Verkehrsberuhigung schafft Raum für aktive Mobilität

Menschen werden durch zu hohe Geschwindigkeiten und viel Kfz-Verkehr nicht nur gefährdet, sondern auch in ihrer Mobilität eingeschränkt. Verkehrsberuhigung schafft mehr Platz für aktive Mobilität und damit einen Mehrwert für Klimaschutz, Gesundheit und Lebensqualität.

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Der Anteil aktiver Mobilität wie Gehen und Radfahren variiert deutlich zwischen ländlichen Regionen und Städten. In Österreichs größeren Städten – ohne Wien – werden im Durchschnitt 32 Prozent der Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt, in den Regionen rund 22 Prozent. In den vergangenen Jahren konnte in Städten wie Graz, Innsbruck, Bregenz und Wien der Anteil aktiver Mobilität erhöht werden. Im ländlichen Raum werden nach wie vor deutlich weniger Alltagswege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt, die Entwicklung zeigt keinen Trend in Richtung mehr aktiver Mobilität.1

Mehr Infrastruktur für aktive Mobilität nötig

Ausschlaggebend für die Erhöhung des Geh- und Radverkehrsanteils sind sowohl die Funktionalität als auch die Qualität der Infrastruktur. Nur sieben Prozent der Bevölkerung in Österreich sind überzeugte Radfahrende, rund 60 Prozent sind interessiert, aber oftmals verunsichert.2 Wichtig ist für sie eine sichere und hochwertige Infrastruktur.3 Verkehrsberuhigung, etwa durch Tempo 30 oder Begegnungszonen, ermöglicht eine vergleichsweise schnelle und kostengünstige Erweiterung der Radinfrastruktur und mehr Platz zum Gehen in Städten und Gemeinden. In Innsbruck werden bereits mehr als die Hälfte aller Alltagswege bewegungsaktiv zu Fuß, mit dem Fahrrad oder Scooter zurückgelegt.4 In Bregenz liegt der Anteil aktiver Mobilität bei 49 Prozent, in Graz bei 41 Prozent.5 In Wien werden bereits 44 Prozent der Wege aktiv zurückgelegt, im Jahr 2019 waren es 37 Prozent. Gehen und Radfahren erlebten in den vergangenen drei Jahren einen starken Aufschwung.6

Ziele für aktive Mobilität umsetzen

Viele Bundesländer haben sich zum Ziel gesetzt, den Anteil von Gehen und Radfahren zu erhöhen. In Vorarlberg ist eine Erhöhung des Anteils von 34 Prozent im Jahr 2017 auf 39 Prozent bis zum Jahr 2030 vorgesehen.7 In Niederösterreich wird bis zum Jahr 2030 die Verdoppelung des Fuß- und Radverkehrsanteils, auch in Kombination mit dem Öffentlichen Verkehr, angestrebt.8

In Wien sollen im Jahr 2025 insgesamt 80 Prozent der Alltagswege zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Öffentlichen Verkehr zurückgelegt werden.9

Verkehrsberuhigung ist vielfältig

Die Möglichkeiten für Verkehrsberuhigung sind vielfältig. Sie reichen von einzelnen Maßnahmen wie Temporeduktion, Begegnungszonen, Fahrradstraßen, Wohnstraßen, Schulstraßen und Fußgängerzonen bis zu flächigen Maßnahmen, wie etwa Tempo 30 Zonen oder zusammenhängenden Fußgängerzonen.

International bewähren sich autofreie Wohnviertel, wie etwa „Superblocks“ in Barcelona, verkehrsberuhigte Straßen wie die „Low-Traffic-Neighbourhoods“ in Großbritannien oder in den Niederlanden die „Woonerf“, die als Vorläufer der Begegnungszonen gelten oder „Traffic Circulation Plans“ zur intelligenten Verkehrsführung und Reduktion von Durchzugsverkehr wie beispielsweise in Groningen und Gent.

Es gibt viele Möglichkeiten zur Verkehrsberuhigung, die bereits vielfach umgesetzt wurden und an die lokalen Anforderungen angepasst werden können.

