gelungene Raumplanung und Siedlungsentwicklung. Es schafft für alle Bevölkerungs- und Altersgruppen mehr Lebensqualität im Sinne einer gesundheitsfördernden Umgebung. Ideal ist ein zusammenhängendes Wegenetz aus verkehrsberuhigten Zonen, wie Wohnstraßen und Schulstraßen, Begegnungszonen und Fußgängerzonen, barrierefreien Gehwegen und sicheren Hauptverkehrsstraßen, das die wichtigsten Bezugsorte für Kinder und Jugendliche verbindet. Wohnstraßen bieten dafür theoretisch gute Voraussetzung, werden aber praktisch aufgrund fehlender Umgestaltung sowie der abgestellten Pkw nicht als Aufenthaltsraum wahrgenommen. Eine Verkehrsplanung, die aktive Mobilität für Kinder fördert, setzt Maßnahmen zur Reduktion des Kfz-Verkehrs, führt als Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet Tempo 30 statt 50 ein und schafft übersichtliche und sichere Querungshilfen. Dass die Umsetzung von Tempo 30 innerorts möglich ist, beweisen etwa die Niederlande und Spanien. Das niederländische Parlament beschloss im Jahr 2020 die Einführung von generellem Tempo 30 im Ortsgebiet. In Spanien wird die StVO dahingehend geändert, dass innerorts auf einspurigen Straßen ohne bauliche Trennung von Fahrbahn und Gehweg Tempo 20 und auf Straßen mit einer Fahrspur je Fahrtrichtung Tempo 30 gilt. Wichtig für Kinder sind auch Grünflächen und attraktive Aufenthaltsbereiche im öffentlichen Raum, die das freie Spiel und soziale Kontakte fördern. Für die bei Kindern und Jugendlichen beliebten Inlineskates, Scooter und Boards sind breite Wege und geeignete Oberflächen wichtig, um gute Befahrbarkeit zu gewährleisten.
Aktive Mobilität von Kindern fördern
Die Flächeninanspruchnahme des Kfz-Verkehrs betrug im Jahr 2019 in Österreich 2.075 Quadratkilometer, was etwa der Fläche Osttirols entspricht. Während alltägliche Pkw-Nutzung den sitzenden Lebensstil verstärkt, gleicht aktive Alltagsmobilität den zunehmenden Bewegungsmangel aus. Radfahren und Gehen sind nicht nur zielgerichtet, sondern als Flanieren und Spazieren auch Erholung, Freude und sozialer Austausch. Das Potenzial eines Siedlungsbereichs, alle wesentlichen Grundbedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner im Nahbereich zu erfüllen und der Identifikation mit der Nachbarschaft zu dienen, baut wesentlich auf einem guten, dichten Wegenetz für bewegungsaktive Mobilität auf, während die Trennwirkung und zu hohes Tempo des Kfz-Verkehrs die Bedingungen für aktive Mobilität beeinträchtigt.
Temporeduktion fördert aktive Mobilität
Zur Verbesserung der Lebens- und Aufenthaltsqualität sowie zur Förderung aktiver Mobilität ist eine Reduktion der Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet auf Tempo 30 dringend angebracht. Menschen meiden Orte mit hoher Kfz-Geschwindigkeit und hohes Tempo hält vom Gehen und Radfahren ab. Dass Tempo 30 innerorts möglich ist, beweisen die Niederlande und Spanien. Das niederländische Parlament beschloss im Jahr 2020 die Einführung von generellem Tempo 30 im Ortsgebiet. In Spanien wird die Straßenverkehrsordnung dahingehend geändert, dass innerorts auf einspurigen Straßen ohne bauliche Trennung von Fahrbahn und Gehweg Tempo 20, auf Straßen mit einer Fahrspur je Fahrtrichtung Tempo 30 und mit mehr als einer Fahrspur je Fahrtrichtung Tempo 50 gilt.
Quelle: VCÖ, „Mehr Platz für bewegungsaktive Mobilität“, Schriftenreihe „Mobilität mit Zukunft“, Wien 2021
VCÖ-Empfehlungen
Mehr Platz und qualitätsvolle Infrastruktur ist eine zentrale Voraussetzung für mehr aktive Mobilität
- Aktive Alltagsmobilität als wichtiges Heilmittel gegen die Zivilisationskrankheit Bewegungsmangel nutzen und fördern.
- Gehwege mit einer Mindestbreite von zwei Metern und breite, vom KfzVerkehr baulich getrennte Radwege sind eine Mindestanforderung für ein attraktives Umfeld zur Förderung von Gehen und Radfahren.
- Auch die zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie erforderlichen Abstandsregeln haben deutlich gezeigt, dass derzeit zu wenig öffentliche Fläche für aktive Mobilität zur Verfügung steht.
Ein kinderfreundliches Verkehrssystem tut allen gut
- Selbstständige aktive Mobilität auf dem Weg zum Kindergarten oder zur Schule sowie in der Freizeit ist ein wesentlicher Faktor für kindliche Entwicklung und Gesundheit.
- Eine Verkehrsinfrastruktur, die sichere und eigenständige aktive Mobilität von Kindern fördert, erhöht die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum für alle Bevölkerungsgruppen.
Michael Schwendinger, VCÖ ‑ Mobilität mit Zukunft
„Sehr vieles spricht für mehr aktive Mobilität. Das gilt für uns alle und ganz besonders für Kinder. Doch bewegungsaktive Mobilität braucht Platz im öffentlichen Raum. Denn die Art und Weise, wie Kinder mobil sind, prägt die Verkehrsmittelwahl für das restliche Leben.“
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