Gesundheit durch bewegungsaktive Mobilität

Menschen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Arbeit kommen, sind im Schnitt um zwei Tage weniger krank als jene, die mit dem Pkw fahren.10 Regelmäßiges Radfahren verlängert die gesunde Lebenserwartung signifikant und trägt dazu bei, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Übergewicht und Diabetes vorzubeugen.11, 12 Die positiven Effekte durch physische Bewegung überwiegen bei weitem die negativen Wirkungen wie das Risiko von Verkehrsunfällen oder das Einatmen von Abgasen.13

In Bilbao (Spanien) hat sich der Radverkehr seit der flächendeckenden Einführung von Tempo 30 im Jahr 2018 verfünffacht, in Lille (Frankreich) ist er seit der Einführung von Tempo 30 im Jahr 2019 um 55 Prozent gestiegen.14

Verkehrssicherheit ist maßgeblich

Umsetzungsbeispiele weltweit zeigen die positiven Wirkungen von Verkehrsberuhigung für die Verkehrssicherheit. Geschwindigkeitsreduktion senkt nicht nur die Unfallschwere, sondern auch die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls.

In Wien beispielsweise waren die Hälfte der Verkehrstoten in den Jahren 2013 bis 2022 Gehende, zehn Prozent Radfahrende. Alleine Tempo 30 innerorts ausgenommen Vorrangstraßen könnte in Österreich 20 Verkehrstote und über 5.000 Verletzte pro Jahr weniger bedeuten.16

Viele kurze Wege können aktiv zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Basis dafür ist eine durchgehende und sichere Infrastruktur.

Weniger Tempo für mehr Radfahrende

Verkehrsberuhigungsmaßnahmen führen außerdem durch die Senkung der gefahrenen Geschwindigkeiten zu einer höheren Attraktivität von Radfahren und Gehen. Durch die geringere Trennwirkung und einem geringeren Flächenbedarf des Pkw-Verkehrs können Flächen zum Gehen und Radfahren umverteilt werden oder ist bei niedrigen Geschwindigkeiten eine bauliche Trennung zwischen Rad- und Kfz-Verkehr gar nicht notwendig.17

In den verkehrsarmen Nachbarschaften „Low-Traffic-Neighbourhoods“ in London werden physische Barrieren aufgebaut, um den Durchzugsverkehr einzuschränken. Der Radverkehr hat dadurch in diesen Gebieten um 37 bis 172 Prozent zugenommen, und auch an den Randstraßen waren bis zu 43 Prozent mehr Radfahrende unterwegs.18

Aktive Mobilität ist zu priorisieren

In Freiburg konnte der Anteil aktiver Mobilität, ausgehend von 40 Prozent im Jahr 1999, auf 63 Prozent im Jahr 2016 gesteigert werden. Im Jahr 2016 wurden 29 Prozent der Wege zu Fuß und 34 Prozent mit dem Fahrrad zurückgelegt. Zentral für diese Entwicklung war vor allem die klare Priorisierung des Öffentlichen Verkehrs und aktiver Mobilität im Gesamtverkehrsplan 1979.19

Die belgische Stadt Gent hat innerhalb eines „Traffic Circulation Plan“ sechs Zonen definiert, zwischen denen durch physische Barrieren wie Poller und Pflanzen kein Autoverkehr möglich ist. Ziel ist es, den Durchzugsverkehr zu reduzieren. Durch diese Maßnahme – ergänzt durch Parkraumbewirtschaftung, Ausbau des Öffentlichen Verkehrs sowie Verbesserungen für das Gehen und Radfahren – konnte der Autoverkehrsanteil zwischen 2012 und 2021 von rund 54 auf 38 Prozent reduziert werden. Der Fußverkehrsanteil stieg von 14 auf fast 16 Prozent, und der Radverkehr von etwa 22 auf knapp 34 Prozent.20

Aktiv mobil auf der letzten Meile

Der Anteil aktiver Mobilität bei Wegen zum Bahnhof liegt in Österreich bei 40 Prozent.21 Verkehrsberuhigung kann maßgeblich zur Verbesserung der Erreichbarkeiten von Bahnhöfen mit dem Fahrrad oder zu Fuß beitragen. Ein Beispiel dafür ist der Hauptbahnhof Dornbirn, der mittels barrierefreier Unterführung zu Fuß und mit dem Fahrrad von beiden Seiten erreichbar ist. Der barrierefreie und witterungsgeschützte Busknoten liegt direkt vor dem Bahnsteigzugang.22 In Villach, Rankweil und St. Pölten gibt es eine Begegnungszone vor dem Hauptbahnhof.23

Platz für aktive Mobilität schaffen

Wie viel Flächenpotenzial in einer großräumigen Verkehrsberuhigung steckt, zeigt Barcelona. Bei Umsetzung der geplanten 500 Superblocks würden die Fußgängerflächen um über sechs Millionen Quadratmeter beziehungsweise 270 Prozent zunehmen. Die Lebenserwartung würde im Durchschnitt um 200 Tage pro Person steigen. Superblocks sind etwa 400 mal 400 Meter große Einheiten von Wohnblocks und Gemeindestraßen. Fußgängerinnen und Fußgänger haben Vorrang, fahrender und ruhender Pkw-Verkehr werden stark eingeschränkt.24

In den Niederlanden werden in „Woonerf“ die Straßen von allen Verkehrsarten gleichwertig genutzt, das Tempo ist niedrig, die Aufenthaltsqualität hoch.25

Mehr Bewegung erhöht Lebensqualität

Durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen werden Flächen umverteilt und dem Gehen und Radfahren mehr Platz gegeben. Das ist nicht nur notwendig, um aktive Mobilität attraktiver und sicherer zu gestalten, sondern trägt auch zur Flächengerechtigkeit bei. Die Verfügbarkeit sicherer und qualitativ hochwertiger Infrastruktur für Gehen und Radfahren hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Verkehrsmittelwahl.

Menschen und insbesondere Kinder werden durch zu hohe Geschwindigkeiten und zu viel Kfz-Verkehr nicht nur gefährdet, sondern auch in ihrer Mobilität und Bewegung eingeschränkt. Nicht nur im Schulumfeld sollten deshalb Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung gesetzt werden.

Strukturen für aktive Mobilität schaffen

Siedlungsstrukturen haben starken Einfluss auf das Mobilitätsverhalten. Durch den Ausbau durchgehender Wegenetze und kurze Distanzen, etwa von einer Wohnsiedlung zum nächsten Supermarkt, wird Gehen und Radfahren attraktiv. Die derzeit oft fehlende Infrastruktur, bestehende Gefahrenstellen und Umwege für Gehen und Radfahren führen dazu, auch kurze Luftlinien- Distanzen mit dem Pkw zurückzulegen.

Für die Umsetzung von Verkehrsberuhigung steht eine Vielzahl an Maßnahmen und Konzepten zur Verfügung. Diese erfüllen gleichzeitig Push- und Pull-Funktion, indem Flächen vom Kfz-Verkehr zur aktiven Mobilität umverteilt werden.

VCÖ-Empfehlungen

Verkehrsberuhigung beinhaltet vielfältige Maßnahmen, die aktive Mobilität attraktiver und sicherer gestalten und nach lokalem Bedarf angepasst werden können.

  • Verkehrssicherheit ist ein maßgebliches Argument für die Umsetzung von Verkehrsberuhigung.
  • Gehen und Radfahren ist in der Planung und dem Bau von Infrastruktur und Öffentlichem Raum zu priorisieren.
  • Bei jeglichen Veränderungen beziehungsweise Umbauarbeiten im Straßenraum ist die Raumgerechtigkeit zu verbessern.
  • Es braucht einen rechtlichen Rahmen, der klimaverträglicher und gesunder Mobilität höhere Priorität einräumt.
  • Die Straßenverkehrsordnung (StVO) ist anzupassen, um verkehrsberuhigende Maßnahmen wie Tempo 30 auf Hauptstraßen einfacher umsetzen zu können.
  • Zugang zu Verkehrsknotenpunkten wie Bahnhöfen durch Geh- und Radwege sicherstellen.
  • Internationale Konzepte zeigen, dass umfassende Verkehrsberuhigung aus einer Mehrzahl an Maßnahmen besteht, die in Synergie zueinander umgesetzt werden.

Lina Mosshammer, VCÖ ‑ Mobilität mit Zukunft

„Zu hohes Tempo und zu viel Kfz-Verkehr in Städten und Gemeinden schränken Bewegung und Mobilität von vielen Menschen ein. Verkehrsberuhigung schafft Platz für Menschen.“

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Die inhaltliche und redaktionelle Erstellung des VCÖ-Factsheets erfolgt durch den VCÖ. Der Inhalt muss nicht mit der Meinung der unterstützenden Institutionen übereinstimmen. Dieses Factsheet entstand mit finanzieller Unterstützung vom Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Land Oberösterreich, Land Steiermark, Land Tirol.

Das klimaaktiv mobil Programm bietet österreichweit Beratung und Förderungen zur Attraktivierung von Gehen und Radfahren im Alltag und für den sanften Tourismus. Mehr Information unter: www.klimaaktivmobil.at


Quellen

Quellen

1 Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie: Österreich unterwegs 2013/2014. Wien: 2016  
2 Geller Roger: Four Types of Cyclists. Portland: 2005. Weblink
3 Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC): So geht Verkehrswende – Infrastrukturelemente für den Radverkehr (Version 1.1). Berlin: 2019  
4 PLANOPTIMO: Mobilitätserhebung Tirol. Frühling 2022. Reith bei Seefeld: 2022  
5 VCÖ: Große Unterschiede bei Mobilität zwischen Österreichs Landeshauptstädten. Wien: 2019  
6 Mobilitätsagentur Wien GmbH: Wiener:innen sind klimafreundlich unterwegs. Wien: 2023. Weblink
7 Amt der Vorarlberger Landesregierung. Abteilung Allgemeine Wirtschaftsangelegenheiten: Mobilitätskonzept Vorarlberg 2019. Bregenz: 2019  
8 Amt der NÖ Landesregierung. Abteilung Raumordnung und Gesamtverkehrsangelegenheiten: Alltagsradverkehr. Sankt Pölten: 2021. Weblink
9 Stadtentwicklung Wien: Das Fachkonzept Mobilität - Ein Überblick. Wien. Weblink
10 Energieinstitut Vorarlberg: Betriebliches Mobilitätsmanagement für Mitarbeitende im Unternehmen - Zahlen, Daten, Fakten. Dornbirn: 2019. Weblink
11 Andersen, L. B., Schnohr, P., Schroll, M., & Hein, H. O. (2000). All-cause mortality associated with physical activity during leisure time, work, sports, and cycling to work. Archives of internal medicine, 160(11), 1621–1628. Weblink
12 Reiner, Miriam; Niermann, Christina; Jekauc, Darko; Woll, Alexander (2013): Long-term health benefits of physical activity – a systematic review of longitudinal studies. In: BMC public health 13, S. 813. Weblink
13 Mueller et al. (2015). Health impact assessment of active transportation: A systematic review, Preventive Medicine, Volume 76, 103-114. Weblink
14 Bologna 30: Città30 nel Mondo. E a Bologna, perché no? Weblink
15 Statistik Austria: Straßenverkehrsunfälle Weblink
16 FSV, et al. (2022). Ein neuer Ansatz für höchstzulässige Geschwindigkeiten im Straßenverkehr in Österreich aus synergetischer, nachhaltiger Sicht. FSV-Schriftenreihe 025. FSV. 25: 62. Weblink
17 VCÖ 2021-04. Infrastrukturen für die Verkehrswende. Wien, 2021. Weblink
18 Centre for London. Street Shift:Weblink Weblink
19 Freiburger Stadtkurier Verlagsgesellschaft mbH: Amtsblatt. Freiburg im Breisgau: 2008  
20 Stadt. Gent. Mobiliteit in cijfers 2012/2021. Gent: 2022. Weblink
21 VCÖ: Pendeln und die Bahn: Eine Beziehung mit Potenzial für mehr. Wien: 2022. Weblink
22 BMVIT und ÖBB: Bahnraum. Schienenorientierte Siedlungsentwicklung und Erreichbarkeitsoptimierung. Wien: 2017  
23 Verkehrsingenieure. Begegnungszone Bahnhof Rankweil Weblink
24 López I, Ortega J, Pardo M. Mobility Infrastructures in Cities and Climate Change: An Analysis Through the Superblocks in Barcelona. Atmosphere. 2020; 11(4):410. Weblink
25 Kinderbüro. Gastbeitrag: Die Wohnstraße ist zum Spielen da! Weblink

 

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